„Wer war Czeschka?“ fragte mich der freundliche Verkäufer der renommierten Berliner Buchhandlung, in der ich den jüngst erschienenen Band „Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg“ erwarb. Wie das umfassende Werk des Wiener Künstlers, der die meiste Zeit seines Lebens in Hamburg tätig war, kurz erklären? Ich entschied mich darauf hinzuweisen, dass Czeschka – neben vielem anderem – auch den Schriftzug für die Wochenzeitung „Die Zeit“ entworfen hat. Der Buchhändler, ein, wie er sagte, regelmäßiger Zeit-Leser, versprach bei der Lektüre des Wochenblattes in Hinkunft an den Entwerfer zu denken und sich über ihn entsprechend zu informieren.
Manchmal kann die Opulenz eines künstlerischen Werkes die Persönlichkeit des Menschen, der dieses Oeuvre schuf, nahezu überdecken – Carl Otto Czeschka gehört zweifellos zu diesen Fällen. Keine Ausstellung oder Publikation über die Wiener Kunst um 1900, keine Darstellung der legendären Wiener Werkstätte kommt ohne seine Arbeiten aus. Doch sein Name selbst ist nicht dermaßen bekannt, wie dies bei anderen künstlerischen Protagonisten jener Zeit der Fall ist. Dabei werden seine Arbeiten aufgrund ihrer herausragenden Qualität und sicher auch aufgrund des Labels „Wiener Werkstätte“ zu Höchstpreisen gehandelt. So erzielten Czeschkas Originalzeichnungen zu seinem Nibelungen-Buch 2017 bei einer New Yorker Auktion die Rekordmarke von 360.500 US-Dollar. Und die von ihm entworfene „Wittgenstein-Vitrine“ wechselte bereits 1983 für 270.000 US-Dollar den Eigentümer, 2013 konnte dann das Dallas Museum of Art das Objekt zu einem nicht bekannten Preis erwerben.
Wer war also dieser Czeschka? In aller Kürze: Er wurde 1878 in Wien als Sohn tschechischstämmiger Eltern geboren. Nach einer Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste war er zunächst als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Wien tätig und arbeitete ab 1905 auch intensiv für die Wiener Werkstätte. Im Herbst 1907 wurde Czeschka als Professor an die Kunstgewerbeschule in Hamburg berufen. Dort lehrte er bis 1943 und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1960 in der Hansestadt. Neben seiner Lehrtätigkeit entfaltete Czeschka ein reiches Schaffen als vielfältiger Gestalter. Er war dabei in nahezu allen Bereichen der angewandten Kunst als Entwerfer tätig. Sein Spektrum reichte von Glasfenstern, Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen, Goldschmiedearbeiten, Textil- und Tapetenentwürfen und Produktverpackungen bis zu einer Vielzahl von grafischen Arbeiten.
2019 erschien nun der Band „Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg“, für den der Kunsthistoriker Heinz Spielmann eine siebzigseitige Biografie des Künstlers verfasste und – was mit 250 Seiten Umfang den Hauptteil der Publikation ausmacht – bisher unveröffentlichte Briefe des kaufmännischen Direktors der Wiener Werkstätte, Fritz Waerndorfer, sowie der Künstler Josef Hoffmann, Rudolf von Larisch und Koloman Moser an Carl Otto Czeschka edierte. Ergänzt wird der gewichtige Band durch einen Artikel über die von Czeschka gestaltete „Fenstersuite des Hamburger Gewerbehauses“, verfasst von Hella Häussler, und einen Beitrag von Rüdiger Joppien zum Thema „Die Dekansketten der Hamburger Universität nach Entwürfen von Carl Otto Czeschka“.
Der Herausgeber Heinz Spielmann, Jahrgang 1930, ist ein vielfach ausgewiesener Museumsfachmann und Jugendstil-Experte. Er war von 1960 bis 1985 Leiter der Abteilungen Jugendstil, Moderne und Ausstellungswesen am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Mitte der 1970er Jahre konnte Spielmann, dank der Großzügigkeit des Czeschka-Erben Henner Steinbrecht, einen wesentlichen Teil des künstlerischen und des schriftlichen Nachlasses von Carl Otto Czeschka sowie dessen Bibliothek und Teile seiner wertvollen Wohnungseinrichtung für das Hamburger Museum erwerben. Außerdem hat Heinz Spielmann im Laufe seiner langen Berufslaufbahn immer wieder auf die Leistungen des wienerisch-hamburgischen Künstlers hingewiesen, zuletzt 2011 gemeinsam mit Hella Häussler in Form einer Czeschka-Ausstellung in der Handelskammer Hamburg.
