Triggerwarnung: Dieser Beitrag enthält in Wort- und Bild-Zitaten menschenverachtende antisemitische Inhalte, deren Verwendung im Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Rassismus und Faschismus jedoch notwendig ist.
Hugo Breitner war der wahrscheinlich am meisten attackierte österreichische Politiker der Ersten Republik, gehörte aber auch zu den am stärksten verehrten Persönlichkeiten jener Zeit. Hugo Breitner war von 1919 bis 1932 Finanzstadtrat von Wien und wurde in dieser Funktion zum „Erfinder“ jenes Steuersystems, das die Voraussetzung für die Verwirklichung der beispielgebenden Sozialpolitik der damaligen sozialdemokratischen Wiener Stadtverwaltung bildete. Dazu gehörte auch das bis heute international positiv wahrgenommene Programm des sozialen Wohnbaus.
Hugo Breitner wurde am 9. November 1873 in Wien geboren und entstammte einer jüdischen, mittelständischen Kaufmannsfamilie. Bevor er in die Politik ging, war er bei der „Länderbank“ in leitender Funktion tätig. 1919 beeindruckte Breitner die Verantwortlichen der Wiener Sozialdemokratie mit einem Sanierungskonzept der durch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs schwer angeschlagenen Wirtschaft so sehr, dass er 1919 als Mitglied der Wiener Stadtregierung für die Finanzen zuständig wurde. Breitners System basierte auf dem einfachen Konzept: „Die Reichen sollen zahlen!“ Eine überschaubare Gruppe an Wohlhabenden stand vielen notleidenden Menschen gegenüber. Diejenigen, die über entsprechendes Eigentum verfügten, sollten für jene, die nichts hatten, einen solidarischen Beitrag leisten. Die „Breitner-Steuern“ sollten jene zahlen, die es sich leisten konnten, Bars, Nachtlokale, Kabaretts oder auch Pferderennen zu besuchen, die ein Automobil besaßen oder sich ein Rennpferd hielten, die Hausangestellte beschäftigten und/oder in repräsentativen Villen wohnten. „Luxus und Vergnügen zu besteuern, um die Aufziehung eines körperlich gesunden, geistig freien, lebenstüchtigen und lebensfrohen Geschlechts zu ermöglichen, ist der Grundgedanke der sozialdemokratischen Gemeindepolitik“, hieß es dazu in einer Werbebroschüre aus dem Jahr 1927.[1]
Breitners Programm war sehr umstritten, was in den Wahlkämpfen jener Zeit zu heftigen Auseinandersetzungen um den Finanzstadtrat führte. Am 24. April 1927 fanden in Österreich gleichzeitig Nationalratswahlen und Wahlen für den Wiener Gemeinderat und Landtag statt. Die Christlichsozialen kandidierten damals gemeinsam mit den Deutschnationalen als „Einheitsliste“. Hauptangriffspunkt war das Rote Wien und insbesondere Hugo Breitner als Vertreter einer marxistischen Verteilungspolitik. So hieß es in einem Flugblatt der „Einheitsliste“: „Breitner, der als Finanzreferent der Hauptstadt Wien das Wiener Gewerbe zugrunde gerichtet hat, der in einer Zeit, wo die Bundessteuern nicht erhöht, sondern ermäßigt wurden, die ohnehin ungleich höheren Wiener Landessteuern um weit mehr als hundert Prozent hinaufschraubte, Breitner, welcher der eigentliche Vater der Arbeitslosigkeit genannt zu werden verdient, die unsere Volkswirtschaft lähmt, Breitner soll nach dem 24. April Finanzminister von Österreich werden, um die Länder nach Wiener Muster auszuplündern.“[2]
In allen konservativen Zeitungen des Landes, vom „Vorarlberger Volksblatt“ über die „Salzburger Chronik“ bis zur „Neuen Warte am Inn“, und auf nahezu jedem Plakat der Rechten wurde der Kampf gegen den Wiener Kommunalpolitiker thematisiert, wobei die Kritik oft in blanken Hass umschlug: „Schluss mit der Breitnerei!“ lautete die Devise.[3] Ein Plakat zeigt Breitner mit wild verzerrtem Gesicht, wie er die „städtische Steuerknute“ schwingt. Die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ antwortete darauf in einem Beitrag über den laufenden Wahlkampf: „Sozusagen der Schlager ist ein Plakat, auf dem ein Theaterbösewicht mit einer Geißel dargestellt ist; aus dem erläuternden Text geht hervor, daß der Teufel, der da an die Wand gemalt wurde, unser Genosse Breitner sein soll. Der infernalische Haß gegen den Mann, der den Luxus besteuert, um das Elend zu lindern, hat sich selber in diesem Bilde getroffen, und erschreckend offenbart sich die geistlose Niedertracht der Einheitsfront.“[4] Sogar der deutschen Fachzeitschrift „Seidels Reklame“ war jenes Schreckensbild eine Erwähnung wert: „Die Wirkung ist recht schwach, nicht nur, weil das Plakat in einer Farbe gehalten ist, sondern auch, weil die Zeichnung geradezu dilettantisch genannt werden kann.“[5]
