Betrachtet man die Geschichte des Plakats und seiner Vorläufer, so kann man sich auf verschiedene Weise dieser Entwicklung nähern. Zum einen sind es technische Aspekte, die mit der Papierherstellung[1], den Druckfarben[2] und der Drucktechnik[3] zusammenhängen. Zum anderen sind es die stilistischen Entwicklungen, zunächst national, dann eher übergreifend international, zunächst sehr dicht an den Strömungen der bildenden Kunst, aber ab Anfang des 20. Jahrhunderts auch mit einer neuen, eigenen Formensprache. Dies sind die etabliertesten Methoden, Plakate in ihrer Zeit zu beschreiben. Es gibt aber noch weitere Fragestellungen, u.a.: wann und warum sind welche Themen im Plakat aufgetaucht?
Zu den ersten Themen, die schon auf Flugblättern und Anschlagzetteln im 17. Jahrhundert häufig zu finden sind, gehört neben behördlichen Bekanntmachungen auch die Werbung für das „fahrende Volk“[4], das seine Vorstellungen, seine Attraktionen und Sensationen auf diese Weise dem Stadt- und Landvolk verkündete. So gesehen könnte man diese Flugblätter und Anschlagzettel als Vorläufer des Kulturplakats betrachten.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts folgte dann in den Ländern mit rasanter Industrialisierung, wie etwa in England, Frankreich, Italien und den USA, die Werbung für Produkte und Dienstleistungen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz hingegen wurden solche Plakate erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts benötigt. Erst dann ermöglichte der Fortschritt in der Industrialisierung eine Massenproduktion, die Konkurrenz hervorbrachte und Werbung notwendig machte.
Auch wenn man schon zu Zeiten des Deutschen Bauernkriegs (1524–1526/1527) illustrierte Flugschriften mit politischem Inhalt kannte[5] und auch während der Deutschen Revolution (1848/1849) zahlreiche Anschläge mit politischen Forderungen die Straßen säumten, so blieb das Verbreiten politischer Meinungen mittels Plakat in der Öffentlichkeit prinzipiell verboten. Die Geschichte des politischen Plakats beginnt intensiv mit den Motivfindungen für die Propagandaplakate im Ersten Weltkrieg, die den Grundstein zum Beispiel für die Wahlplakate in der Weimarer Republik legten. In den 1960er Jahren wurde das Plakat als Kunstprodukt etabliert.[6] In der Zeit von den Anfängen des Plakats bis heute hat sich natürlich noch mehr verändert. Die Spezialisierung innerhalb der Themen hat zugenommen, ebenso die Abgrenzung der Entwicklungen, wie man sie zum Beispiel zwischen Kultur- und Produktplakaten beobachten kann. Die Produktionsbedingungen haben sich geändert, die werbliche Infrastruktur hat sich entwickelt, die Medienkonkurrenz etwa durch Fernsehen und Internet hat das Plakat von seiner Monopolstellung verdrängt – alles Aspekte, die auch die Bedeutung und den Einsatz des Kulturplakats beeinflussen.
Das Kulturplakat
Die Betrachtung setzt zur Hochzeit des Plakats in Frankreich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ein. Plakate für das Theater, für Vergnügungsstätten, aber auch für Auftritte von Kabarettistinnen und Kabarettisten setzen generelle Maßstäbe für die Entwicklung des Plakats. Blätter von Jules Chéret (1836–1932), Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901) und Théophile-Alexandre Steinlen (1859–1923) liefern hervorragende Beispiele.
Auch wenn die Wirkung der Pariser Plakate im öffentlichen Raum bekannt ist, so hadert man zur gleichen Zeit in deutschen Kulturkreisen mit dem Medium Plakat. Machart und Überspitzung der Werbeziele erscheinen vielen als unseriös. Dennoch werden sehr aufwendig hergestellte Plakate für große Kunstereignisse, vor allem für Ausstellungen, die zum Beispiel unter dem Protektorat einer hochgestellten Persönlichkeit stehen, veröffentlicht. Dies waren häufig Bilder im historistischen Stil – der Akademiemalerei seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – mit etwas Platz für den benötigten Text. Der Aufwand in der Herstellung ist in der Regel enorm, so dass solche repräsentativen Blätter nur begrenzt den Weg in den öffentlichen Raum finden. Sie werden in Innenräumen gezeigt, in Passagen, Bahnhöfen, Hallen usw.
Um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) gelangt dann auch in Deutschland das Produktplakat massenhaft an die Litfaßsäulen. und mit dem „Berliner Sachplakat“ gelingt es erstmals eine Formensprache zu entwickeln, die der Aufgabe des Plakats, wirksame Werbung im öffentlichen Raum zu machen, adäquat nachkommt. Hauptvertreter ist Lucian Bernhard (Emil Kahn, 1883–1972), dem 1908 mit dem Plakat für Stiller (Schuhe) eine radikale Gestaltung gelingt. Kennzeichnend ist die Konzentration auf das zu bewerbende Produkt als Zentralmotiv, welches ohne Dekoration und nur mit Schlagworten versehen angepriesen wird. Starke Farbkontraste betonen die Modernität der Wort-Bild-Marken.
