Ein gelungenes Buchcover ist wie ein gutes Plakat. Wenn es der Großmeister der Buchgestaltung der Weimarer Republik entworfen hat, dann muss es wohl ein großer Wurf sein, vor allem wenn es den Inhalt des Buches überzeugend visualisiert. Georg Salter (1897–1967) hat viele bedeutende Bücher nach dem Ersten Weltkrieg gestaltet, wie etwa „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin oder „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth.
Im Jahr 1927 erschien im Avantgarde-Verlag „Die Schmiede“ – in dem auch Kafkas „Der Prozess“ veröffentlicht wurde – die schmale Erzählung „Indeta. Die Fabrik der Nachrichten“ von Leo Lania. Das Buch war Teil der Reihe „Berichte aus der Wirklichkeit“, in der im selben Jahr auch Joseph Roths „Juden auf Wanderschaft“ in gleicher Aufmachung erschien.
Die Handlung setzt im Oktober 1918, also exakt vor hundert Jahren, ein und in dem Buch begegnen uns auch Plakate als Künder des Zeitgeistes. Protagonist der Erzählung ist der Journalist Unger, Mitarbeiter einer Depeschenagentur, der hautnah den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie und die revolutionäre Phase der jungen „Republik Deutsch-Österreich“ Anfang 1919 miterlebt. Salter gestaltet daher folgerichtig ein typografisches Buchcover, weil eine Nachrichtenagentur eine Fabrik von Texten ist, und um durch die Verwendung von verschiedenen Schrifttypen und Farben eine klare visuelle Botschaft zu transportieren.
Zunächst verfolgt Leutnant Unger eine der letzten Sitzungen des Reichsrates, bei der der spätere polnische Ministerpräsident Ignacy Daszyński am 9. Oktober eine Philippika hält, der am 11. Oktober 1918 eine leidenschaftliche Rede des späteren italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi folgte, ehe am 25. Oktober die letzte Sitzung mit Rednerbeiträgen stattfand. Und auch Viktor Adlers letzte Rede im Reichsrat vom 3. Oktober 1918 findet in fiktiver Weise Erwähnung: „Das Proletariat wird den Völkern der Welt, die durch das Blutmeer des gräßlichsten aller Kriege haben wandern müssen, den Frieden und die Freiheit bringen.“ (S. 18) Die allerletzte Sitzung des Reichsrats vom 12. November 1918, die Lania allerdings nicht beschreibt, bestand dann nur noch aus dem Nachruf des Präsidenten auf den am Vortag verstorbenen Führer der Sozialdemokratie.
Wenige Wochen später flaniert der mit der Revolution sympathisierende Journalist durch die Straßen Wiens. „Man schreitet eine Plakatwand entlang und wird wie in einem wilden Strudel um sich selbst gewirbelt: Diktatur des Proletariats – Eröffnung einer neuen Bar – Vereidigung des Polizeikorps auf die Republik – Alle Karten zum Symphoniekonzert ausverkauft – Heimkehrersammelstelle – Spendet für Frontkrieger – Operettenpremiere – Modernstes Tanzcafé – und über allem nackte Weiber, die einen Film anpreisen, und in alle Gedanken hinein: Extraausgabeee!“ In jenen Kindertagen der Republik wurden die Litfaßsäulen von den Filmplakaten von Theo Matejko geflutet. Wahrscheinlich war sein Plakat für den Film „Opium“ von Robert Reinert gemeint, der visuell einem Nachruf auf Gustav Klimt ähnelt und der im Jänner 1919 Weltpremiere hatte.
Leo Lania (1896-1961) war Journalist und Schriftsteller und führte ein abenteuerliches Leben. 1919 trat er der neugegründeten „Kommunistischen Partei Österreichs“ bei und war Redakteur der Parteizeitung „Die Rote Fahne“, ging aber bereits 1921 nach Berlin und wurde Mitarbeiter der „Weltbühne“, bevor er als Jude 1933 emigrieren musste. Es wäre gerade jetzt an der Zeit, „Indeta“ wiederzuentdecken.
Weitere Hinweise:
Kucher, Primus-Heinz: Leo Lania, Von Charkow über Wien, Berlin und Paris in die USA. Schlüsselstationen eines Protagonisten der Zwischenkriegszeit, 2012
Schwaiger, Michael: Hinter der Fassade der Wirklichkeit. Leben und Werk von Leo Lania, Wien 2017.