„Das Plakat“ (Charlottenburg, Kant-Straße 138) gibt im amtlichen Auftrag ein Heftchen heraus: „Das politische Plakat“.
Mir liegt ein Brief Paul Zechs an den Herausgeber vor, worin er auseinandersetzt, was er als Chef des Werbedienstes der deutschen Republik alles gewollt und erreicht hat und nicht erreichen konnte. Die Schwierigkeiten und den besten Willen zugegeben: das sind gar keine politischen Plakate.
Wie schon einmal hier in den „Antworten“ auseinandergesetzt worden ist, wiegelten diese Blätter alle ab und waren mehr oder minder für Geld i.A. angefertigt. So gehts aber nicht.
In dem ganzen sauber ausgestatteten Heft findet sich nicht ein Blatt, aus dem etwa der Haß gegen das alte Regime flammte. Das aber wäre Revolution, das wäre ein politisches Plakat. Sie setzen bieder und brav auseinander, dass man nun arbeiten müsse – und man riecht förmlich den Geheimrat dahinter, der dem Graphiker gesagt hat, was er machen solle. So entsteht nimmermehr etwas Brauchbares und Gescheites.
Und es wirkt auch nicht. Ich persönlich halte die Verwendung Pechsteins und der Expressionisten zur Plakatverfertigung für einen Mißgriff – denn die Augen der Massen sind gar nicht erzogen, so zu sehen, und so einfach ist das schließlich nicht, aus einem Wirrwarr des Malers Richter sich erst den Mann herauszuklauben, der inmitten roter Fahnen auf ein paar umständlich formulierte Abstrakte deutet: „Drei Worte: Ungestörte Demobilmachung, Aufbau der Republik, Frieden.“ Abgesehen davon, dass es Friede heißt: ehe man das begriffen hat, ist der Mond schon auf die Erde gefallen.
Das sitzt nicht. Das haut nicht. Das peitscht nicht. Und kann es das denn, wenn die Überzeugung fehlt?
Und wenn selbst die Überzeugung da wäre, wo sollte man sie denn plakatieren? Und hier kommen wir auf ein außerordentlich bedenkliches Gebiet.
Ich halte es für selbstverständlich, dass Firmen, die ein Monopol haben, keine Zensur ausüben dürfen. Sie wird aber – stillschweigend – ausgeübt. Das geht nicht und darf nicht sein. Es darf keiner, der im freien Handel tätig ist – zum Beispiel: ein Buchhändler –, gezwungen sein, dieses oder jenes Werk zu vertreiben: es darf aber auch keiner, der allein an bestimmten Stellen verkaufen darf, zensieren. Wir haben immer noch nicht begriffen, dass Litfaßsäulen und Bahnhofsbuchhandlungen dem öffentlichen Leben gehören, allen gehören, und dass die Regierung klug und weitherzig genug sein sollte, auch ihren Feinden eine öffentliche Propaganda nicht zu verwehren, die im geheimen weit wirksamer, also gefährlicher ist.
Ich glaube aber, dass es diese Widerstände aus Gummi nicht allein waren, die das politische Plakat bisher in Deutschland gar nicht aufkommen ließen und uns an seiner Statt zahme Fibelsprüche, übers Bett zu hängen, bescherten.
Uns fehlt der volkstümliche Zeichner, der hassen kann und sie alle mitreißt: den Droschkenkutscher und den Obstverkäufer und den Eisenbahner und den geworbenen Soldaten und alle. Bei den Antibolschewisten drängen sich die Meister des Kitsches und erreichen nichts. Was müßte einer bewirken, der die Sprache des Volkes auf seinen Blättern spricht und dann noch seiner oppositionellen Überzeugung Form verliehe!
Daumier! Wo bist du? Aber ach, es meldet sich ein Berliner aus Breslau und zeichnet auch hierfür ein hübsches, gefälliges, nettes Vierfarbenplakat.
Veröffentlicht unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel, in: Die Weltbühne, 21.8.1919, Nr. 35, S. 239.