Im blauen Badeanzug mit Badehaube unter den Titellettern, Laternen und Bändern, verschafft sich die Schwimmerin Abkühlung. Dabei dient ihr als Schwimmhilfe ein roter Schwimmreifen, den ein Männerkopf ziert. Eine fröhliche Einladung zu einem Unterhaltung versprechenden Fest.
Mihály Biró gestaltete regelmäßig das Cover und Illustrationen für die Zeitschrift „Die Bühne“ und so auch das Plakat zum Strandfest. Durchaus verwunderlich erscheint es, dass es für Biró neben seinem politischen Engagement für Arbeiterschaft und Sozialdemokratie (Stichwort „Roter Riese“) vereinbar war, für Zeitungen und Zeitschriften, wie „Die Stunde“ und „Die Bühne“, für letztere eine Zeit lang als künstlerischer Leiter, zu arbeiten. Zur Ankündigung des Strandfests wählte Biró eine auf den ersten Blick einladende und gleichsam lasziv wirkende Darstellung, begleitet von großer Leichtigkeit.
Um wen es sich bei den Dargestellten handelt, bleibt offen, auch wenn es zum Zeitpunkt des Entstehens wohl den meisten klar gewesen sein dürfte. Die Identität der Dame konnte jedenfalls nicht festgestellt werden. Beim Herrenkopf am Schwimmreifen könnte es sich um eine personifizierte Anspielung auf den Chefredakteur Hans Liebstöckl oder den Herausgeber Emmerich Békessy handeln. Auch drängt sich der Gedanke auf, es könne ein Porträt von Karl Kraus sein, da eine entfernte Ähnlichkeit der Darstellung mit Porträtfotos von Kraus festzustellen ist, die vor allem durch die runden Brillengläser evoziert wird.
Kraus und Békessy waren erbitterte Feinde. Also eine Karl-Kraus-Karikatur? Sollte es das im selben Verlag erscheinende Blatt nach den Veröffentlichungen „Der Stunde“ im Sommer 1925 erneut gewagt haben, Kraus ins Lächerliche zu ziehen? Oder ist es doch eine Békessy-Karikatur? Denn Emmerich Békessy hatte Österreich längst verlassen, als das Strandfest stattfand. Es könnte also durchaus eine Spitze in Richtung des (ehemaligen) Verlegers und Herausgebers sein.
Doch der Reihe nach. Imre (eingedeutscht: Emmerich) Békessy war 1919 von Ungarn nach Wien gekommen, vermutlich, um einer militärgerichtlichen Verurteilung wegen Erpressung zu entgehen. Er wurde 1923 eingebürgert, obwohl Polizeipräsident Johann Schober auf die in Ungarn gegen Békessy erhobenen Vorwürfe hingewiesen hatte. Ab 1923 gab Békessy „Die Stunde“ und ab 1924 „Die Bühne“ heraus. „Die Bühne“ präsentierte sich als Zeitung für Theater, Literatur, Film, Mode, Kunst, Gesellschaft und Sport in moderner und publikumsnaher Aufmachung, zeigte freizügige Abbildungen leicht bekleideter Mädchen und Tänzerinnen, berichtete aber auch ausführlich über die Wiener Frauenakademie und Ausstellungen von „Frauenkunst“ und wandte sich deutlich und offensiv gegen den wachsenden Antisemitismus.
Békessy war eine äußerst umstrittene Persönlichkeit und einer seiner potentesten Gegner war Karl Kraus (siehe dazu in der Wienbibliothek: Karl-Kraus-Archiv http://www.wienbibliothek.at/ueber-uns/projekte/karl-kraus-archiv ; sowie Teilnachlass Karl Kraus und Sammlung Karl Kraus / Anita Kössler/ ZPH 985), der ihn wiederholt in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ attackierte, ihm Skrupellosigkeit und erpresserische Methoden vorwarf. Oft beendete Kraus seine Vorlesungen mit dem auf Békessy gemünzten „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“, was zum geflügelten Wort wurde. 1926 ging sein Wunsch in Erfüllung, wenn vielleicht auch nicht wunschgemäß.
