Für den 9. Oktober 1949 waren in Österreich Nationalratswahlen sowie allgemeine Landtagswahlen angesetzt. Die Ausgangssituation bei diesen zweiten bundesweiten Wahlen der Zweiten Republik unterschied sich sehr von jener im Jahr 1945. Damals waren mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) nur drei Parteien zugelassen gewesen. Nun kamen nach intensiven Verhandlungen mit den Alliierten Militärbehörden sieben Parteien dazu, darunter war als sogenannte „vierte Kraft“ die „Wahlpartei der Unabhängigen“, aus der später die FPÖ entstand.
Ein zweiter entscheidender Unterschied zur ersten Wahl war die Zahl der Wahlberechtigten, die sich um 942.210 erhöht hatte. Darunter waren viele Kriegsheimkehrer, die 1945 noch in Gefangenschaft gewesen waren, und mehr als eine halbe Million ehemaliger Nationalsozialisten, die als „Minderbelastete“ galten und 1945 noch nicht zur Wahl zugelassen waren.
Zu den dominierenden Themen, die den österreichischen Nationalratswahlkampf und die Landtagswahlkämpfe des Jahres 1949 beherrschten, gehörte auch die Frage, wie man die Kriegsheimkehrer und deren Familien propagandistisch ansprechen könne. Die ÖVP begann schon früh in diesem Wahlkampf, sich des Themas anzunehmen. Bereits Monate vor dem Wahltag war auf den Umschlägen für die Lose der Wahlspendenlotterie der Partei das Bild eines Heimkehrers zu sehen, versehen mit dem Text „Hört auf uns!“.
Doch noch bevor die ÖVP – wie geplant – das Sujet mit dem Slogan auch auf Plakaten publizieren konnte, ließ die SPÖ als eines ihrer ersten Wahlplakate das Bild eines nachdenklichen Heimkehrers mit identem Aufruf „Hört auf uns!“ affichieren. Die ÖVP reagierte empört und beantragte bei Gericht eine „einstweilige Verfügung“ zur Beschlagnahme des gegnerischen Plakates. Die „Arbeiter-Zeitung“ konterte im Namen der beklagten Sozialisten: „Eine Partei, die im politischen Kampf zum Kadi läuft und Plakate der Gegenseite abkratzen lassen will, um den Wahlkampf zu gewinnen, scheint nicht sehr zuversichtlich an ihren Sieg zu glauben!“[1] Im Gegenzug vermerkte „Das Kleine Volksblatt“, die Parteizeitung der ÖVP, unter dem Titel „Ein übler Auftakt zum Wahlkampf“: „Die Sozialisten, geistig vergreist und arm an Einfällen, sind nun nicht davor zurückgeschreckt, diese Idee für ihre parteipolitischen Zwecke nachzuahmen, deutlicher gesagt: uns zu stehlen.“[2]
Dem Antrag auf Verbot des Plakates wurde vom Richter nicht stattgegeben und die Verhandlung bis zur Ladung von Sachverständigen verschoben. Das Verfahren blieb offenbar ergebnislos[3], es kann jedoch auch sein, dass die Angelegenheit im Zuge des Abschlusses des Fairnessabkommens der beiden Großparteien bereinigt wurde, zumindest berichteten beiden Parteizeitungen nichts mehr darüber. Bezüglich des ÖVP-Plakates selbst setzte die „Arbeiter-Zeitung“ jedoch noch einmal nach, als an der Baustelle der Wiener Staatsoper eine riesengroße Replik dieser Affiche angebracht worden war: „Es zeigt die Grimasse eines zur Schreckgestalt verzerrten Heimkehrers, der den Vorübergehenden das Erwürgen androht, falls sie nicht die ÖVP wählen sollten.“[4] Es folgten nach weitere derartige Riesenplakate an anderen Gebäuden der Stadt.
Der Fall ist über die thematische Orientierung der beiden Affichen sowie als Beispiel für den rüden Umgangsstil der beiden involvierten Parteien hinaus auch bezüglich ihrer Gestalter bemerkenswert: Das SPÖ-Plakat wird meist unter „Anonym“ geführt, die Verantwortlichen der Österreichischen Nationalbibliothek konnten die schwer lesbare Künstlersignatur jedoch auflösen und das Blatt richtigerweise Rudolf Pusak zuordnen.
