Der Pionier der Plakatgeschichtsschreibung, Hellmut Rademacher, ist am 10. Oktober 2018 nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Die Plakatgemeinde verliert mit ihm ihren Spiritus Rector und ich einen väterlichen Freund, kritischen Wegbegleiter und wohlwollenden Berater.
Hellmut Rademacher wurde am 2. Juni 1927 in Neuruppin (Mark Brandenburg) geboren. Im Zweiten Weltkrieg als 16-Jähriger als Flakhelfer verpflichtet, geriet er nach Verwundung in amerikanische Gefangenschaft. Nach dem Krieg legte er sein Abitur ab und studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte und Germanistik. Nach einem kurzen Intermezzo als Lehrer begann Rademacher 1952 seine Tätigkeit im Museum für Deutsche Geschichte. Dort war er zuständig für die „publizistischen Bestände“, darunter die Plakatsammlung, zu der auch Teile der Sammlung Sachs gehörten. Seit 1970 war er stellvertretender Leiter der Abteilung Sammlungen. 1957 zeigte er die erste Ausstellung zum historischen Plakat in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: „Deutsche Plakate von 1895 bis 1932“. Es folgen zahlreiche Beiträge, Vorträge und weitere Ausstellungen. Ein weiterer Meilenstein ist das 1965 erschienene Werk „Das deutsche Plakat. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, in dem er erstmals das Plakat als Geschichtsquelle betrachtete. Dieses Buch eröffnete einer ganzen Folge von Autoren eine neue Sichtweise auf das Medium Plakat. 1970 promovierte Rademacher zu einem Thema des politischen Plakats, es folgten, neben seiner Museumstätigkeit, zahlreiche Lehraufträge in Berlin, Leipzig und Halle (Saale). Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden nur wenige Mitarbeiter des Museums für Deutsche Geschichte (Ost) in das Deutsche Historische Museum (West) übernommen, Hellmut Rademacher gehörte dazu. Seit 1992 war er im Ruhestand. Auf AUSTRIAN POSTERS findet sich ein längeres Interview aus dem Jahre 2011, in dem er seinen Weg und seinen Umgang mit dem Medium Plakat ausführlich erläuterte.
Soweit die nüchternen Fakten.
Ich möchte meinen langjährigen Freund und „plakatistischen Wegbegleiter“ aber auch mit einigen persönlichen Erinnerungen würdigen. Schließlich war er es, der mich mit viel Mühe dazu brachte, mich mit dem Plakat zu beschäftigen. Es gab ein Ritual im Museum, jeden Freitag trafen wir uns früh beim Tee und ich bekam eine – oft witzige – Lektion in Plakatgeschichte, danach ging es ins Depot und die Geschichte wurde lebendig. Irgendwann wurden die Plakate dann auch zu meinen „bunten Freunden“. Diese Heranführung sollte mein weiteres berufliches Leben bestimmen. Er überredete mich zu ersten kleinen Artikeln – was war ich da aufgeregt! Und schließlich konnten wir 1992 gemeinsam die Ausstellung „Kunst! Kommerz! Visionen! Deutsche Plakate 1888–1933“ im Berliner Zeughaus organisieren. Das war bestimmt einer der Höhepunkte seiner Plakatarbeit und für mich ein neues Erlebnis und sicherlich auch Türöffner für spätere Plakataktivitäten. Dann trennten sich unsere Wege geografisch – beim Thema Plakat aber blieben wir einander nahe. Als ich, gemeinsam mit Jörg Weigelt in Hannover, das „PlakatJournal“ herausgab, da war Hellmut Rademacher regelmäßiger Gastautor. Immer waren es auch seine – manches Mal auch kritischen – Kommentare, die mir einen nächsten Schritt in der Art und Weise der Betrachtung von Plakaten ermöglichten. Im Jahr 2005 trat ich die Stelle des Leiters des Deutschen Plakat Museums in Essen an, und wieder gab es ein Ritual: Ich schickte jeden Katalog und jeden Artikel von mir an ihn, und prompt klingelte irgendwann das Telefon und ich bekam eine Kurzkritik, wobei er nicht mit Lob und Tadel geizte. Diese Gespräche waren wunderbar, es gibt nicht sehr viele Gesprächspartner, mit denen man auf diese intensive Weise über Plakate sprechen kann. Die Gespräche gaben mir Sicherheit und Anregung.
Als dann im Jahr 2011 der Preis des Deutschen Plakat Museums für Plakatpublizistik ins Leben gerufen wurde, da war sofort klar, dass Hellmut Rademacher diesen Preis als erster bekommen sollte – und dies wegen seiner nachhaltigen publizistischen Wirkung und weil damit auch ein Maßstab für den Preis gesetzt wurde. Unsere letzte „Zusammenarbeit“ fand im Herbst 2017 statt. Wir konnten in dem Dokumentarfilm von Adolfo Conti „Das Plakat. Die Geburt der modernen Werbung“ mit einigen Beiträgen dabei sein. Auch wenn wir danach noch telefoniert haben, so werden es diese Bilder sein, die mir von ihm bleiben.
Ich bin froh und dankbar für eine so lange Wegbegleitung, für seinen beruflichen wie privaten Rat. Ich werde seine geschliffenen Sätze vermissen, ebenso wie sein herzliches Lachen und die Ernsthaftigkeit und Schärfe seiner Analysen gesellschaftlicher Entwicklungen.
Ich trauere mit der Familie.