„What is it to rock?“ Diese Frage am Beginn des Buches “Rock Covers” ist im englischen Original viel essentieller als die darauf folgende Übersetzung ins Deutsche. Sie lässt einen nämlich über die Bedeutung des Wortes im Deutschen nachdenken: denn „to rock“ kann sowohl sanftes Wiegen und Schaukeln meinen als auch das Erschüttern durch ein Erdbeben. Wir verwenden dieses Wort seit fast siebzig Jahren – natürlich immer im Zusammenhang mit Musik, der Rock-Musik, dem Rock ’n’ Roll – seit Bill Haley’s „Rock around the clock“, ohne über seine Bedeutung weiter nachzudenken. Der Intention des Buches aber kommt die deutsche Übersetzung der eröffnenden Frage näher, nämlich „Was ist dran am Rock?“ Robbie Busch und Jonathan Kirby, beide Plattensammler, D.J. der eine, Musikautor der andere, gaben ein Buch unter dem Titel „Rock Covers“ heraus, in dem sie 750 Plattencover versammelten, die Geschichte machten. Vier Perspektiven waren für die Auswahl entscheidend: Sie wollten klassische Alben präsentieren, die „unerlässlich sind für ein Buch, das im Namen des Rock geschmiedet wurde“, dann sollten möglichst viele Raritäten und Absonderlichkeiten aufgenommen werden, „die auch die pingeligsten Sammler würdigen würden.“
Bei den Bildern, die sie in das Buch aufnahmen, setzten sie voraus, dass sie eigenständige Kunstwerke seien, visuell beeindruckend, egal, welche Musik sich dahinter verbirgt. Und schließlich sollten die Covers für gute Hintergrundstorys sorgen. Apropos Storys. Die beiden Autoren – und der Übersetzer – haben für ihren Text die Sprache gefunden, die der Musik entspricht: „Die Lunte ist entzündet, und diese drei Gitarrenakkorde stoßen die Tür auf in eine andere Dimension, in der die jungen Rebellen in uns ihre Feuerzeuge für eine letzte Zugabe in die Höhe halten.“ Nach diesem einleitenden und entsprechend wuchtigen Statement folgen Interviews mit dem Fotografen Henry Diltz und dem Grafikdesigner Vaughan OIiver. Diltz, der ja kein ausgebildeter Fotograf ist, gibt zu, sich mit Beleuchtung, Hintergrund oder Kulissen nicht auszukennen, ihm war nur eines klar: „Schau durch das kleine Fenster, such den Ausschnitt, der dir gefällt, dann drück auf den Knopf. (Das war noch in den Zeiten der Analogfotografie!) Der Grafiker meint über seine Arbeitsweise, dass er andeuten wolle und nicht beschreiben, den Raum öffnen, inspirieren, anlocken. Mit der Typographie geht er so um, wie ein Illustrator, der Dinge kombiniert, die nicht zusammengehören.
Ja, und dann geht’s los: über vierhundert Seiten mit Covers von A bis Z, von AC/DC bis The Zombies, von den 1950er bis in die 1980er Jahre. Neben jeder Abbildung sind neben den Daten zu Titel, Erscheinungsjahr, Label, Design und Fotografie auch noch persönliche Anmerkungen und Hintergrundstorys angeführt. Es ist unmöglich, hier all das zu beschreiben, was den Kreativen so alles eingefallen ist: überwiegend Fotos, grafisch veränderte, aufgemotzte Fotos, schrill und fantastisch überquellende Farbkompositionen genauso wie stille Grafiken, denen aber dann doch durch ätzende Manipulationen das Idyllische genommen wird. Surreale Fieberträume genauso wie nostalgische Anklänge an vergangene Stil-Epochen. Deutlich kommt der Zeitgeschmack der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts durch, Stilrichtungen sind zu erkennen, einzelne Ikonen – wie das Cover zu „Dark Side oft he Moon“ von Pink Floyd, „Revolver“ von den Beatles, den androgynen David Bowie und die Banane, die Andy Warhol auf das Velvet-Underground Cover gepatzt hat – genießt man. Es fällt auf, dass sexuelle Motive nur ganz selten eine Rolle spielen, Witz grell daherkommen muss, Understatement selten gefragt ist. Kann sein, dass man die eine oder andere Platte findet, die auch in der eigenen Sammlung überlebt hat. Ein Anlass, sie hervorzuholen, und nachzuprüfen, wie weit sich der eigene Geschmack verändert hat.
Und, als ob diese 750 Cover nicht genug wären, haben die Herausgeber zum Abschluss noch zehn Plattensammler gebeten, jeweils die zehn besten Albumcover aller Zeiten zusammenzustellen. Dieses Buch ist eine ganz eigenartige Reise in die jüngere Vergangenheit, man wird auch mit Bildern konfrontiert, die einem heutzutage wenig oder überhaupt nichts mehr sagen, an die man sich vielleicht auch gar nicht mehr erinnern will. Es wird schon auch darauf ankommen, wie man mit der eigenen jugendlichen Vergangenheit klarkommt, denn dort, im zutiefst Emotionellen, treffen einen ja diese Bilder. Dazu stellt sich letztlich für jede Einzelne, für jeden Einzelnen die Frage, wie weit denn das grafische Äußere übereinstimmt mit dem, was auf der Platte dann zu hören ist, wie weit Optisches auf Akustisches vorbereitet. Wie auch immer, diese Plattenhüllen sind Zeitdokumente, Dokumente grafischer Gestaltungskunst, die heutzutage bei den beschränkten Ausmaßen von CD-Hüllen nicht mehr so sichtbar und wirksam werden können, umso besser, dass sie in diesem Buch zusammengetragen – und wie immer bei TASCHEN – in Englisch, Deutsch und Französisch kommentiert wurden.
Busch, Robbie – Jonathan Kirby – Julius Wiedemann: Rock Covers, Taschen Verlag, Köln 2020.