Deyan Sudjic, einer der international angesehensten Experten für Architektur und Design, hat ein neues, bemerkenswertes Buch vorgelegt. Es heißt „B is for Bauhaus“ und bietet – so der Untertitel – „An A-Z of the Modern World“. Der essayistische Spaziergang des Autors durch Zeiten und Themen beginnt bei „Authentic“ und schließt mit der Bedeutung der Zippverschlüsse. Als LeserIn begleitet man den Autor gerne in die unterschiedlichsten Terrains der Gestaltungsfragen, denn Deyan Sudjic ist ein profunder Kenner der Materie und findet immer wieder interessante Ansätze, die er originell und mit trockenem Humor vermittelt. Das Buch hebt sich damit markant von der Flut an Ramsch-Bildbänden ab, in denen sich Live-Style-SchreiberInnen am Mode-Thema „Design“ versuchen.
Deyan Sudjic wurde 1952 in London als Sohn von aus dem damaligen Jugoslawien stammenden Eltern geboren. Nach einem Architekturstudium in Edinburgh gründete er 1983 gemeinsam mit Peter Murray das legendäre, heute noch bestehende Magazin „Blueprint“, das den Grenzbereich von Architektur und Design zum Thema hatte. Später wurde er Architektur- und Designkritiker für Zeitungen wie „The Observer“ oder „The Guardian“. Neben seiner Tätigkeit als Ausstellungskurator und Publizist übte Sudjic auch eine intensive Lehrtätigkeit aus, so war er unter anderem von 1993 bis 1997 Visiting Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Von 2000 bis 2004 war er Herausgeber des italienischen Magazins „Domus“. Seit 2006 ist Sudjic Direktor des Londoner Design Museums.
Das nun vorliegende, alphabetisch geordnete Lexikon ist eine vom Autor sehr persönlich gehaltene Tour d‘Horizon über das Erscheinungsbild der westlichen industriellen Welt. Sudjic schreibt da über das Bauhaus, über Autos („C ist for car“) ebenso wie über Stühle („C is for chair“), über Mode und Film, über Funktion, Küchen und über die Logos von Coca-Cola und Levi’s Jeans. Weitere Ausführungen sind der Idee des Museums an sich gewidmet, der nationalen Identität, dem Ornament, der Postmoderne. S steht dann für Slums und die austro-italienische Ikone der Postmoderne Ettore Sottsass. „T is for taste“ und das U führt zum dänischen Architekten des berühmten Opernhauses in Sidney, Jørn Utzon. Bevor gegen Ende noch YouTube einer gründlichen Analyse unterzogen wird, widmet sich der Autor den gestalterischen Aspekten des Kriegs („W is for war“) und einem Vergleich der ähnlich schwierigen aber doch unterschiedlichen Firmengeschichten von Xerox und Kodak.
Immer wieder geht der Autor, dessen väterliche Wurzeln in die österreichisch-ungarische Monarchie zurückreichen, dabei ausführlich auf österreichische Bezüge ein. Schon beim ersten Stichwort, „Authentic“, erläutert Sudjic am Beispiel des neuen, von Wien inspirierten Londoner Restaurants „Delaunay“, das sich der zentraleuropäischen Küche verschrieben hat, den Begriff von Authentizität: „For a moment, the illusion that we are in a Viennese coffee house, somewhere just off the Stephansplatz, is complete. It brings the nuanced pleasure of imagining that we have stepped inside from the black-market cold of Harry Lime’s Vienna under four power occupation, if not to the Vienna of the brilliant café conversations of Adolf Loos and Robert Musil.“ Doch die Blase der Illusion zerplatzt für den Autor als sich herausstellt, dass der Kellner noch nie in Österreich war und auch keine Idee von der Bedeutung des Restaurant-Interieurs hat: „The memory of what Vienna’s metropolitan culture had once been lingers in the dreams of London restaurateurs. Adolf Loos’s American Bar in Vienna, completed in 1908, with its sadomasochistic precision and restraint, has the quality of reality rather than the Delaunay’s knowing authenticity. Yet Loos was dreaming of elsewhere too; what else could an American bar at the heart of the Austro-Hungarian empire be but a mirage? It was authentic, but it wasn’t necessarily real. It’s authentic in its artistic sincerity.“
Und dann ist da noch der Buchstabe V – und „V is for Vienna“: Sudjic berichtet in diesem Lexikoneintrag von seinen skurrilen Erlebnissen als Professor an der Universität für angewandte Kunst unter Rektor Oswald Oberhuber in der Post-Waldheim-Ära: „When I arrived in 1993“, so der Autor, „as a guest professor, if you looked at its vaulted ceilings through half-closed eyes it was possible to believe that there was still a Hapsburg on the throne. Every term began with a dauntingly carnivorous professorial breakfast of cold meat, beer and pretzels.“ Und weiter erinnert sich Sudjic an Details der Bezahlung, die angesichts der aktuellen Probleme im Wiener Burgtheater staunen machen, wie lange derartige „Unschärfen“ von Seiten staatlicher Institutionen schon möglich sind: „Your salary could, if you asked, be paid into a numbered bank account that the tax authorities would never find.“
Abgesehen von derartigen Erlebnissen kam Deyan Sudjic in Wien zu einer wesentlichen Erkenntnis bezüglich der möglichen Spielarten von Modernität. Auch wenn der Autor im Detail etwas unpräzise in der Ableitung lokalhistorischer Ereignisse ist, kommt er doch zu einem richtigen Ergebnis. Der große Modernisierungsschritt der Stadt um die Wende zum 20. Jahrhundert fand allgemein in einem politisch repressiven Klima und insbesondere in der Ära des antisemitischen und engstirnig kleinbürgerlichen Bürgermeisters Karl Lueger statt, was zu einem eigenen, etwas modrigen Beigeschmack dieser Art von Moderne führte: „In Vienna modernity was in fact associated more with the end of a society than with the beginning of a new one.“
Was Deyan Sudjic nicht weiter ausführt, ist die Tatsache, dass viele Vertreter der Wiener Moderne der Jahrhundertwende in der Folge zu Wegbereitern und Vertretern des Nationalsozialismus wurden. Damit weist dieses bedauerliche Phänomen über Wien hinaus, nämlich zu der Tatsache, dass autoritäre und diktatorische Systeme zumindest in ihren Anfängen durchaus mit ästhetischen Modernisierungstendenzen einhergehen können, wie etwa der Verlauf der Französischen Revolution, die Anfänge der UdSSR oder der bemerkenswerte ästhetische Beitrag der Künstler zum italienischen Faschismus beweisen.
Sudjic, Deyan: B is for Bauhaus. An A-Z of the Modern World, London 2014.