„Das Plakat, die Königsdisziplin im Grafik-Design, war und ist fest in Männerhand“ – mit dieser Feststellung beginnt jener Beitrag, den die Schweizer Kunsthistorikerin Bettina Richter für das vor kurzem erschienene Buch „Women in Graphic Design“ verfasst hat. Die Autorin bietet in ihrem Essay „Plakatgestalterinnen – eine Spurensuche“ einen aufschlussreichen Überblick über die Entwicklung des internationalen Grafikdesigns am Beispiel einiger beachtenswerter Entwerferinnen. Richter beginnt ihre Darstellung mit der Französin Jane Atché (1872-1937) und beendet sie mit Catherine Zask (geb. 1961). Die Autorin orientiert sich in ihrer Auswahl nicht einfach an einer genderspezifischen Zuordnung, sondern – dies ist Bettina Richter wichtig – vor allem an der Qualität: „Wenngleich soziale und kulturelle Argumente die Beteiligung von Frauen im Kunstbetrieb verhindern oder zumindest hemmen mögen, erweist man Künstlerinnen und Gestalterinnen keinen guten Dienst, diese vordergründig zu behandeln.“
Mitherausgeberin Gerda Breuer gibt in ihrem Beitrag „Gender und Kreativität“ eine Übersicht zum Thema „Professionalisierung des Berufs der Grafik-Designerin in der Moderne“ und ortet dabei drei Brennpunkte im Laufe der Geschichte, an denen es Frauen möglich war, relativ ungehindert als Gestalterinnen zu arbeiten: nämlich die Arts and Crafts-Bewegung, die Wiener Werkstätte und den russischen Konstruktivismus. In Bezug auf die Entwicklung in Österreich sieht Breuer Ähnlichkeiten zur damaligen Situation des Kunstgewerbes in Großbritannien: „Auch hier förderte die Kultur einer Stadt die Entfaltung der angewandten Kunst: Wien war Zentrum der Secessionsbewegung und ihrer Orientierung an einer Entgrenzung der Künste hin zur angewandten Kunst. Die Bewegung wurde ebenfalls von starken Gruppierungen der Frauenemanzipation flankiert, die in Wien gut vernetzt waren.“
Neben weiteren Essays, Interviews mit bedeutenden Designerinnen und einer Reihe von Schrift- und Bild-Dokumenten ist das „Herzstück“ des Buches eine Sammlung von rund 400 Kurzbiografien wichtiger Designerinnen aus aller Welt. Darunter finden sich auch 19 österreichische Entwerferinnen. Der Bogen reicht dabei von Ditha Moser (1883-1969) bis Claudia Alessandri (geb. 1960). Es liegt in der Natur der Sache, dass einem bei derartigen Kompilationen noch weitere Namen einfallen, die man auch berücksichtigen hätte können. Es sind dies aus österreichischer Sicht etwa so hervorragende Designerinnen wie Margit Doppler (Kováts), Else Czulik, Fritzi Weidner oder Ilse Jahnass aus der älteren Generation und Anita Kern, Maria-Anna Friedl oder Nina Wilsmann aus der Gegenwart. Aber das ist ja auch der Sinn eines solchen Buches, dass es einen Anstoß für weitere Forschungen geben soll. Dazu die Herausgeberinnen: „Ziel des Projekts ist es, Grafik-Designerinnen als eine eigenständige Berufsgruppe zu untersuchen. Da Frauen- und Geschlechterforschung fast ausschließlich in benachbarten Berufsgruppen wie der freien Kunst, der Architektur und im Produktdesign stattfindet, soll dieser Band ein Einstieg in die Besonderheit dieses Berufsfelds sein.“ Die Umsetzung dieses Vorhabens ist den Herausgeberinnen und Beiträgerinnen des 608 Seiten starken Bandes überzeugend und nachhaltig gelungen.
Breuer, Gerda – Julia Meer (Ed./Hrsg.): Women in Graphic Design 1890-2012. Frauen und Grafik-Design, Berlin 2012.