Nora Stögerer studierte Informationsdesign an der FH Joanneum in Graz und machte anschließend ihren Master an der FH Potsdam. Bei dem Buch „Bekannte Unbekannte“ handelt es sich um die gedruckte Variante ihrer Masterarbeit, ein Desiderat, das sie gern selbst schon während des Studiums in Händen gehabt hätte. Bereits jetzt scheint klar, dass sie damit ein Standardwerk zur österreichischen Grafikdesign-Geschichte geschaffen hat.
Wenn man über Grafikdesign mit Österreich-Bezug schreibt, kommt man an einer Fixgröße nicht vorbei: richtig erraten – Stefan Sagmeister. Der Vorteil des Untertitels („Grafikdesign in Österreich“) – des hier besprochenen Buches ist, dass man den omnipräsenten Exil-Vorarlberger nicht behandeln muss, weil er ja in den USA lebt und arbeitet, wie man an seiner aktuellen Ausstellung im MAK sehen kann. Sein „approach“ ist ein durch und durch amerikanischer. In acht kursorischen Zeilen wird er dann doch kurz erwähnt (S. 122). So viel Ehre muss sein.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte: Gestern, Heute, Morgen. Das erste Kapitel gibt eine konzise Übersicht über die Geschichte des Grafikdesigns von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine geniale Idee von Nora Stögerer war, dass sie als Ergänzung die parallele Entwicklung in Deutschland und der Schweiz kurz skizziert. So hat man einen guten Überblick zum Grafikdesign im deutschsprachigen Raum über die Jahrzehnte hinweg.
Im zweiten Abschnitt „Heute“ werden zwölf renommierte Grafikdesigner und -designerinnen interviewt, wie sie die aktuelle visuelle Kommunikation beurteilen. Durch die kluge Interviewführung entstehen Porträts der handelnden Akteure und Akteurinnen, die viel von ihrer Arbeitsweise und ihren Prinzipien vermitteln.
Das letzte Kapitel „Morgen“ ist ein fast experimentell zu nennendes, quasi ein kreativer Staffellauf. 19 Grafikdesignstudios werden mit einer Auswahl von jeweils drei repräsentativen Arbeiten präsentiert, und am Ende steht eine prägnante Aussage der Protagonisten und Protagonistinnen. Diese Aussage wird anschließend von einem weiteren Büro visualisiert. Eine schöne Idee, die in dieser Form auch bestechend überzeugt.
Gerade in dieser Disziplin ist natürlich die buchkünstlerische Ausstattung von Interesse. Für das voluminöse Werk wurde als Leitfarbe Rot gewählt und die Typografie ist eine durch und durch österreichische. Als Massenschrift für die beiden ersten Kapitel wurde die gut lesbare Premièra (2009) von Thomas Gabriel von den Typejockeys gewählt. Der letzte, bildlastige Abschnitt, der auf Glanzpapier gedruckt ist, wird durch die modernistische Sans-Serif-Schrift Soleil (2011) von Wolfgang Homola begleitet. Der Seitenraster inklusive der Marginalspalte ist gekonnt umgesetzt. Der einzige, kleine Kritikpunkt an der Buchausstattung betrifft den Umschlag, der zu instabil ist und sich bei Temperaturschwankungen sofort verbiegt.
Abschließend meine Lieblingsaussage des Buches, die sich auf Seite 390 findet: Dort antwortet Astrid Seme auf die Frage „Welche Firma, Marke oder welches Produkt in Österreich würdest du gerne neu gestalten?“: „[…] die österreichische Fußballnationalmannschaft.“ Das hatte ich mir auch schon immer gedacht. Also, bitte schnell noch ein würde- und stilvolles Redesign für unsere begnadeten Ballesterer vor der Europameisterschaft, wenn auch wohl nur als fiktives Projekt.
Stögerer, Nora: Bekannte Unbekannte. Grafikdesign in Österreich, Zürich 2015.