Es ist faszinierend, die Briefe an Czeschka zu lesen und dabei festzustellen, wie sehr unsere landläufigen Klischees von „Wien um 1900“ in der Realität durchaus noch übertroffen werden und wie manches gar wie aus einer zu dick aufgetragenen Doku-Fiction klingt. Die Briefe von Fritz Waerndorfer sind diesbezüglich eine besondere Fundgrube. Da wird mit Gustav Klimt im Kaffehaus über Kunst philosophiert, da lädt er Josef Hoffmann, Emil Orlik, Egon Friedell, Alfred Polgar und Peter Hammerschlag zu einem 24 Stunden dauernden „Kostproben-Abend“ mit Weinen und Champagner ein, und da wird über Koloman Moser gespottet und mit Oskar Kokoschka gestritten. Karl Wittgenstein, dem Vater des Philosophen Ludwig Wittgenstein, verkaufte Waerndorfer die von Czeschka entworfene Vitrine, die sich nun in Dallas befindet. Ausführlich berichtete er seinem Brieffreund Czeschka über die Entwicklung in der Wiener Werkstätte selbst, über die Kunstschau 1908, über das Kabarett Fledermaus, über die zähe Genese des Palais Stoclet in Brüssel und vieles andere mehr, alles versehen mit viel Humor und Freude am Tratsch: „Wiener Werkstätte und Wiener Schmäh“ nennt der Herausgeber aus gutem Grund das Hauptkapitel des Buches, dessen Großteil aus den aufschlussreichen und amüsant zu lesenden Schreiben Waerndorfers besteht. Und dieser konnte zu durchaus deftigen Worten greifen, wenn er seine Arbeit und die von ihm geförderten Künstler missachtet fühlte. Besonders empörten ihn die Schwierigkeiten, die er hatte, um für das – mittlerweile legendäre und zu hohen Preisen (derzeit um 28.000 Euro erhältlich) gehandelte – Kokoschka-Buch „Die träumenden Knaben“ einen Verleger zu finden beziehungsweise, nachdem er sich entschlossen hat, den Bildband selbst herauszubringen, dafür Käufer zu interessieren. In pointierter Weise setzte er den Erfolg eines Wiener Werkstätte-Projekts, nämlich des Kabaretts Fledermaus, mit der Ignoranz gegenüber Kokoschka in Verbindung: „Kabarett geht täglich besser, wir haben jetzt den Rekordmonat hinter uns. Blöd sein die Leut, um 2000 Kronen kann’s in einer Nacht Champagner verkaufen, den die Leut in der Früh auspruntzen, aber um 2000 Kronen Bücher von Kokoschka, das bringst in 10 Jahren nicht zusammen. Es ist wirklich zum Speien.“ (4. März 1908)
Über die Eröffnung der Wiener Kunstschau 1908 wusste Waerndorfer zu berichten, dass unter anderem „Löffler mit seinem Plakatraum“ nicht fertig geworden war und mit seiner Gestaltung den Plakatsaal obendrein „umgebracht“ hätte: „Löffler füllte nämlich die Zwischenräume zwischen den Plakaten mit Pappendeckel aus, den er von einem Plakatrahmen zum anderen nagelte. Das sah so im Entstehen ganz gut aus, als aber der Saal saubergemacht wurde, merkte man, dass der schäbige und in Stärke und Farbe ungleiche Karton, lausig und von Kunstschuldienern genagelt, den ganzen Raum dreckig aussehen macht.“ (5. Juni 1908)
Auch der Briefempfänger selbst wurde bisweilen von Verbalinjurien aus der Waerndorferschen Feder nicht verschont. Als sich etwa Czeschka über eine seiner Meinung nach mangelnde Ausführung seiner Entwürfe durch die Handwerker der Wiener Werkstätte beschwerte, bezeichnete ihn Waerndorfer kurzerhand als einen „Teppen“ und drohte ihm für seinen nächsten Besuch in Wien Schläge an. Aber Waerndorfer konnte Czeschka ebenso haltlos loben, wie er ihn beschimpfte: „Gestern war ich – ich weiß nicht, wieso – bei Miethke in der Manet-Monet-Ausstellung, und sagte dann dem Klimt im Kaffeehaus, dass mir ganz ibel [!] von den Ma- und Mo-nets sei. Na, hörst, sagte er, aber geh sagte ich, häng da mitten hinein eine Zeichnung vom Czeck [=Czeschka]. Ah, ja, sagte er, der prackt sie alle zsamm.“ (15. Juni 1910)
Wertvoll machen diese Briefausgabe auch die penibel recherchierten Kommentare durch Heinz Spielmann, in denen man viel zur allgemeinen Kunstsituation der Zeit, aber auch Interessantes zur Biografie von Carl Otto Czeschka erfährt. Der Band bietet so eine wertvolle Ergänzung zur kulturhistorischen Literatur zum Themenkreis „Kunst um 1900“ und zeichnet mit seiner Fülle an Insider-Informationen ein buntes Bild der Epoche.
Spielmann, Heinz: Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg. Mit unveröffentlichten Briefen sowie Beiträgen von Hella Häussler und Rüdiger Joppien, Göttingen 2019 (=Künstler in Hamburg. Hrsg. von Ekkehard Nümann, 1. Band).