Am 15. Juli 1927 brannte der Wiener Justizpalast. Wütende Demonstranten hatten ihn als Symbol für eine ungerechte Rechtsprechung angezündet. Anfang des Jahres hatten Mitglieder der rechtsgerichteten „Frontkämpfervereinigung“ anlässlich einer Auseinandersetzung mit dem sozialdemokratischen Schutzbund im burgenländischen Schattendorf einen Kriegsinvaliden und ein Kind erschossen. Am Abend des 14. Juli 1927 war der Freispruch der Täter verkündet worden. Am nächsten Tag fanden sich große Mengen von empörten Menschen vor dem Justizpalast ein, um gegen das Urteil zu demonstrieren. Die Situation eskalierte derart, dass der Justizpalast in Brand gesetzt wurde und die Polizei mit Schusswaffen gegen die Menge vorging: 89 Menschen starben aufseiten der Demonstranten, 5 Opfer gab es bei den Sicherheitskräften, Hunderte Menschen wurden verletzt.
Um die Fragen der politischen Verantwortung für dieses Desaster entbrannte bald auch eine heftige propagandistische Auseinandersetzung zwischen den Sozialdemokraten und der christlichsozialen Regierungspartei. Bundeskanzler war der katholische Moraltheologe und Geistliche Ignaz Seipel. In der Parlamentssitzung, in der es um die tragischen Ereignisse ging, sagte der Kanzler: „Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, das den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde erscheint, aber grausam wäre gegenüber der verwundeten Republik.“ Umgehend wurde von der Linken daraufhin der auf Seipel gemünzte Slogan vom „Prälaten ohne Milde“ verbreitet. Die Rechten wiederum sahen sich angesichts der Ereignisse in dem von ihnen schon seit Jahren gezeichneten Schreckensbild der roten Brandstifter bestätigt.
Die Sozialdemokraten leisteten Trauerarbeit und bemühten sich um Hilfe für die Angehörigen der Opfer und um die vielen Verletzten. So wurde etwa von der Wiener Volksbuchhandlung die Ansichtskarte mit Fotos von Todesopfern im Rahmen einer „Bilderaktion zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 15. Juli 1927“ verkauft.
Die Auseinandersetzung um den 15. Juli 1927 kulminierte dann im Nationalratswahlkampf 1930, in dem die Rechten mit diesem Thema in die Offensive gingen. Im Aufruf der Wiener Christlichsozialen Partei verkündete man, dass man nun abrechnen könne mit den Verantwortlichen für die vergangenen Schreckenstage: „Mit den Arrangeuren des 15. Juli. Mit den Schutzherren der Plünderer und Brandleger. Mit den Terroristen in Werkstatt und Bureau. Mit den Schändern der Demokratie.“ Und der christlichsoziale Bundeskanzler Vaugoin machte die Stoßrichtung seiner Partei noch deutlicher, indem er feststellte, dass der 15. Juli 1927 gezeigt habe, „daß die Sozialdemokraten keine friedliche, keine heimische, keine heimattreue, sondern eine heimatzerstörerische, revolutionäre, verderbliche Partei ist.“ Die so apostrophierten Sozialdemokraten gaben sich in dieser Wahlauseinandersetzung eher zurückhaltend und traten für innere Abrüstung ein. Auf keinem Falle wollte man dem Gegner eine Veranlassung geben, wieder die Exekutive gegen ihre Anhängerschaft einzusetzen oder gar den extremen Rechten einen Vorwand für einen Putsch zu geben. „Laßt Euch nicht provozieren!“ lautete daher die Parole der sozialdemokratischen Parteiführung.
Die Christlichsozialen blieben bei ihrem Thema der politischen Erinnerungsarbeit und widmeten den Ereignissen um den 15. Juli ein eigenes Plakat. Es zeigt das übermächtige Schreckensgespenst des roten Brandstifters über dem brennenden Wiener Justizpalast. Die katholische, den Christlichsozialen nahestehende Zeitung „Salzburger Chronik“ lieferte eine Art Lesehilfe zu dem Bild, die auch eine rassistische Komponente der Zeichnung herausstreicht: „Der rote Moskowiter, schlitzäugig und von fast tierischer Rohheit, kennzeichnet mit erschreckender Deutlichkeit die Absichten und die Gesinnung derer, die am berüchtigten 15. Juli von der Sozialdemokratie auf die Straße gejagt wurden und dann den Justizpalast in Brand steckten.“ (8.11.1930, S.13)
Gestaltet hat das ausdrucksstarke Blatt der Grafiker Rudolf Ledl (1886–1945), der schon im Ersten Weltkrieg als Illustrator tätig war und in der Zwischenkriegszeit in verschiedenen Ateliergemeinschaften vor allem Wirtschafts- und Filmplakate entwarf. Ab 1938 arbeitete er auch für die nationalsozialistische Propaganda. Anlässlich seines Todes wurde in der „Kleinen Wiener Kriegszeitung“ Ledls Sinn für Humor, der, so meinte man, in seinen Arbeiten deutlich wurde, hervorgehoben. Vermerkt wurde jedoch überdies: „Daß er aber auch einem ernsthaften Thema gewachsen war, beweisen zwei Führerbilder, deren Reproduktionen in Wien und Umgebung große Verbreitung gefunden haben.“ (12.1.1945, S.6)
Interessanterweise sind von dem Justizpalast-Plakat zwei Bild-Versionen erhalten: Auf dem einen hält der rote Riese einen Petroleum-Kanister in der Hand, auf dem anderen einen Säbel. An der Aufschrift „Wählet die Liste der Christlichsozialen Partei und Heimatwehr“ ist zu erkennen, dass beide Versionen für Wien produziert wurden, weil die Partei nur hier unter diesem Namen kandidierte. In Niederösterreich firmierte sie unter „Christlichsoziale Partei und Heimwehr“, in allen anderen Bundesländern unter „Christlichsoziale Partei“. Im Steiermärkischen Landesarchiv hat sich eine Säbel-Version des Plakates mit letzterer Aufschrift erhalten.
Was die Verantwortlichen dazu brachte, diese beiden Illustrationen einzusetzen, ist schwer zu beantworten. Ein Leserbriefschreiber äußerte im sozialdemokratischen „Kleinen Blatt“ den Verdacht, dass der Säbel doch zu sehr an das seinerzeitige Durchgreifen der Polizei erinnerte, die mit gezogener Waffe gegen die Demonstranten vorgegangen war.