Julius Klinger gehört zu den prägenden Künstlern deutschen Plakatschaffens vor dem ersten Weltkrieg und wurde nach 1916 einer der wichtigsten Erneuerer österreichischer Plakatkunst. Im Spannungsfeld der Antipoden Lucian Bernhard und Ludwig Hohlwein hatte er im Plakat eine künstlerische Sprache gefunden, die zwar Bernhard zugeneigt aber von ganz individueller Kraft war. Formal gründete sie sich sowohl auf graphische Klarheit und eine bis heute modern wirkende, mitunter radikale Ökonomie der künstlerischen Mittel. Auf den typisch Klingerschen Witz ist oft verwiesen worden. Klinger vermochte es, den Mann auf der Straße wie den Gourmet gleichermaßen zu begeistern. Sein Humor war liebenswürdig-ironisch ohne Sentimentalität, treffsicher ohne derb zu sein. Von der Modezeichnung wie der Karikatur gleichermaßen angeregt, beherrschte Klinger sowohl die feinsinnige elegante Linie als auch die karikierende Überzeichnung. Oft verbindet sich mit seinem Humor sein Interesse für Mode, sein wacher Blick auf Kleidung, seine Aufmerksamkeit für graziöse Bewegungen, seine Liebe für modistische Draperien. Max Osborn verwies auf Klingers Herkunft „aus dem Betrieb der Mode”1, mit dem Hinweis auf Klingers Mutter, die eine bekannte Wiener Kleiderkünstlerin gewesen sein soll. Klingers Sinn für Rhythmus und Klänge bestimmt die Eleganz seiner Kompositionen, die Noblesse seiner Farben. Die Beherrschung der Klaviatur feiner gebrochener Töne bis zur lapidaren Reinheit greller, leuchtender Farben bleibt in ihrer Selbstverständlichkeit ohne Beispiel.
Julius Klinger wurde am 22. Mai 1876 als Sohn des Kaufmanns Josef Klinger und dessen Frau Luise, geb. Blan, geboren. Nach dem Besuch von Volks- und Unterrealschule studierte er vom Wintersemester 1892 bis zum Sommersemester 1894 an der Niederen Fachschule für Bau- und Maschinenschlosserei am Technologischen Gewerbemuseum in Wien. Mathematik und Kalkulation standen auf dem Studienprogramm. Daneben wurde er in den Fächern Baukonstruktion sowie Technisches und Gewerbliches Fachzeichnen unterrichtet. Als Volontär der „Wiener Graphischen Industrie“ zeichnete er nach dem Studium zunächst für die „Wiener Mode”. Gleichzeitig lernte Klinger Koloman Moser kennen. Durch dessen Förderung und Vermittlung ging er 1896 nach München und begann als Zeichner für die Zeitschrift „Jugend” und die „Meggendorfer Blätter” zu arbeiten. Ein Jahr später, 1897, zog es ihn – wie viele Wiener – in das offenere Berlin. Gemeinsam mit Albert Knab eröffnete er hier ein Atelier. Ihren Kunden boten sie „Originalentwürfe für die Graphischen Künste und für alle Gebiete des Kunstgewerbes”2 an. Klingers 1901 und 1902 erschienene Vorlagenbücher „Das Weib im modernen Ornament” und „Die Grotesklinie und ihre Spiegelvariationen im modernen Ornament und in der Dekorationsmalerei” machen seine am Jugendstil orientierten Auffassungen dieser Zeit deutlich. Daneben hatte das Werk Aubrey Beardsleys Vorbildwirkung. 1898 und 1899 zeichnete Klinger für das in nur 13 Heften erschienene „Narrenschiff”, seit 1902 für die Zeitschrift „Bühne und Brettl”, 1904 für die von Gustav Meyrink redigierte Zeitschrift „Der liebe Augustin”. Es folgten Arbeiten für die von Lothar Meggendorfer herausgegebene „Lustige Woche”. Die meisten Illustrationen entstanden zwischen 1897 und 1906 für die „Lustigen Blätter”. Sie fallen durch ihre pointierte Bildsprache auf. Klingers konsequente Hinwendung zur schlichten Würde und Redlichkeit der graphischen Fläche und Konturlinie prädestinierten ihn für die Aufgabe Plakat, der er sich gleichzeitig, seit 1897 widmete. Es ist wohl Ernst Growald, dem Leiter der Abteilung moderner Druck und Teilhaber der Druckerei Hollerbaum & Schmidt zu danken, Klingers Begabung entdeckt zu haben. Er suchte seinerzeit, beseelt von dem missionarischen Gedanken, auch in Deutschland der künstlerischen Reklame eine Heimstatt zu geben, geeignete Zeichner, die in der Lage waren, das Niveau der Plakatkunst zu heben. Klinger arbeitete seit 1898 für Hollerbaum & Schmidt. Bereits ein Jahr zuvor, 1897, entwarf er für „Das kleine Witzblatt“ sein erstes Plakat. Es weist noch Merkmale ausführlicher Zeichnung auf, wenngleich das Bemühen um großzügige Form bereits ausgeprägt ist.
