Hans Neumann führte zwischen 1919 und 1938 eines der wichtigsten österreichischen Grafikateliers, mit dem er auch eine beachtliche internationale Anerkennung erlangte.[1] Neben Aufträgen aus Deutschland wurden seine Arbeiten ebenso in britischen Fachpublikationen, wie „Posters & Their Designers“[2] sowie „Poster & Publicity“[3], veröffentlicht. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland musste Neumann als Jude seine Heimat verlassen. Ende des Jahres 1938 gelang ihm über England[4] die Flucht nach Australien, von wo er erst 1957 nach Österreich zurückkehrte. Gerade über diese mehr als 18 Jahre seines Exils ist sehr wenig bekannt. Auch in dem profunden, 2009 publizierten Ausstellungskatalog „Hans Neumann. Pionier der Werbeagenturen“ des Wiener Museums für angewandte Kunst musste man bekennen: „Die Angaben über die australische Zeit sind äußerst spärlich“[5].
Aktuelle Recherchen ermöglichten es nun allerdings, einiges über das Leben von Hans Neumann in Australien zu erfahren. Die erste nennenswerte Meldung über ihn, der sich in seiner neuen Heimat meist Newman nannte, stammt aus dem Jahr 1941 und findet sich in „The Sydney Jewish News“. Es heißt darin unter dem Titel „Prize Winning Refugees“: „Shortly after it became known here that Joseph Binder, a Viennese Jewish artist had won the first prize in the poster contest for the US. Army in which 610 artists of America had taken part, another Viennese Jewish artist, Hans Newman (Neumann) won in partnership with the photographer Russel Roberts the first prize for the best Australian recruiting poster. The competitive works were exhibited at David Jones’ in Sydney, are presently on view in Melbourne and will be shown in other Australian centres. Mr. Hans Newman is a member of the Committee arranging an Exhibition of European Paintings, Furniture and Objects of Art for May, 1942, in Sydney.“[6] Abgesehen davon, dass Joseph Binder nicht jüdisch war, zeigt der Bericht, wie schnell Hans Neumann in Australien entsprechende Anerkennung sowohl als Designer als auch als Organisator von kulturellen Veranstaltungen erlangen konnte.
Bei dem Plakatwettbewerb handelte es sich um eine Aktion des in Sydney erscheinenden „Sunday Telegraph“, wobei in weiteren Zeitungsberichten nur der Fotograf Russel Roberts und nicht Neumann als Preisträger genannt wurde.[7] Das Plakat selbst konnte bis dato nicht ausfindig gemacht werden. Es gibt allerdings auch keinen Hinweis darauf, dass es tatsächlich gedruckt wurde. Doch in den australischen Zeitungen finden sich einige Beschreibungen des Entwurfs. Daraus geht hervor, dass das Blatt die Fotografie eines Soldaten im Kampfanzug zeigt, der in der einen Hand ein Gewehr hält und mit der anderen auf die Schrift „We want you!“ deutet.[8]
1943 brachte die in Sydney publizierte Bildillustrierte „Pix“ eine Doppelseite zum Thema „AUSTRALIAN SOLDIER ARTISTS PUT THEIR WAR IMPRESSIONS ON CANVAS“. Prominent war dabei Hans Neumann mit seiner Arbeit „Alarm“ vertreten: „Accurate Technique And An Almost Photographic Realism are main features of this striking pencil drawing by L/Cpl. Hans Newman, N318921, Member of Friendly Aliens’ Labor Corps, Newman hails from Vienna, has been in Australia about five years. His commercial art studio in Europe was famous”[9]. Die Zeitungsmeldung dokumentiert neben dem Respekt gegenüber der künstlerischen Qualität Neumanns auch, dass Neumann Angehöriger des australischen Militärs mit dem Rang eines „Lance Corporals“ war, was dem Dienstgrad eines Unteroffiziers entspricht.
Eineinhalb Jahre danach wird Hans Newman wieder in „The Sydney Jewish News“ in einer Funktion erwähnt, die er schon in Wien sehr gerne ausübte. Er sorgte nämlich für das künstlerische Programm eines Festes, in diesem Fall für die jüdische Jugendorganisation „Youth Aliyah“. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „A Midsummer Night’s Dream“. Begeistert wurden da die entsprechenden Pläne angekündigt: „Two committees are working untiringly to make this function the event of this season. An artistic programme under the direction of Hans Newman promises great and exciting things. We are not going to let the cat out of the bag, but we’ll tell you that Dance Music, an Open Air Cafe, and a Floodlit Ballet are only a small part of the attractions that aw[a]it you.”[10]
Wie die Zeitungsmeldung zeigt, hat Neumann offenbar aktiv in der jüdischen Gemeinde von Sydney mitgearbeitet. So wird etwa auch ein Hans Newman erwähnt, der sich als Komiteemitglied um die 1955 fertiggestellte „Parramatta Synagogue“ in Sydney verdient gemacht hat.[11] Es spricht viel dafür, dass es sich bei diesem Newman um den Wiener Hans Neumann handelt.
