Wie funktioniert Wissenschaft? Ein Problem wird gestellt, darauf folgt die Sammlung von Daten im Zuge von Experimenten und Beobachtungen, und schließlich werden Hypothesen aufgestellt und überprüft. Es scheint ja so, dass eben diese Wissenschaft und ihre Erkenntnisse immer mehr und mehr in der Öffentlichkeit ankommen. Was aber nun die Aufgabe mit sich bringt, dies auch allgemein verständlich zu kommunizieren, anschaulich darzustellen. Diese Illustrationen können einmal ansprechend gelingen und dann wieder besonders schwierig sein, das weiß Julius Wiedemann, der schon einige einschlägige Bücher zum Thema Grafik-Design und Informations-Grafik herausgegeben hat: „Die größte Schwierigkeit bei der wissenschaftlichen Illustration liegt wohl darin, einem Publikum, dem das entsprechende Fachwissen fehlt, häufig abstrakte und nicht unbedingt naheliegende Umstände zu erklären.“ Als optisches Hilfsmittel bei der Vermittlung würde, so meint er, die Farbe sehr stark helfen.
Im Taschen-Verlag hat Wiedemann nun den Band „Science Illustration“ herausgegeben. Sein Vorwort dazu leitet Wiedemann unter dem Titel „Erleuchtung für Wissenschaft und Menschheit“ mit der Ansage ein, dass dieses Buch mehr zeige als nur den wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Bilder, vielmehr sei es ein Werk über die Suche nach der Wahrheit und ihren Einfluss auf unser tägliches Leben.
Anna Escardó, die Autorin von „Science Illustration“, hat Literatur und Maschinenbau studiert, ist also besonders geeignet dafür, eine Brücke zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften zu bauen. Mit überschwänglichem Pathos beginnt sie ihren Beitrag über „Die Kunst, Wissenschaft zu verstehen“. Sie konfrontiert mit der brüllenden Erde, glühenden Gebirgen und einer hereinbrechenden Sintflut, weiß, dass man Dinge mit den Sinnen wahrnimmt, deren Ursache einem völlig unbekannt sind. Umso bewundernswerter findet sie die wissenschaftliche Arbeit, und sie lädt ein, „dieses Buch als eine kleine Feier der Wissenschaft zu sehen.“
Chronologisch beginnt Escardó ihre Darstellung im 15. Jahrhundert, weil sich da Grundlegendes verändert hat. Erkenntnis hörte auf, ein geistliches Phänomen zu sein, die Methode setzte sich durch, auf Beobachtung, Erprobung und Schlussfolgerung zu setzen. In dem Buch geht es nun darum, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, anhand der Illustrationen, die zu ihrer Erläuterung angefertigt wurden, neu zu entdecken. Diese Illustrationen begleiten einen auf der Reise durch die Geschichte der Wissenschaften. Escardó spricht auch das Problem von Information einerseits und künstlerischem Ausdruck andererseits bei vielen dieser kleinen Meisterwerke an. Deren Wert liegt in ihrer Genauigkeit und Funktionalität, ihrer Wirklichkeitsnähe und ihrem Informationsgehalt. „Künstlerische Bestrebungen oder ästhetische Überlegungen formen den Stil eines bestimmten Zeichners. Sollten aber nicht vom eigentlichen Gegenstand ablenken. Erblickt man Schönheit in diesen Illustrationen, dann nur, weil sie deren Natur eigen ist.“
Es folgen, chronologisch geordnet, vier Kapitel, vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, vom heliozentrischen Weltbild des Kopernikus zu Newtons Gravitationsgesetz, dann das 18. von Watts Dampfmaschine bis zur chemischen Synthese des Wassers durch Lavoisier. Es folgt das 19. Jahrhundert von Darwins Evolutionstheorie bis zu Edisons Glühbirne und schließlich das 20. Jahrhundert und die Zeit darüber hinaus, von Einsteins Relativitätstheorie bis zum Teilchenbeschleuniger. In jedem dieser Kapitel wird gleich einmal zu Beginn in ein paar Sätzen das wissenschaftlich Wichtigste aus jener Zeit angeführt, dann folgen einige auserwählte WissenschaftlerInnen und es wird auf die jeweils aktuellen Illustrationsmethoden eingegangen. Schließlich kommt man zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus diesem Zeitraum, die sowohl knapp, aber dennoch umfassend verbal definiert, als auch – und das ist ja das Wichtigste an diesem Buch – mit Illustrationen erklärt werden. Das beginnt mit wunderschön handkolorierten Kräuterbüchern und endet mit dem Holotyp (der ersten wissenschaftlichen Darstellung einer neuen Art) eines Hominiden aus dem Mittelpleistozän. Ungefähr 300 Abbildungen sind es, die da ausgewählt wurden. Sie kommen aus dem Gebiet der formalen Wissenschaften (Mathematik, Statistik, Logik und Informatik), der Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Geologie, Paläontologie und Chemie), der Architektur, der Medizin und den Ingenieurswisssenschaften.
Es ist die Mischung, die das Buch so besonders macht. Einerseits gibt man sich dem Betrachten der Illustrationen hin, die ja in vielen Fällen kleine Meisterwerke sind, andererseits sichert die Lektüre der wissenschaftlichen Erklärungen sowie das Aufzeigen der Hintergründe das alles intellektuell ab.
Escardó, Anna – Julius Wiedemann (Ed.): Science Illustration. A History of Visual Knowledge from the 15th Century to Today. Deutsch, Englisch, Französisch. Taschen Verlag, Köln 2022.