Der Erste Weltkrieg hat – neben den menschlichen Tragödien, die er auslöste, und den geopolitischen Konsequenzen, die er mit sich brachte – auch die visuelle Kultur stark verändert. So auch im Bereich der Plakate: Politische Botschaften wurden nicht mehr, wie früher, in textreichen Maueranschlägen abgehandelt, sondern schon während des Krieges versuchte man, die Bevölkerung mit klaren optischen Signalen zu erreichen. Allerdings war es nicht, wie oft angenommen wird, so sehr der Krieg selbst, der für einen grafischen Aggressionsschub sorgte, sondern dies geschah vor allem in der Zeit unmittelbar danach. Die Auflösung bisheriger Autoritätssysteme verbunden mit der schlechten Versorgungslage bei den besiegten Mittelmächten führten zu einer extremen Radikalisierung der politischen Situation. In Deutschland war das Jahr 1919 vom ersten Nachkriegs-Wahlkampf, aber auch von Aufständen, Streiks und Demonstrationen geprägt, gemäßigte Linke kämpften gegen Kommunisten sowie rechtsgerichtete Kräfte gegen beide. Hunderte von bewaffneten Verbänden sorgten zudem für eine unüberschaubare Situation und eine gefährliche Kräfteverteilung. All dies schlug sich in den Jahren 1919 und 1920 auch in einer intensiven Plakatproduktion nieder.
Anfang des Jahres 2019 präsentierte das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg seine diesbezüglichen Bestände in einer sehenswerten Ausstellung. Doch auch die Österreichische Nationalbibliothek beherbergt erstaunlicherweise eine umfangreiche Sammlung an Plakaten zu jenem wichtigen Kapitel deutscher Geschichte. Aufgrund der Aufarbeitung dieses Bestandes durch Christian Maryška, dem Verantwortlichen für die Plakatsammlung der Nationalbibliothek, ist nun die 144 Blätter umfassende Kollektion online zugänglich. Alle Objekte sind in guter Qualität abgebildet und mit einer genauen Beschreibung versehen, wobei die Kommentare vielfach bis in Details gehen: So erfährt man etwa unter anderem, dass das Plakat „Hinein in die KPD!“ Karl Liebknecht „bei seiner letzten öffentlichen Rede am 4. Januar 1919 in der Siegesallee in Berlin zeigt“.
Neben vielen dokumentarisch aufschlussreichen Textplakaten finden sich in der Nationalbibliothek auch Klassiker des deutschen Expressionismus, wie etwa der Aufruf „Arbeit Hunger Tod naht – Streik zerstört, Arbeit ernährt – Tut eure Pflicht arbeitet!“, gestaltet von Heinz Fuchs , und das von Karl Jakob Hirsch entworfene Plakat „Wählt Spartakus“.
In dem nun präsentierten Bestand befinden sich auch fünf Arbeiten des bemerkenswerten Grafikers A.M. Cay. Die von ihm entworfenen Plakate fehlen in keiner Ausstellung zur Geschichte der Weimarer Republik. Unverkennbar ist der ihm eigene Stil, insbesondere seine typografischen Gestaltungen sind spektakuläre Appelle und verbinden dekorativen Sinn mit klarer Lesbarkeit. A.M. Cay hieß eigentlich Alexander M. Kaiser (1887–1971) und war geborener Wiener. Nach der Ausbildung in seiner Geburtsstadt sowie in München und Paris lebte er in Berlin, wo er als Gebrauchsgrafiker arbeitete. Nach der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 floh A.M. Cay über Frankreich in die Schweiz. Bis zu seinem Lebensende wohnte er in Zürich, wo er als überaus erfolgreicher Karikaturist tätig war.