War dies schon im Zuge der Vorbereitungen für das Strandfest und bei Auswahl des Plakatsujets ersichtlich gewesen? Das in Heft 87 der „Bühne“ veröffentlichte Festprogramm für den Sonntag im Strandbad Klosterneuburg beschreibt ausführlich die zu erwartenden Attraktionen inklusive großem Land- und Wasserfeuerwerk. Das Fest wurde offenbar wetterbedingt auf den Ersatztermin, den 18. Juli, verschoben, da die Arbeiterzeitung vom 17. Juli 1926 von einem zukünftigen Ereignis schreibt, das sie als „Bekessy-Einbruch nach Klosterneuburg“ bezeichnet. In diesem Artikel werden die „Bekessy-Blätter“ erneut aufs Schärfste kritisiert und ihnen unlautere Methoden vorgeworfen, wie etwa die Erpressung von Künstlern und Künstlerinnen, die bei Verweigerung eines Interviews mit „Beschimpfungen, Verhöhnungen, Beleidigungen“ zu rechnen hätten. „Auf lauter solchen Erpressungen beruht ganz bestimmt auch das ‚Strandfest der Bühne‘, mit dem die Bekessy-Blätter am Sonntag das ahnungslose Klosterneuburg heimsuchen wollen. Das sieht man schon den Spenden an, zu denen sich so ziemlich alle Firmen der Innern [sic] Stadt bereit finden mußten. (…) Aber noch bemerkenswerter ist es womöglich, daß sich zu diesem ‚Strandfest‘, das für den Auswurf der Sirk-Ecke veranstaltet wird, der freilich über ganz Wien zerstreut ist, wirkliche Künstler hergeben. (…) Daß sich die anmutigen Tänzerinnen der Staatsoper Heddy Pfundmayer und Tilly Losch dazu hergeben, dem Bekessy-Publikum zum Ergötzen einen Boxkampf aufzuführen, ist weniger lustig, als sie meinen. Aber was soll man dazu sagen, daß sich die folgenden Künstler nicht schämen, an diesem Bekessy-Spaß ‚mitzuwirken‘: Hans Moser, Wanda Achsel-Clemens, Max Brod, Rita Georg, Eugen Günther, Professor Erich Meller, Louis Treumann, Rosy Werginz, Erik Wirl, Philipp Zeska, Edmund Eysler, Bruno Granichstätten, Bela Laszky, Käthe Rantzau, Oskar Sachs, Richard Waldemar und noch einige andre [sic], die anzuführen zu umständlich wäre, die aber ebenso eingeladen werden, sich ob dieser ‚Mitwirkung‘ zu schämen, wie die Genannten!“ (Arbeiter-Zeitung, Nr. 195, Wien, Samstag 17. Juli 1926, Seite 3) Am Ende des Artikels wird allen als „Zeichen wiedererwachenden Anstandsgefühls“ nahegelegt, dem Fest fern zu bleiben, denn: „D a s wäre dann ein wirkliches Wiener Fest.“ Dieser Empfehlung waren dann auch einige nachgekommen, wie am 20. Juli 1926 in der Arbeiterzeitung zu lesen stand. Doch vielleicht hatte das auch mit den Ereignissen im Vorfeld zu tun gehabt? Zuvor waren in Békessys Verlagsräumlichkeiten im Juni der Direktor und Prokurist Harry Meller O’Brien und im Juli 1926 der Direktor des Inseratenbureaus Eugen Forda wegen des Verdachts der Erpressung verhaftet worden.
Dass einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen zu sein scheint, ist auch der Wiener Zeitung vom 22. Juli 1926 zu entnehmen. „Das Strandfest in Klosterneuburg. Bezüglich der Notiz in einer Tageszeitung wird amtlich bekanntgegeben: Der Stadtvorstand Klosterneuburg hat das Bundesministerium für Heereswesen um Beistellung von zwei Scheinwerfern für ein am 11. oder 18. d. M. stattfindendes Strandfest ersucht. Nach dem Ansuchen sollte das Fest zugunsten des Allgemeinen Klosterneuburger Krankenhauses und des Notstandsfonds des Österreichischen Bühnenvereines abgehalten werden. Mit Rücksicht auf diesen wohltätigen Zweck wurde dem Bürgermeisteramt die Beistellung der zwei Scheinwerfer zugestanden; für die Kosten der Betriebsmittel hatte die Stadtgemeinde Klosterneuburg aufzukommen. Daß der Veranstalter des Strandfestes ein Wiener Zeitungsverlag ist, war dem Funktionär des Bundesministeriums für Heereswesen, der die Beistellung der beiden Scheinwerfer bewilligte, nicht bekannt.“ Von Wohltätigkeit war im Übrigen im gesamten Festprogramm nichts zu lesen gewesen. Im Vergleich zu den anderen Vorwürfen liest sich diese Ungeheuerlichkeit dennoch fast wie eine Nebensächlichkeit. In der selben Ausgabe der Wiener Zeitung wird der Rücktritt Békessys als Chefredakteur bekanntgegeben. Am 16. Juli hatte die Arbeiterzeitung gemeldet, dass sich Békessy nach Paris abgesetzt hatte.
