Zum proletarischen Kino in Österreich finden sich in der Plakatsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek zwei substantielle Bestände, die in der Folge näher vorgestellt werden sollen. Einerseits sind es die aufwendig gestalteten Plakate für den Ende 1926 gegründeten Newa-Filmverleih, der erstmals verstärkt den sogenannten Russenfilm in die Wiener Kinos bringen sollte. Andererseits gibt es ein Konvolut von billig und schnell produzierten – teilweise wahrscheinlich auch klandestinen – Plakaten, die über die Pressepolizei ab etwa 1930 an die Nationalbibliothek gelangten.
In der relativ kurzen, zweijährigen Phase (1926–1928), in der die Newa das Monopol für sowjetische Filmproduktionen inne hatte, kamen rund dreißig Filme in den österreichischen Verleih. Zu 16 Produktionen sind in der Österreichischen Nationalbibliothek Plakate erhalten, die von der Newa in Auftrag gegeben wurden.
Die herausragende Persönlichkeit unter den Entwerfern – er hat auch den größten Teil dieser „Russenplakaten“ gestaltet – war Michael Biró (Budapest 30. November 1886 – 6. Oktober 1948 Budapest).[1] Schon vor dem Ersten Weltkrieg war der aus einer jüdischen Familie stammende Biró eine bekannte Größe unter den Plakatgestaltern, hatte er doch 1911 die Figur des nackten, herkulesartigen, roten Riesen mit dem Hammer für die sozialdemokratische Zeitung “Népszava” geschaffen, die vielfache Nachahmer finden sollte. Ottokar Mascha lobte in seiner Österreichischen Plakatgeschichte, die sich auf die gesamte österreichisch-ungarische Monarchie bezog und als erstes heimische Standardwerk zum Medium Plakat gelten kann, “die große Kraft des Ausdrucks dieses bedeutenden Künstlers”[2] und meinte damit die Plakate, die er vor 1914 für die ungarischen Sozialdemokratie entwarf. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich entschieden für die ungarische Räterepublik und wurde dafür zum Professor für Plakatkunst an der Hochschule für Bildende Kunst in Budapest berufen und wenig später Regierungskommissar für illustrierte politische Plakate.[3] Diese Tätigkeiten konnte er jedoch nicht mehr wahrnehmen, war doch im Sommer 1919 das Horthy-Regime an die Macht gekommen. Wie viele andere ungarische Künstler musste er emigrieren. Am 1. November 1919 trat Michael Biró die Reise nach Wien an und hatte sofort seinen ersten Auftrag in der Tasche. Er sollte für die Wahlplakate der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verantwortlich sein und ihr so eine neue Corporate Identity verleihen. Die Plakate dürften nicht folgenlos geblieben sein, denn die Partei beauftragte ihn auch für die folgende Wahl im Jahr 1923. Bernhard Denscher meint, dass vor allem sein politisches Engagement für den Erfolg verantwortlich war. “Seine Tätigkeit begriff er als politische Öffentlichkeitsarbeit, es scheint, dass seine Werke eher einer politischen und psychologischen als einer künstlerischen Kritik hätten standhalten sollen.”[4] Doch es gab auch eine kommerzielle Seite des Michael Biró, die wohl auch mit der ungarischen Community im Wien der zwanziger Jahre in Verbindung zu bringen ist. 1919 emigrierte auch ein anderer, gleichaltriger Budapester aus nicht ganz so edlen Motiven in die ehemalige Kaiserstadt. Imre Békessy gründete im März 1923 die Tageszeitung „Die Stunde“ und im November1924 das Lifestyle-Magazin „Die Bühne“.[5] Für beide boulevardnahe Organe engagierte er Biró, für „Die Bühne“ sogar als Art Director, der sich damals noch künstlerischer Leiter nannte.[6]
Michael Biro. Der künstlerische Leiter der „Bühne“
Wo immer unsere Leser einen flotten, zeichnerischen Einfall, eine anmutige illustrative Idee, wo immer sie Feinheit und Witz der Linie bewundern, alles das stammt von Michael Biro, einem Künstler, den zu allen seinen menschlichen Eigenschaften, auch noch Bescheidenheit ziert. Die Falten in seinem Gesichte hat er sich dank der Sorgen zugezogen, die ihm sein Metier und seine Mitarbeiterschaft an der ‚Bühne’ und an der ‚Stunde’ bereiten; seine geniale Vielseitigkeit wird noch von seinem gewissenhaften Eifer übertroffen, den er in allem und jedem an den Tag legt. Michael Biro ist uns ein lieber Kollege und überaus wertvoller Mitarbeiter, und wir sind dessen sicher, daß unsere Leser ihn ebenso rasch liebgewinnen werden, wie ihn die Leser der ‚Stunde’ liebgewonnen haben. Meister Biro steht auf der Höhe seines Könnens.
