„Die Physiker erklären die Entstehung des Universums mit der Urknalltheorie: Am Anfang war der ‚Big Bang‘ – der große Knall, aus dem alles entstanden ist.
Auch in der Geschichte des Grafikdesigns – so die These dieses Buches – gibt es solche Urknallmomente, große Ideen, die erklären, warum Layouts und Entwürfe aussehen, wie sie aussehen, und die die Gefühle auslösen, die sie auslösen. 100 Ideen, aus denen neue grafische Universen entstanden sind.“
So definieren Steven Heller und Véronique Vienne die Grundidee zu ihrem neu erschienenen Buch „100 Ideas that Changed Graphic Design“, für dessen deutsche Übersetzung der sprachlich etwas holprige Titel „100 Ideen verändern Grafikdesign“ gewählt wurde. Die Publikation eröffnet aufgrund ihres originellen Konzeptes und der Kompetenz des Autorenduos einen überaus spannenden Blick auf die Geschichte kommunikativen Designs. Die Liste der Erörterungen reicht vom ersten Kapitel – betitelt „Das Buch“ – über „Das Sachplakat“, „Collagen“, „Street Slogans“ und den „Strichcode“, bis man mit Nummer 100 beim Thema „Designer-Websites“ angelangt ist.
Die zwölfte zündende Designeridee in dem Band ist dem „Ornament“ gewidmet. Dazu heißt es: „Sind Schnörkel, Schmuck und Ornamente verwerflich? Glaubt man dem Titel der 1908 erschienenen Streitschrift Ornament und Verbrechen des österreichischen Architekten Adolf Loos, dann schon. Tatsächlich sind dekorative Elemente an sich aber weder gut noch schlecht. Auch wenn sie allzu oft benutzt werden, um gestalterische Schwachstellen zu kaschieren, eignen sie sich bei angemessener Verwendung durchaus dazu, den Inhalt, um den es geht, ins rechte Licht zu rücken.“ Es gehört zur Komplexität der österreichischen Kulturentwicklung, dass hier als Kronzeuge gegen das Ornament Adolf Loos zitiert wird, während im selben Artikel als eines der besten Beispiele für ornamentale Grafik das Plakat für die 13. Ausstellung der Secession von Kolo Moser dient. Aber schließlich ist Wien ja auch die Stadt der goldenen Opulenz von Gustav Klimt ebenso wie der klaren Nüchternheit von Ludwig Wittgenstein.
Das Buch von Heller und Vienne bietet viele Informationen zur Geschichte des Grafikdesigns und zeigt wieder einmal, dass der österreichische Anteil an dieser Entwicklung nicht unbedeutend war: Da sind Wiener Werkstätte und Secession Fixpunkte der Darstellung, „Ver sacrum“ ein prominentes Beispiel für die „Moderne im Quadrat“, Kolo Moser ein Hauptdarsteller im Kapitel „Pflanzengeometrie“. Vertreten ist auch Otto Neurath, der hierzulande immer noch unterschätzte Urheber der „Piktogramme“, und Stefan Sagmeister ist natürlich der Protagonist beim Thema „Körperschriften“.
Heller, Steven – Véronique Vienne: 100 Ideen verändern Grafikdesign, Köln 2012.