„Das Plakat der Opern-Redoute ist ein überdimensionaler Skandal, eine Affenschande, und die verehrliche Generaldirektion der Bundestheater hat mit dieser Affichierung ihres famosen Geschmackes in nicht wieder gutzumachender Weise sich selbst das Urteil auch in anderen Kunstfragen gesprochen,“ schrieb Anfang des Jahres 1929 die „Wiener Allgemeine Zeitung“. Diese vernichtenden Worte wurden genüsslich in der „Österreichischen Reklame“, dem Mitteilungsblatt des „Bundes österreichischer Gebrauchsgraphiker“, zitiert, hatte ja der „Bund“ die Debatte um das Plakat der Opern-Redoute, einer Vorform des späteren Wiener Opernballs, mit einer empörten Presseaussendung angestoßen. Darin hieß es über das, wie man es bezeichnete, „geschmacklose, verzeichnete und in der Auffassung veraltete Plakat der Opern-Redoute 1929“: „Wir stellen fest, daß der Autor dieses Plakates n i c h t unserem Bunde angehört, es ist aber jedenfalls bezeichnend, daß Arbeiten, die das künstlerische Prestige Österreichs im Auslande zu heben bestimmt sind, ohne Ausschreibung oder Berücksichtigung der hiezu berufenen Gebrauchsgraphiker an Träger knallender Namen vergeben werden, die – wie Figura zeigt – für die Durchführung solcher Arbeiten unfähig sind.“[1]
Der „knallende Name“ des Entwerfers der kritisierten Arbeit war jener von Alfred Roller, Gründungsmitglied der Wiener Secession, langjähriger Direktor der Kunstgewerbeschule und jahrzehntelanger Leiter des Ausstattungswesens der Wiener Staatsoper. Roller war schon Chef-Bühnenbildner in der legendären Direktionszeit von Gustav Mahler gewesen und stattete alle Erst-Aufführungen der Opern von Richard Strauss aus.
Es war tatsächlich erstaunlich, dass jemand wie Roller, der in seiner Jugend für die Wiener Secession Plakate entworfen hatte, die auch international zum Modernsten gehörten, was damals in der angewandten Grafik geschaffen wurde, nun ein derart konservatives Blatt abgeliefert hatte. Gerade die 1920er Jahre waren in Österreich eine Hoch-Zeit modernen, sachlichen Grafikdesigns gewesen, in der Rollers dunkle, eher der Makart-Zeit verhaftete Arbeit anachronistisch wirken musste: „Was ist Roller da eingefallen?“, fragte auch die Tageszeitung „Die Stunde“: „Liegt in dieser Rückkehr zum verbrauchtesten Konservativismus etwa eine Absicht? Will er sagen, daß für die Opernredoute nicht mit modernen Mitteln Propaganda gemacht werden kann? Wenn das Plakat die Vorzüge der alten Wiener lithographischen Kunst aufwiese, wäre darüber zu reden. Aber so fällt es durch die primitive Art der Darstellung direkt auf und sieht sich wie ein Rückfall in eine Zeit an, in der der Dilettantismus die Oberhand hatte.“[2]
Das Plakat musste noch mehr aus der Zeit gefallen wirken, wenn man es mit dem Plakat für die Opern-Redoute 1928 vergleicht, für die Joseph Binder einen sehr eleganten, vom Art deco geprägten Entwurf geschaffen hatte. Andere grafische Arbeiten, wie etwa das Zeitschriftencover der Illustrierten „Moderne Welt“ vom Februar 1929, auf dem ein Ballgeschehen dargestellt wird, zeigen, dass Roller mit seiner Arbeit auch nicht den Geschmack seiner Zielgruppe getroffen hatte. Dazu vermerkt der Beitrag in der „Stunde“: „Die taktvolle Diskretion eines angenehm-stillen Plakats in Ehren – aber das Plakat für die Opernredoute bedeutet doch eine Zumutung an das künstlerische Gefühl des Publikums, das durch das moderne Plakat doch einigermaßen aufgeklärt ist.“
Wie bei einigen seiner ehemals avantgardistischen Secessionskollegen hatte sich bei Alfred Roller schon während des Ersten Weltkriegs ein Gesinnungs- und damit auch Stilwandel abgezeichnet. Manche seiner Kollegen wurden 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich trotz ihrer vormals modernen Haltung Sympathisanten des Nationalsozialismus. Alfred Roller starb bereits 1935, ein Jahr vor seinem Tod schuf er auf Wunsch des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler die Bühnenbilder für die Bayreuther Parsifal-Produktion des Jahres 1934.
[1] Das Plakat der Opern-Redoute 1929, in: Österreichische Reklame 1928/17, S. 22.
[2] Die Stunde, 8.1.1929, S. 4.