Dass auch Karl Kraus das Strandfest in seiner „Fackel“ erwähnt hat, versteht sich fast von selbst. Dreimal kommentiert er im Zuge der Aufzählung der Verfehlungen von Imre Békessy das Strandfest und ist in seiner Wortwahl wenig zimperlich, wenn er sich über die Prämierung der „schönsten Beine bei einem Strandfest“ mokiert, vom „Strandfest der Seeräuber“ schreibt und sich über „Spanferkelrennen“ und „Pyjamatanzkonkurrenz“ auslässt. Wie tief die Feindschaft der beiden Männer ging, offenbart unter anderem eine Textstelle der „Fackel“ von Anfang Juli 1926: „Denn ich habe es satt, mit Emmerich Bekessy die Luft einer Stadt zu atmen, wenigstens außerhalb ihres Gefängnisses, und lieber säße ich mit ihm drin, als ihn weiterhin freien Fußes seine Tänze und Eskapaden, seine Feste und Ausflüge, seine Nasführungen und Zaubereien veranstalten zu sehen“ (S. 9). Und auf der Titelseite der „Fackel“ von Mitte August beginnt Kraus mit den Worten: „Der Schuft ist draußen.“
So wird das luftig-leicht daherkommende Plakat in einer zweiten Ebene doch inhaltsschwer. Ob es auch Gäste gab, die sich an diesem Tag vergnügt haben? In der Tagespresse fand dies zwar keinen merklichen Widerhall, doch die „Bühne“ feierte sich nochmals selbst und reservierte für die Nachschau auf ihr Strandfest acht Seiten im am 29. Juli 1926 erscheinenden Heft 90. Die Fotos künden von einem ausgelassenen Sommertag, doch die ersten Zeilen auf Seite 6 lassen doch Zweifel aufkommen: „Das Strandfest der ‚Bühne‘ war in Wahrheit ein großes gesellschaftliches Ereignis. Wenn man bedenkt, daß zur selben Zeit ein gewaltiges Turnerfest breite Menschenmassen fernhielt, wenn man bedenkt, daß doch ein Großteil der Wiener in der Sommerfrische weilt oder auf Urlaub ist, und wenn man im Vergleich dazu die Ziffer der Teilnehmer am Strandfest wertet …“ Weiters wird vom „ersten schönen Sonntag seit vielen Wochen“ geschrieben, und alle Zahlen werden als Superlative präsentiert, seien es die Teilnehmer, parkenden Automobile, Extrazüge oder Mitwirkenden. In punkto Selbstinszenierung bestand jedenfalls kein Handlungsbedarf. In allen anderen Bereichen dürfte der Sommer 1926 in den Büros der Zeitschrift als turbulente Wochen in Erinnerung geblieben sein.
Quellen:
Arbeiter-Zeitung, Nr. 191, Wien, Dienstag 13. Juli 1926, Seite 6
Arbeiter-Zeitung, Nr. 194, Wien, Freitag 16. Juli 1926, Seite 4
Arbeiter-Zeitung, Nr. 195, Wien, Samstag 17. Juli 1926, Seite 3
Arbeiter-Zeitung, Nr. 198, Wien, Dienstag 20. Juli 1926, Seite 4
Arbeiter-Zeitung, Nr. 199, Wien, Mittwoch 21. Juli 1926, Seite 4
Arbeiter-Zeitung, Nr. 200, Wien, Donnerstag 22. Juli 1926, Seite 4
Die Bühne, Zeitung für Theater, Literatur, Film, Mode, Kunst, Gesellschaft und Sport, Wien, 3. Jg., Heft 87, 8. Juli 1926
Die Bühne, Zeitung für Theater, Literatur, Film, Mode, Kunst, Gesellschaft und Sport, Wien, 3. Jg., Heft 90, 29. Juli 1926
Die Fackel, XXVIII. Jg., Nr. 730-731, Anfang Juli 1926, S. 10
Die Fackel, XXVIII. Jg., Nr. 732-734, Mitte August 1926, S. 42
Die Fackel, XXVIII. Jg., Nr. 735-742, Oktober 1926, S. 140
Die Stunde, Wien, 3. Jg., Nr. 642, 29. April 1925, Titelseite
Bernhard Denscher: Mihály Biró
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Bühne (abgerufen am 17.06.2016)
Tagblatt, Nr. 170, Linz, Dienstag 27. Juli 1926, Seite 2
Wiener Zeitung, 223. Jg., Donnerstag, 22. Juli 1926, Nr. 166, S. 1