Am 31. Jänner 1967 entdeckte John Lennon in einem Antiquariat in Sevenoaks in der Grafschaft Kent ein Zirkusplakat und kaufte es. Das Blatt stammt aus dem Jahr 1843 und annonciert eine Vorstellung von „Pablo Fanque’s Circus Royal“, die zu Gunsten der beiden Artisten William Kite und John Henderson veranstaltet wurde. Der 1796 in England geborene Pablo Fanque war nicht nur ein gefeierter Kunstreiter und Akrobat, sondern auch der erste nicht weiße Zirkusdirektor in Großbritannien. Lennon inspirierte das Plakat zu dem Song „Being for the benefit of Mr. Kite“. Das Lied wurde noch im selben Jahr in das mittlerweile legendäre Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ aufgenommen. Ende Mai 1967 erschien es in Großbritannien und Deutschland, Anfang Juni in den USA.
Im Jahr 2012 ging der Londoner Designer und Beatles-Fan Peter Dean daran, mit Hilfe von Grafik- und Druckexperten einen authentischen Nachdruck des für Lennon so inspirierenden Plakates herzustellen. Über die Arbeit daran ließ Peter Dean auch einen Kurzfilm produzieren, der auf verschiedenen Video-Plattformen im Internet unter dem Titel „Lennon’s Poster“ zu sehen ist.
Diese Geschichte demonstriert eindrucksvoll, wie man einem alten Anschlagzettel, der normalerweise unter Ephemera gehandelt wird, einen beträchtlichen Bedeutungszuwachs verschaffen kann. Von dem Blatt wurden entsprechend dem Erscheinungsjahr des Songs 1967 Exemplare aufgelegt, die man zum Einzelpreis von 220 Britischen Pfund kaufen kann.
Der Fall ist über die enthaltene hipstermäßige Attitüde und den kulturhistorischen Wert hinaus in seinen mehrschichtigen Transformationsprozessen durchaus bemerkenswert: Ein Mann kauft Mitte der 1960er Jahre ein scheinbar unbedeutendes Blatt alten Papiers, eine Tatsache, die normalerweise für keine besonderen weiteren Reaktionen sorgen würde. Der Käufer ist jedoch ein Musiker, der gemeinsam mit einigen anderen die sogenannte Unterhaltungsmusik in entscheidender Weise veränderte: Das vor fünfzig Jahren, im „Summer of Love“, erschienene Album „Sgt. Pepper’s Lonly Hearts Club Band“ gilt mittlerweile als ein beachtliches und zu beachtendes Werk der Pop Art, und zwar dies sowohl aufgrund seiner konzeptionellen, musikalischen und textlichen Qualitäten als auch aufgrund seiner visuellen Verpackung durch den renommierten britischen Künstler Peter Blake. Nicht zufällig hat der deutsche Kunsthistoriker Walter Grasskamp im Jahr 1995 seine Antrittsvorlesung an der Akademie der bildenden Künste in München zum Thema „Das Cover von Sgt. Pepper“ gehalten. In einer erweiterten Buchfassung seines seinerzeitigen Vortrages bringt es Grasskamp 2004 auf den Punkt: „Das Cover von Sgt. Pepper formuliert diese kulturelle Herausforderung als Manifest: Es versammelt nicht nur einen Gegenkanon, sondern kündigt demonstrativ dessen wichtigste Voraussetzung, den Ausschluß des Minderwertigen, Trivialen, Populären, Unterhaltsamen, Komödiantischen und Verworfenen, indem es auch die Protagonisten der Kulturindustrie salonfähig macht. Es ist eine Schautafel, auf der sich das als grundlegend geltende Gesetz der Popkultur illustriert findet, nämlich die Nivellierung von Hoch- und Massenkultur, von Kunst und Kommerz, von high and low. Als poetische Unabhängigkeitserklärung vom bürgerlichen Bildungskanon ist es so markant wie kaum ein anderes Werk der Pop Art, als deren Schlüsselwerk es daher gelten kann.“
Allerdings war die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz der Popkultur bei Erscheinen des Albums noch nicht so weit, dass sich der bürgerliche Kultur-Kanon sofort verändert hätte. Es sollte eben noch eine Weile dauern, bis ein Professor der Kunstgeschichte seine Antrittsvorlesung über ein Plattencover halten konnte und bis – wie dies seit 2009 möglich ist – man an der Liverpooler Hope University ein master degree im Fachbereich „The Beatles, Popular Music and Society” erwerben kann. Auf alle Fälle aber sind dies zwei markante Zeichen, wie sehr der bürgerliche Kunstbegriff mittlerweile eine merkliche Erweiterung erfahren hat. Aus dieser Entwicklung wird auch deutlich, dass die Bewertung von Kunst nicht so sehr von Fragen der Ästhetik, sondern vielmehr vom sozialen Umfeld bestimmt wird: Kunst kommt also auch hier von Kontext.
Aus Anlass des fünfzigjährigen Jubiläums des Erscheinens von Sgt. Pepper sind verschiedene „Anniversary Editions“ herausgekommen, wobei die „Super Deluxe“-Ausgabe auch einen Reprint des historischen Zirkusplakates von Pablo Fanque enthält.
Text teilweise entnommen und aktualisiert: Denscher, Bernhard: Kunst und Werbung: Interferenzen und Divergenzen in der stilistischen Entwicklung, in: Kodera, Sergius – Georg Lebzelter (Hrsg.): Post no Bills: Das Medium Plakat zwischen Kunst und Kommerz, Göttingen 2016.
Weiterführendes:
Dean, Peter
Grasskamp, Walter: Das Cover von Sgt. Pepper. Eine Momentaufnahme der Popkultur, Berlin 2004.
The Beatles
The Guardian: Sgt Pepper 50th Anniversary Edition review