Die Sozialdemokraten antworteten auf die Attacken mit einem kräftigen, vom politisch engagierten Grafiker Victor Th. Slama gestalteten Signal. In pointierter und für manche wohl auch provokanter Weise schuf er mit der roten Hand, die auf die Sektflasche zugreift, ein einprägsames Zeichen zur Visualisierung linker Steuerpolitik. In Zeitungsartikeln und Flugblättern wehrte man sich auf einer sachlicheren, argumentativen Ebene gegen die Angriffe der „Einheitsliste“. So wies man auf den Umstand hin, dass 1927 der von der Stadt betriebene Wohnbau sowie weitere Investitionen im Bereich der Sozialpolitik Beschäftigung für 78.000 Menschen gebracht hatten. Und man wehrte sich mit Angriffen auf die bundesweite, durch die Regierung von Bundeskanzler Ignaz Seipel eingeführte Warenumsatzsteuer, die als Massensteuer besonders die notleidende Bevölkerung traf. Man scheute dabei auch vor krassen Beispielen nicht zurück. So hieß es auf sozialdemokratischen Flugzetteln: „Die Toten besteuert die christlichsoziale Regierung! Sogar von Begräbnissen hebt Seipel die Warenumsatzsteuer ein! Die rote Gemeinde besteuert die Tanzfeste der Reichen, die christlichsoziale Regierung die Begräbnisse der Armen“.[6]
Gerade Argumentationen wie diese waren nicht angetan, die Schärfe der propagandistischen Auseinandersetzung zu mildern. Nicht nur der Ton, auch die tatsächlichen Umgangsformen zwischen dem linken und dem rechte Block wurden im Laufe der Ersten Republik immer rüder. Vor allem wurden die antisemitischen Attacken gegen Hugo Breitner immer aggressiver. Zu Beginn der Nationalrats-Wahlkampfes 1930 erklärte der Führer der paramilitärischen „Heimwehr“ und damalige Innenminister Ernst Rüdiger Starhemberg bei einer Kundgebung auf dem Wiener Heldenplatz: „Den Wienern werde ich ein gutes Rezept für den Wahlkampf geben: sie sollen die Wahlschlacht im Zeichen Breitners führen. Nur wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein!“[7] Zwar gab es in Wien zu diesem Zeitpunkt gar keine Gemeinderatswahlen, der Wiener Finanzstadtrat aber wurde als Ziel polemischer Angriffe dennoch in den Nationalratswahlkampf eingebunden: Eine zehnteilige Flugschriftenreihe, die zur Wahl der Liste „Christlichsoziale Partei und Heimwehr“ aufrief, entfachte eine derbe Hetzkampagne gegen ihn. Einige Titel der Serie lauteten „Breitners Lustbarkeit“, „Breitner, der Menschentöter!“, „Breitnerisches Familienleben im Stundenhotel!“ oder gar „Breitner, der Bordellwirt!“ Derartige Schlagzeilen mündeten in die antisemitische Parole: „Asien ist, was Breitner denkt, Asien ist, was Breitner tut. Hinaus mit dem Asiaten aus Wien!“[8]
Auch auf Plakaten wurde gegen ihn agitiert, so etwa wurde er auf einem von der späteren Kinderbuchillustratorin Elisabeth Buzek gestalteten Plakat für die Wirtschaftskrise und die hohen Arbeitslosenzahlen verantwortlich gemacht. Die Sozialdemokraten wiederum versuchten dagegenzuhalten und priesen in einer für die damalige Zeit sehr modernen Fotocollage die Leistungen des „Roten Wien“, das erst durch die Arbeit des Finanzstadtrates möglich gemacht worden sei.
1932 trat Hugo Breitner gesundheitlich angeschlagen und offenbar zermürbt von den andauernden persönlichen Attacken von seiner politischen Funktion zurück. Während der Februarkämpfe 1934 wurde er verhaftet, in der Folge lebte Breitner zeitweise in Italien. 1938 konnte er mit seiner Familie in die USA fliehen, wo er in Kalifornien ein bis 1942 befristetes „Research Fellowship“ an der „Claremont University“ erhielt. Breitners letzte Lebensjahre waren von gesundheitlichen Problemen und prekären wirtschaftlichen Verhältnissen getrübt. Er verstarb am 5. März 1946 in Claremont.
[1] Wienbibliothek: Nationalratswahl am 24. April 1927. Konvolut von Werbebroschüren, C 119345.
[2] Warum die Einheitsliste? Flugblatt, Österreichische Nationalbibliothek.
[3] Z.B.: Reichspost, 7.3.1927, S. 1.
[4] Das Plakat in der Wahlbewegung, in: Arbeiter-Zeitung, 33.4.1927, S. 10.
[5] Leutsch, E.: Zur verflossenen Wahlpropaganda, in: Seidels Reklame 1927/6, S. 279.
[6] Siehe Fußnote 1.
[7] Kleine Volkszeitung, 6.10.1930, S.2; Arbeiter-Zeitung, 5.10.1930, S. 2; Linzer Tagespost, 6.10.1930, S. 3.
[8] Wiener Flugschriften, Wien 1930.