Im Oktober 2016 fand im Wiener MAK ein Symposium zum Thema „Design Dialog, der jüdische Beitrag zur Wiener Moderne“ statt. Führende KulturhistorikerInnen, MuseumskuratorInnen, Architektur- und KunsthistorikerInnen hielten Vorträge darüber, welche Rolle jüdische AuftraggeberInnnen und ArchitektInnen dabei gespielt haben, dass sich in Wien zwischen 1800 und 1938 neue Stile in Architektur und Design etablieren konnten. Der Kunsthistorikerin Elana Shapira ist es gelungen, die Vorträge dieses Symposiums in Buchform herauszugeben und da der grundsätzlichen Frage nachzugehen: Gibt es Design, das man mit Jüdisch-Sein verbinden kann?
Natürlich kann hier, in diesem Rahmen, nicht jeder Beitrag einzeln gewürdigt werden. Auf eines soll aber gleich zu Beginn hingewiesen werden, nämlich dass da viel Neues bekannt wird und auch abseits der allseits geläufigen Namen geforscht wurde. Denn es traten schon im Biedermeier, also in der Mitte des 19. Jahrhunderts – und nicht erst zu jenem oft erwähnten Zeitpunkt des Ringstraßenbaus – jüdische Auftraggeber mit selbständigen Design-Vorstellungen an die Öffentlichkeit. Und so widmet Katharina Schoeller, Expertin für Kunst des 19. Jahrhunderts, den ersten Beitrag gleich einmal den beiden Pionieren des Wiener Vormärz, Ludwig Ritter von Förster und Louis Freiherr von Pereira Arnstein. Liest man die Biografien der beiden in so vielen Lebensbereichen Tätigen, fast ist man geneigt zu sagen, Hyperaktiven, so muss man einerseits an den Titel eines Lesebuchs über das 19. Jahrhundert denken: „So viel Anfang war nie“. Und andrerseits wird hier zum ersten Mal, wie später dann in mehreren Beiträgen, auf die Funktion des „Netzwerks“ hingewiesen, auf die Verbindungen, die manchmal zufällig, manchmal gewollt und gesucht, entstanden. Vom Design ist die Rede, vom Design, das man mit Judentum verbinden könnte: Förster war es, der intensive Überlegungen anstellte, „welcher Baustil nun der geeignetste für eine Synagoge sei“ und der zum Ergebnis kam, dass es der orientalisch-maurische Stil wäre. (So entstand unter anderen die noch bestehende große Budapester Synagoge nach seinen Plänen in den Jahren 1854–59). Somit ist er auch Gegenstand der Überlegungen des multikulturell tätigen Mediziners Pierre Genée über „Wiener Synagogen zwischen Ost und West“.
Zwei weitere Aufsätze im ersten Teil des Buches, der den Titel „Narrative jüdischer Emanzipation“ trägt, befassen sich mit der Frage, die sich dem jüdischen Bürgertum der Ringstraßenzeit stellte: „In welchem Styl sollen wir bauen?“ und „Das Palais Goldschmidt am Schottenring“, in dem auf „Ein jüdisches Bildprogramm im Zusammenspiel von Bauherr und Architekt“ hingewiesen wird, denn da waren erstmals auf der Wiener Ringstraße sowohl Bauherr als auch Architekt Juden. Man baute im Stil der italienischen Renaissance, weil das allenthalben gefragt war, man wollte sich da nicht absondern. Aber eine der Figuren an der Front des Palais war Moses, damit schon auch ein eindeutig jüdisches Statement. Der Künstlerin Emilie Bach, dem Architekturlehrer Carl König, Oskar Marmorek, „dem ersten Baumeister der jüdischen Renaissance“, Sigmund Freuds Umgang mit der Farbe und Josef Frank und der Wiener Wohnkultur der Zwischenkriegszeit sind die Beiträge im zweiten Teil, „Jüdische Renaissance – Neue Tore öffnen“, gewidmet. Das ist der richtige Zeitpunkt zu erwähnen, dass alle diese Beiträge so geschrieben sind, dass sie umfassend Einblick gewähren. Dieses Buch über den „Design Dialog“ könnte man sowohl vom Stil als auch vom Inhalt her, vielleicht mit der altmodischen Bezeichnung „Lesebuch“ treffend charakterisieren. Ganz besonders trifft das auf die Essays in dem Kapitel „Feministische Manifeste – weibliche Entwürfe von Emanzipation“ zu. Die Reformpädagogin, Philantropin und Journalistin Eugenie Schwarzwald, die provokative Keramikerin Vally Wieselthier, die Malerin, Mäzenin und Muse Nelly Marmorek und die Architektin Liane Zimbler sind da Gegenstand einschlägiger Betrachtungen, bevor die Historikerin Lisa Silverman die Komplexität der Selbststilisierung für jüdische Frauen im zwischenkriegszeitlichen Wien aufzeigt. Da geht‘s um Erwartungshaltungen, um jüdisches Selbstverständnis im Anderssein, um die Erschwernisse und deren Überwindung. Quellen dazu fand Silverman bei Annemarie Selinko, bekannt durch ihren Roman „Désirée“ und bei Lisl Weil. (Weil wurde in AUSTRIAN POSTERS in dem Beitrag „Die Drei mit dem Stift“ erwähnt, da sie im New Yorker Leben Lily Renées eine wichtige Rolle spielte.)