(Aus: Die Bühne, Heft 2, November 1924, S. 4)
Wahrscheinlich auch über das exilungarische Netzwerk wird dann der Kontakt zum Newa-Filmverleih entstanden sein, stammte doch der Geschäftsführer Adalbert Peller ebenfalls aus dem ehemaligen ungarischen Reichsteil der Doppelmonarchie. Zehn Biró-Plakate für den Newa-Verleih sind dokumentiert.[7] Wie auch seine politischen Plakate, sind die Filmplakate vom Expressionismus geprägt und zeugen von gesellschaftspolitischem Engagement. Komponiert mit kraftvollem Pinselstrich sind sie nicht immer frei von Pathos. Von den nachfolgenden, postexpressionistischen Kunstströmungen hielt Biró wenig. “Selbstverständlich werden Plakate mit wuchtigen, blitzartig hingeworfenen Strichen eine viel größere Wirkung auf die Massen haben als schön ausgeführte und sogenannte sachliche Plakate”, notiert er später in der Zeitschrift Gebrauchsgraphik.[8] So werden ihm wohl auch die zeitgleich entstandenen, konstruktivistischen, vom Bauhaus beeinflussten Plakate von Jan Tschichold, die er für ein Münchner Kino schuf und die heute Ikonen der Plakatkunst sind, nicht besonders gefallen haben. Im Sommer 1928 übersiedelte Michael Biró nach Berlin und arbeitete teilweise für die Ufa. Da seine Aufenthalterlaubnis nicht verlängert wurde, kam er 1932 wieder zurück nach Wien. Da er sichtlich an den Februarkämpfen 1934 beteiligt war, musste er in die Tschechoslowakei emigrieren und nach der Annektierung des Sudetenlandes flüchtete er im November 1938 nach Paris. Todkrank und dem KZ knapp entronnen kehrte er im Mai 1947, nach 28 Jahren im Exil, in seine Heimatstadt zurück. Die für ihn vorgesehene Professur konnte er nicht mehr antreten.[9]
Leicht gekürzte Fassung des 2007 erschienenen Artikels:
Christian Maryška: Von linker Hand entworfen. Plakate zum proletarischen Kino in Österreich. In: Christian Dewald (Hrsg.): Proletarisches Kino in Österreich. Band 1: Arbeiterkino. Linke Filmkultur der Ersten Republik. Wien 2007, S. 193-213.
[1] Der Einfachheit halber, wird die deutschsprachige Variante seines Vornamen verwendet. Auch in der historischen Literatur firmiert er meist unter „Michael“ und nicht in der eigentlich korrekten ungarischen Form „Mihály“.
[2] Ottokar Mascha: Österreichische Plakatkunst. Wien 1915, S. 120.
[3] Emil Horn: Mihály Biró zum 100. Geburtstag. In: Biró Mihály 1886-1948. Wien-Budapest 1986, S. 11.
[4] Bernhard Denscher: Zur Bildsprache in den Plakaten von Mihály Biró. In: Biró Mihály 1886-1948. Wien-Budapest 1986, S. 18.
[5] Den Lesern der Zeitschrift „Die Bühne“ wird er mit folgenden Worten als künstlerischer Leiter präsentiert: „Wo immer unsere Leser einen flotten, zeichnerischen Einfall, eine anmutige illustrative Idee, wo immer sie Feinheit und Witz der Linie bewundern, alles das stammt von Michael Biró, einem Künstler, den zu allen seinen menschlichen Eigenschaften, auch noch Bescheidenheit ziert. […] seine geniale Vielseitigkeit wird noch von seinem gewissenhaften Eifer übertroffen, den er in allem und jedem an den Tag legt.“ (Die Bühne vom 14. November 1924).
[6] Für die von Karl Kraus gescholtene Békessy-Presse arbeiteten auch Anton Kuh, Béla Bálasz und Billy Wilder. Eine Reihe von ungarischen Künstler wie Otto Dély, Marcell Vértes, Lipot Gedö u. a. arbeiteten als Illustratoren ebenfalls für diese Blätter.
[7] Vier Plakate, nämlich „Die Bucht des Todes“ (1926), der allererste Newa-Film, „Der Sohn der Berge“ (1927) eine Motivvariante zu „Iwan, der Schreckliche“ (1927) und „Streik“ (1927) befinden sich nicht in der Plakatsammlung der ÖNB. In der damals führenden deutschsprachigen Zeitschrift für Graphic Design werden 1928 vier seiner Filmplakate reproduziert: „Bett und Sofa“, „Die von der Straße leben“, „Mutter“ und „Streik“. (H. K. Frenzel: Michael Biró. Ein ungarischer Plakatmaler. In: Gebrauchsgraphik, 1928, Heft 5, S. 62-67).
[8] Gebrauchsgraphik, 1932, Heft 7, S. 64.
[9] Eine ausführlicher Bibliographie zu Michael Biró findet sich im Allgemeinen Künstlerlexikon, Band 11, München 1995, S. 172.