Der am 6. März 1908 in Wien geborene Maler und Grafiker hatte ein bewegtes Leben: Nach einer Lehre als Glas- und Porzellanmaler arbeitete Pusak unter anderem als Gestalter von Filmplakaten im Atelier „Gaertner + Kloss“. Während seines Militärdienstes im Zweiten Weltkrieg verschlug es ihn nach Albanien, wo er zum Porträtisten und „Propagandamaler“ des kommunistischen Führers Enver Hodscha avancierte. Nach Wien zurückgekehrt arbeitete Pusak weiterhin als Gebrauchsgrafiker, wobei er intensiv für die SPÖ tätig war. Nach einem Brand in seinem Atelier entschied er sich für die „freie Kunst“ und wurde ein beachteter Vertreter der Abstraktion.[5] Rudolf Pusak verstarb am 15. Jänner 1990.
Vom unsignierten ÖVP-Plakat schien bisher der Name des Gestalters weder in den entsprechenden Sammlungen noch in Publikationen auf. Doch nun kann das Blatt aufgrund einer Zeitschriftenillustration eindeutig Paul Aigner zugeordnet werden. Der am 23. Mai 1905 geborene Grafiker schuf eine Fülle von Filmplakaten, war in der Wirtschaftswerbung erfolgreich und arbeitete im Bereich der Politik sowohl für die Kommunisten wie auch für die konservative Volkspartei. Mitte der 1950er Jahre übersiedelte Aigner nach Deutschland, wo er unter anderem als Illustrator von Zeitschriften erfolgreich war. Auch hier war er für die Politik tätig und schuf für den Wahlkampf 1957 mit seinem Adenauer-Porträt wohl eines der wichtigsten politischen Plakate in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am 19. Oktober 1984 verstarb Paul Aigner in Chieming am Chiemsee, wo er lange gelebt hatte.
Bisher war lediglich ein von Paul Aigner geschaffenes ÖVP-Plakat für die Nationalratswahl 1949 bekannt, nämlich jenes mit dem Slogan „Schützt die Heimat. Wählt Österreichische Volkspartei“. Es trägt entgegen der sonst üblichen Gepflogenheit des Grafikers, seine Arbeiten zu signieren, keinen Namensvermerk. Der Grund dafür liegt wohl in der Tatsache, dass Aigner gerade Ende der 1940er Jahre viel für die Kommunisten arbeitete. Auch das Heimkehrer-Plakat ist unsigniert, kann jedoch anhand einer Illustration von Paul Aigner für den Fortsetzungsroman „Dawai-Dawai!“ für die Zeitschrift „Bravo“ aus dem Jahr 1957 dem Grafiker zugeordnet werden.[6] In der „Bravo“-Geschichte geht es um das Schicksal von deutschen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Illustration, die Aigner dafür schuf, ist nahezu ident mit dem Bild des Soldaten auf dem Wahlplakat der ÖVP. Dass er für die Abbildung in der Zeitschrift nur das von einem anderen Grafiker geschaffene Plakat kopiert hätte, wäre in dem gegebenen Kontext unmöglich gewesen.
Ob es Rudolf Pusak klar war, wer hier sein grafischer Gegenspieler war, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Dass die beiden einander gut kannten und manchmal sogar zusammenarbeiteten, macht den Fall noch etwas kurioser. In dem hier schon erwähnten Zeitungsartikel anlässlich seines 80. Geburtstages erinnerte sich Pusak an die Zeit, als er im Atelier „Gaernter + Kloss“ an Filmplakaten arbeitete: „Die Zarah Leander hab’ ich schon auswendig können. Das heißt, die eine Hälfte. Weil ich bin ein Rechtshänder, und hab die linke Hälfte g’malt, und mein Freund der Paul Aigner, war Linkshänder und hat die Figur ergänzt.“[7]
[1] Arbeiter-Zeitung, 1.9.1949, S. 2.
[2] Das Kleine Volksblatt, 2.9.1949, S. 4.
[3] Hölzl, Norbert: Propagandaschlachten. Die österreichischen Wahlkämpfe 1945 bis 1971, Wien 1974, S. 40.
[4] Arbeiter-Zeitung, 3.9.1949, S. 2.
[5] Hirschmann, Christoph: Ein Wiener malte Politik, in: Arbeiter-Zeitung, 25.1.1988, S. 16/17.
[6] Bravo, 1957/44, S. 34/35.
[7] Siehe Anm.5.