Selten, dass ein Buch schon so gut und treffend mit dem Umschlag beginnt: Man sieht darauf den deutschen Bundeskanzler Ludwig Erhard, wie er im offenen Mercedes durch Schweinfurt fährt, während ihm die Menschen am Straßenrand begeistert zujubeln. Assoziationen zu öffentlichen Auffahrten von Adolf Hitler, der sich ebenfalls in Mercedes-Cabriolets von der Menge feiern ließ, stellen sich ein. „Propaganda nach Hitler“ lautet der Haupttitel dieser „Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949 – 1990“ von Thomas Mergel.
Das Cover ist damit eine perfekte Illustration zum Inhalt des Buches. Darin wird das Phänomen der politischen Propaganda in der Bundesrepublik nach den Erfahrungen mit dem Totalitarismus der Nationalsozialisten ausführlich analysiert.
Auch wenn die Ähnlichkeit der Bilder frappierend ist, so war der gemütlich wirkende deutsche Bundeskanzler Erhard, der schon von seiner Körperfülle her wie das personifizierte Wirtschaftswunder aussah, über den Verdacht erhaben, an die Perfidie nationalsozialistischer Propaganda anzuschließen zu wollen. Im Gegenteil: in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit war man von allen politischen Seiten her bestrebt, nicht Propaganda nach Art von Goebbels und Hitler zu machen, sondern eine der Demokratie würdige Aufklärungsarbeit zu leisten.
Im Vergleich dazu zeigten die Parteien in den österreichischen Wahlkämpfen der vierziger und fünfziger Jahre wesentlich weniger Sensibilität im Umgang mit der Vergangenheit. Nicht nur die Personalisierung der Werbung, sondern auch deren Kehrseite, nämlich die schonungslose Diffamierung des politischen Gegners, sind hier direkt aus den Prinzipien der NS-Propaganda abzuleiten.
Andere interessante Bezüge zur österreichischen Politik beleuchtet die Untersuchung in Zusammenhang mit den Kontakten der deutschen zur schwedischen und österreichischen Sozialdemokratie unter dem legendären Dreigestirn Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky: „Den Wahlkampf als ein Gespräch zwischen Politik und Bürgern zu inszenieren – was den sozialdemokratischen Wahlkampf seit 1969 auszeichnete – war dem schwedischen Vorbild entnommen: auch das leuchtende Orange, die sozialdemokratische Farbe der siebziger Jahre, war von den schwedischen Sozialdemokraten abgekupfert.“ Diese auf die deutschen Bundestagswahlkämpfe gemünzte Analyse von Thomas Mergel hat auch für den SPÖ-Wahlkampf 1970, aus dem Bruno Kreisky als Sieger hervorging, Gültigkeit.
Thomas Mergel, Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts in Berlin, sieht in Wahlkämpfen nicht einfach ein „Vorspiel des Wahlausgangs“: „Er ist vielmehr eine Phase dichter politischer Kommunikation, in der nicht nur spezifische politische Ziele und Wege, sondern auch das Selbstbild des politischen Systems, der politischen Klasse und die gesellschaftlichen Konflikte sehr klar ausgedrückt und umkämpft werden.“ Der Wahlkampf stellt damit keine Übergangszeit zur eigentlichen Politik dar, sondern ist wesentlicher Bestandteil derselben. Dem Autor gelingt es in seiner Arbeit diese These fundiert zu belegen und so die spezifische Kultur der politischen Auseinandersetzungen in Deutschland eindrucksvoll zu beleuchten. Das Buch besticht dabei sowohl durch die ungeheure aufgearbeitete Materialfülle als auch durch seine anschauliche Darstellung und präzise Analyse.
Mergel, Thomas: Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2010.