Der Berliner Hans Sachs hatte einen. Der aus Ungarn stammende Wiener Julius Paul hatte auch einen. Plakate müssen ob ihrer Größe schonend aufbewahrt werden. Daher ließen sich bedeutende Plakatsammler des Fin de Siècle eigene Plakatschränke bauen. Sachs ließ sich vom Kunsttischler Hans Meyer Kästen mit ausziehbaren Schubladen im Format von 142 x 98 cm bauen, um die Affichen ungefaltet zu lagern.[1] Die Dimensionen des Schrankes von Julius Paul, der lange in der Albertina stand, sind nicht bekannt. Erhalten haben sich diese Archivmöbel als Dokumente einer Sammelleidenschaft offensichtlich nicht.
Nun ist im Kunsthandel ein Plakatschrank aus dem Jahr 1914 aufgetaucht, der wohl der bedeutendste seiner Art ist. Nicht zuletzt wegen seines Entwerfers. Er stammt von niemand Geringerem als von Josef Hoffmann. Für die 1914 in Leipzig abgehaltene Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Grafik, kurz BUGRA genannt, ließ die renommierte Wiener Druckerei Christoph Reisser’s Söhne einen massiven Eichenholzschrank – Höhe 100 cm, Breite 148 cm, Tiefe 109 cm – beim Gründer der Wiener Werkstätte in Auftrag geben. Gebaut wurde der schwarz furnierte Schrank von der Kunsttischlerei Jakob Soulek. Der Kasten verfügte über zehn Auszieh-Einlegeböden für drei verschiedene Formate. Zusätzlich konnte man noch die Auflagefläche aufklappen und weitere Plakate einlegen. In die oberen fünf Laden passte das damalige Wiener Standard-Plakatformat 125 x 95 cm.
Josef Hoffmann entwarf für die Reisser-Koje auch weitere Möbel. So einen ovalen und einen rechteckigen Tisch, Fauteuils, eine Stellage für die Bücher und Zeitschriften der Druckerei sowie Vitrinenkästen, in denen ebenfalls Druckwerke der Offizin präsentiert wurden.[2] Diese Möbel standen noch bis zur Jahrtausendwende im Chefbüro der Druckerei „Agens-Werk“ in der Arbeitergasse in Wien-Margareten.
Christoph Reisser war eine bedeutende Persönlichkeit innerhalb des Druckergewerbes. Als Besitzer der Druckerei in der Arbeitergasse, die 1914 rund 350 Mitarbeiter beschäftigte, war er Präsident des Reichsverbandes österreichischer Buchdruckereibesitzer und 1913/14 gleichzeitig Präsident des Exekutivkomitees für das Österreichische Haus auf der BUGRA. Dieses Haus war eine Nachnutzung des österreichischen Pavillons für die Internationale Baufachausstellung in Leipzig 1913, der vom Architekten Eduard Zotter errichtet wurde.[3]
Im Katalog des Österreichischen Hauses sind unter dem Stand von Christoph Reisser’s Söhne einige großformatige Drucksorten angeführt: „Buch- und Wandkalender. Von Hans Wilt, Max Suppantschitsch, C. O. Czeschka, Heinrich Lefler und Joseph Urban, Rudolf Junk, Luigi Kasimir, Remigius Geyling, Rudolf Geyer. Farbendrucke, Künstlerlithographien, Reliefkarten (Originallithographien von Gustav Jahn).“[4]
Von Gustav Jahn waren die Reliefkarten der neuerrichteten Karawanken-, Karwendel- und Salzkammergutbahn ausgestellt, sowie eine Dolomitenkarte für die Südbahngesellschaft, die auch die 1910 fertiggestellte Dolomitenstraße von Bozen nach Toblach präsentierte. Da die Druckerei Reisser auch einen Großteil der Plakate des Künstlerbundes Hagen druckte, werden wohl auch davon einige Exemplare in Leipzig zu sehen gewesen sein.[5]
Noch 1985, zum 100-jährigen Jubiläum der Druckerei, rühmte sich das „Agens-Werk Geyer + Reisser“ als Protagonist der gerade entstehenden Wien-um-1900-Mode.[6] Seit rund zwanzig Jahren aber ist der Verbleib des ehemaligen Firmenarchivs unbekannt, und die Möbel des Direktionszimmers sind in alle Winde zerstreut. Noch 1990 konnte Friedrich Achleitner über das vom Architekten Leopold Simony errichtete Druckereigebäude behaupten: „Die Anlage gehört zu den wenigen gut erhaltenen und noch in ursprünglicher Verwendung befindlichen Druckereigebäuden der Jahrhundertwende.“ Heute erinnert nichts mehr daran, dass an der Ecke Arbeitergasse/Spengergasse bedeutende Werke der österreichischen Plakatkunst entstanden.
[1] Sachs, Hans: Die Plakatsammlung, in: Das Plakat, 1911, S. 104ff.
[2] Vgl. Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmanns Möbel von der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (BUGRA), Leipzig, 1914, in: Hoffmann zum Quadrat. Hrsg. von der Galerie bei der Albertina Zetter, Wien 2005, S. 44–59.
[3] Vgl. Maryška, Christian: Die Buchbinderei Hermann Scheibe auf der Bugra 1914 in Leipzig, in: Helmut Lang, Hermann Harrauer (Hrsg.): Mirabilia artium librorum recreant te tuosque ebriant. Festschrift zum 66. Geburtstag für Hans Marte, Wien 2001, S. 177–186.
[4] Larisch, Rudolf von – Adolf Vetter (Hrsg.): Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik. Österreichisches Haus, Wien 1914, S. 242.
[5] Denscher, Bernhard: Die Hagenbund-Plakate. Visuelle Selbstdarstellung der Künstlervereinigung, in: Tobias Natter (Hrsg.): Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900–1938, Wien 1993, S. 45–52.
[6] Jubiläums-Festschrift „100+1 Jahr Kunst und Druck. Verlag Anton Schroll & Co, Agens-Werk Geyer + Reisser, Verlag Georg Fromme & Co, Wien 1985.