Sehr rasch fand Klinger in der Folgezeit zu einem ausgeprägten Plakatstil, den er bis zur Virtuosität steigerte. Mehr und mehr verdrängte die Arbeit am Plakat die des Illustrators. Ab 1905, mit wachsendem Erfolg der Druckerei, gehörte Klinger neben Lucian Bernhard, Julius Gipkens, Paul Scheurich und Ernst Deutsch zu dem vertraglich fest an die Druckerei gebundenen Mitarbeiterteam. Rasch hatte Klingers Werk an Popularität gewonnen. 1910 war er einer der bekanntesten Plakatkünstler, dessen fachliche Kompetenz zunehmend gefragt war. Am 1. September 1910 begann er an der neugegründeten „Höheren Fachschule für Dekorationskunst” zu unterrichten. 1911 leitete er die Fachklasse für Plakatkunst an der privaten Reimannschule. Mit der Zusammenlegung beider Schulen zum 1.1.1912 und dem Weggang von Else Oppler-Legband, der Leiterin der Höheren Fachschule für Dekorationskunst, wurde Klinger Leiter der Dekorationsklassen. Bis zu seiner Einberufung zum österreichischen Militär im Mai 1915 blieb er Lehrer an den zusammengelegten Kunstschulen. Daneben meldete er sich seit 1907 in Diskussionen, Vorträgen und Artikeln als Theoretiker zu Wort.3 Er selbst hat sie in seiner 1924 als Vortrag gehaltenen Schrift „Das Chaos der Künste” (erschienen 1925) zugespitzt zusammengefasst. Er polemisierte vor allem gegen eine Verklärung der Reklame als „hohe” Kunst und die Verwässerung der dem Auftraggeber dienenden Werbung durch künstlerische Handschrift eines ausführlichen Illustrationsstils mit moralisch-ideologischem Anspruch. Ebenso lehnte er das Ornament um seiner selbst willen ab.
Der Weggang von Berlin sollte ein endgültiger werden. Nach dem Krieg hatte Klinger, dessen guter Ruf ihm nach Wien vorausgeeilt war, zunächst, zwischen 1919 und 1921, zahlreiche Plakate und Inserate für die Zigarettenpapierfirma Tabu ausgeführt.
Es folgten Plakate für Mayer-Drogerieartikel und die Wasserkraft-Elektrizitäts-Gesellschaft. Gemeinsam mit Schülern und Anhängern entwickelte er eine neue künstlerische Sprache, die stärker als bisher mit der reinen Linie arbeitete und Farbe meist auf rot, blau und schwarz reduzierte. Mit „Poster Art in Vienna” stellte sich Klinger mit seinen Mitstreitern dem amerikanischen Markt in einem programmatischen Musterbuch vor. 1928 schließlich reiste er in das Land seiner Sehnsucht. Auf Einladung von General Motors weilte er von Dezember 1928 bis April 1929 in den USA. Eher enttäuscht kehrte er nach Wien zurück.
Auf Betreiben Wilhelm Deffkes, den er schon aus den Berliner Jahren kannte, unterrichtete Klinger von März 1930 bis September 1931 an der Magdeburger Kunstgewerbe- und Handwerkerschule. Im Zusammenhang mit seinen Studien zu Deffke fand Burkhard Sülzen einen Lebenslauf Klingers, der mit der Bewerbung um eine Festanstellung in Magdeburg geschrieben wurde.4
Von dem Plakatwerk der Wiener Jahre, das den Umfang der Berliner Zeit nicht erreicht hat, besitzt die Kunstbibliothek in Berlin leider nur 7 Arbeiten.
Die bereits von Bernhard Denscher erwähnten Todesumstände Klingers konnten nach Auskünften des Wiener Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes leider nur bestätigt werden. Zusammen mit seiner Frau Emilie, mit der er seit 1917 verheiratet war, wurde er am 2. Juni 1942 nach Minsk deportiert und dort umgebracht.
Aktualisierte und überarbeitete Fassung des 1997 erstmals erschienenen Artikels:
Kühnel, Anita: Julius Klinger – Plakatkünstler und Zeichner, in: PlakatJournal 1997/3, S. 18ff.
Der Autorin und den Herausgebern von PlakatJournal, René Grohnert und Jörg Weigelt, wird für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Beitrages in deutscher und englischer Sprache gedankt.
1 | Osborn, Max: Julius Klinger. Schwarz-Weiß, in: Deutsche Kunst und Dekoration XXI, 1907 – 1908, S. 277. |
2 | Gemeinsamer Inseratbrief, um 1900. |
3 | Kühnel, Anita: Julius Klinger. Plakatkünstler und Zeichner, Berlin 1997 (=Bilderheft der Staatlichen Museen zu Berlin, 89. Heft). In dem Ausstellungskatalog sind Klingers theoretische Ansichten erläutert und kommentiert, siehe S. 28ff. |
4 | Ebenda, S. 23ff. Das Dokument wurde hier erstmalig veröffentlicht. |