Neue Bereiche werden auch in „Konstruierte und Dekonstruierte Identitäten“ aufgebrochen. Da geht es in „Dis-Oriented Jews?“ um jüdische Identität, um Assimilation und um eigenen „orientalischen“ Stil und die zukunftsträchtige Lösung Josef Franks, der pragmatisch, kosmopolitisch und pluralistisch eingestellt war. Werner Hanak, ehemaliger Chefkurator am Jüdischen Museum in Wien und derzeitig stellvertretender Direktor des Jüdischen Museum Frankfurt, schreibt in „Von Bärten und Propheten“ über Theodor Herzl, die eigenartigen Erinnerungen Hermann Bahrs und die Folgen des „antisemitic turns“ der Wiener 1880er Jahre. Die Architekturhistorikerin Leslie Topp untersucht, wie das Design in Otto Wagners Postsparkasse und des Hauses am Michaelerplatz von Adolf Loos Spuren des Antisemitismus trug: „Nicht aufgrund einer bestimmten Haltung der Architekten, sondern auf Wunsch der Besitzer, an denen sie ihre Designs ausrichteten.“ Sie will zeigen, wie „real und hochkomplex“ die Verbindung zwischen moderner Architektur und antisemitischer Politik war. Endlich ist auch vom Wiener Kaffeehaus und den Mythen, die sich darum spinnen, die Rede. Die Kunsthistorikerin Tag Gronberg schaut aber weniger aufs Glamouröse, als eher aufs Widersprüchliche und Spannungsgeladene, das dort zum Ausdruck und oft auch Ausbruch kam. Der letzte Teil des Buches ist expressis verbis den kulturellen Netzwerken gewidmet: den gemeinsamen politischen Interessen von Josef Frank und Otto Neurath, wie sie sich im Siedlungsbau äußerten, und dem Plagiatsstreit um die „Raumbühne“, in der die Trennung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum aufgehoben wurde. Eva Ottilinger behandelt den Architekten Ernst Plischke und das Beziehungsgeflecht zwischen den AuftraggeberInnen, bevor dann abschließend von Jakob Wassermann und seinen Beziehungen zur Wiener Gesellschaft die Rede ist.
Abschließend: „Design Dialog“ ist ein Lesebuch, das die grundsätzliche Frage nach der Rolle, die das Design im jüdischen Leben der Wiener Moderne spielte, auf vielfältige – oft unerwartete – Art und Weise beantwortet. Die Artikel sind jeweils in der Sprache – deutsch oder englisch – veröffentlicht, in der die Vorträge gehalten wurden, ein Abstract, eine Zusammenfassung, zu Beginn in der jeweilig anderen Sprache, hilft beim Verständnis. Illustrationen sind eher sparsam, nur dort, wo sie unbedingt nötig sind, eingesetzt.
Shapira, Elana (Hrsg.): Design Dialogue: Jews, Culture and Viennese Modernism. Design Dialog: Juden, Kultur und Wiener Moderne, Böhlau Verlag, Wien–Köln–Weimar 2018.