Im Oktober 1947 fand in Wien eine Ausstellung aus Anlass des 20-Jahre-Jubiläums der Gründung des „Bunds österreichischer Gebrauchsgraphiker“ statt. Im dazu erschienenen Katalog wurde Hans Neumann als verstorben geführt.[12] In Zusammenhang mit dieser pietätlosen Falschmeldung mag vielleicht folgende Suchmeldung in „The Sydney Jewish News“ vom Januar 1948 stehen: „Hans Neumann from Vienna, who was a painter there“[13].
In einem etwas kurios anmutenden Zusammenhang wurde Hans Neumann zwei Jahre später erwähnt, nämlich als Leihgeber eines Betts aus dem Besitz von Erzherzog Albrecht, in dem angeblich Napoleon geschlafen haben soll. Es war dies ein Exponat für die „International Art Treasures Exhibition“, die 1949 in Sydney stattfand: „HANS NEWMAN, artist, is loaning these pieces. The bed in which Napoleon is reputed to have slept belonged to the Hapsburg family and came from the Archduke Albrecht’s castle near Vienna. Portrait of Archduke Karl, notable for defeating Napoleon at Aspern, hangs above.“[14]
Ein Jahr später wurde unter „Book News“ im „Sydney Morning Herald“ die Neuerscheinung „EVERYBODY‘S DOG BOOK. A booklet written and illustrated by Hans Newman“ angekündigt.[15] In dem zwanzigseitigen Bildheft werden die populärsten Hunderassen in Wort und Bild dargestellt, wobei der Autor sein umfassendes Wissen in diesem Bereich einfließen lassen konnte. So wurde er in dem Buch nicht nur als Autorität in Hundefragen, sondern auch als Preisrichter und Züchter angekündigt: „Hans Newman ist well known and respected by all dog lovers. He is an Authority, a Judge and Breeder. He can also draw dogs, as you can see as you turn the pages of this book.“[16] Das Büchlein ist zwar in der „Children’s Press“ in Sydney erschienen, trägt aber auf dem Umschlag den Hinweis „this is a book for the entire family“.
Ab 1. April 1957 war Hans Neumann wieder in Wien gemeldet, wobei auf seinem Meldezettel weiterhin Sydney als Hauptwohnsitz verzeichnet war.[17] Er arbeitete in der Folge in Österreich wieder als Gebrauchsgrafiker, vor allem im Bereich der Wirtschaftswerbung. Am 19. November 1960 verstarb er in seiner Geburtsstadt, die ihm keine dauerhafte Heimat sein konnte.[18]
[1] Denscher, Bernhard: Gebrauchsgrafik aus Österreich. 51 Lebensläufe, Wolkersdorf 2022, S. 134ff. https://www.austrianposters.at/2021/04/10/hans-neumann-der-plakatgewaltige-von-wien/
[2] Sydney R. Jones: Posters & their Designers, London 1924, S. VII.
[3] Sydney R. Jones: Posters & Publicity. Fine Printing and Design, London 1926, S. 150.
[4] Laut Meldezettel abgemeldet am 31.12.1938 nach London, Meldeunterlagen des Wiener Stadt- und Landesarchivs.
[5] Pokorny-Nagel, Kathrin: Biografie Hans Neumann, in: Noever, Peter (Hrsg.): Hans Neumann. Pionier der Werbeagenturen, Wien 2009 (=MAK Studies 14), S. 102.
[6] The Sydney Jewish News, 28.11.1941, S. 8.
[7] The Daily Telegraph, 2.11.1941, S. 5; The Daily Telegraph, 3.11.1941, S. 5.
[8] The Herald, 15.11.1941, S. 7; The Argus, 18.11.1941, S. 6; The Daily Telegraph, 4.11.1941, S. 2.
[9] Pix, 15.5.1943, S. 17.
[10] The Sydney Jewish News, 27.10.1944, S. 8
[11] Parramatta Synagogue, https://parramattasynagogue.com.au/sample-page/
[12] Ausstellung des Bundes Österreichischer Gebrauchsgraphiker, 1927-1947, Wien 1947, S. 9.
[13] The Sydney Jewish News, 30.1.1948, S. 7.
[14] The Australian Women’s Weekly, 15.10.1949, S. 56.
[15] The Sydney Morning Herald, 28.10.1950, S. 12.
[16] Newman, Hans (=Neumann, Hans): Everybody’s dog book: all popular breeds of dog finely drawn. Their habits, size, diet and appearance in detail, Sydney 1950, S. 2.
[17] Pokorny-Nagel, Fußnote 4, S. 102.
[18] Die Presse, 27.11.1960, S. 8.