Diese Entwicklung breitet sich auf viele Bereiche aus, so auch auf das Kulturplakat. Mit Jo Steiner (1877–?) findet sich ein Gestalter, der in reduzierter Form mit den Portraits von z. B. Senta Söneland (Elise A.B.S. Krocker; 1882–1934), Robert Steidl (Hermann A.A.R. Franke; 1865–1927) und Claire Waldoff (1884–1957) eine neue Art des Kulturplakats etabliert: das sogenannte Starplakat. Allerdings gibt es auch Plakate, die sich stilistisch bestenfalls ein wenig dem Zeitgeist anpassen, aber letztlich einmal gefundenen Motiven und Gestaltungen treu bleiben, wie es das Zirkusplakat letztlich bis heute demonstriert.
Das Fremdeln mit dem Plakat hat die Kulturbranche in den deutschsprachigen Ländern zu Anfang des 20. Jahrhunderts bereits wieder überwunden. So finden fast alle stilistischen Tendenzen der Zeit hier ihren perfekten Widerhall: Jugendstil, Art déco, Expressionismus oder Neue Sachlichkeit prägen die Plakate für den Tanz, das Schauspiel oder den Film. So wird das Kulturplakat wieder zum Träger und Vorreiter weiterer Plakatentwicklungen. Es sei unter anderem an Plakate für die Filme „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1920) oder „Metropolis“ (1927) erinnert.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 ändern sich auch die Produktionsbedingungen für das Kulturplakat. Die „Gleichschaltung“ trifft alle Bereiche der Kultur. Literatur und Film werden wichtige Propagandainstrumente, das Plakat zunächst zum wichtigsten Propagandamedium, die NS-Ideologie durchdringt alle Lebensbereiche. Filme wie „Triumph des Willens“ (1934), „Jud Süß“ (1940) und „Ohm Krüger“ (1941) zeugen davon. Aber auch in scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilmen wurde die NS-Ideologie unterschwellig transportiert, wie etwa in „Die Feuerzangenbowle“ (1944). Die Plakate spiegelten Inhalte und ideologische Ausrichtungen ebenfalls entsprechend wider.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der sich abzeichnenden Spaltung Deutschlands gingen viele Entwicklungen – so auch die des Plakats in ‚Ost und West‘ recht unterschiedliche Wege. Während man in den „Westzonen“ einen Neuanfang suchte, indem man sich auf die Vielfältigkeit des kulturellen Ausdrucks der 1920er besann, wurde in der sowjetisch besetzten Zone eine politisierte und ideologisierte Orientierung in allen Lebensbereichen nach sowjetischem Vorbild eingeführt. Diese Entwicklung wurde bis Anfang der 1950er Jahre repressiv durchgesetzt. Ein wesentlicher Einschnitt, auch für das kulturelle Leben in Deutschland, war die Errichtung einer weitgehend geschlossenen Grenze zwischen beiden deutschen Staaten im Jahre 1961. Bis dahin war bereits eine Tendenz spürbar, die der individuellen Gestaltung, dem persönlichen Stil, mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte als die Idee, eine Epoche durch gemeinsame stilistische Merkmale zusammenzuschließen. Die Abschottung galt auch für das kulturelle Leben, Beiträge aus dem ‚Westen‘, egal ob Literatur, Film, Musik usw. fanden den Weg in den ‚Osten‘ eher selten. Auch der umgekehrte Weg konnte eher mäßig genutzt werden. Anfang der 1970er Jahre schien sich das DDR-System auf kulturellem Gebiet vorsichtig zu öffnen, was im Jahr 1976, mit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann (*1936), ein schlagartiges Ende fand. Unterdessen entwickelte sich in der Bundesrepublik eine erstaunliche kulturelle Vielfalt, die von nicht minder interessanten Entwicklungen im Plakat begleitet wurde. Plakate für den Film, gestaltet von Isolde Baumgart (Monson-Baumgart; 1935–2011), Karl Oskar Blase (1925–2016), Heinz Edelmann (1934–2009), Fritz Fischer (1908–1999) und Dorothea Fischer-Nosbisch (1921–2009), Hans Hillmann (1925–2014), Günther Kieser (*1930), Jan Lenica (1928–2011) und Gunter Rambow (*1938). setzten in den 1960er Jahren hier neue, auch international beachtete Impulse. Aber nicht nur Plakate für den Film, sondern auch die für das Theater fanden zu einer neuen, teils dramatischen, teils spektakulären Bildsprache. Eine wichtige Rolle dabei spielte die Fotografie. Aufwendige Inszenierungen und Realmontagen wurden erzeugt, um eindrucksvolle Motive zu erhalten. Eine ganze Generation von Gestaltern konnte sich hier über einen längeren Zeitraum der Weiterentwicklung ihrer Stile widmen. Die sich hier herausbildende Qualität wird u. a. getragen von HAP Grieshaber (1909–1981), Frieder Grindler (*1941) und Renate Grindler (*1940), Horst Janssen (1929–1995), Uwe Loesch (*1943), Holger Matthies (*1940), Ott+Stein (Nikolaus Ott; *1947 und Bernard Stein; *1949), Gunter Rambow (*1938), Jürgen Spohn (1934–1992) und Walter Tafelmaier (*1935).
In der DDR konnte sich das Kulturplakat in den 1980er Jahren wieder einen gewissen Freiraum erobern. Auch wenn hier eher die Illustration im Vordergrund stand, so entwickelte sich vor allem im Bereich des Theaterplakats eine international anerkannte gestalterische Qualität; und dies trotz Eingriffen durch Zensur, Papierknappheit und nicht gerade einfacher Möglichkeiten in hervorragender Druckqualität produzieren zu können. Gestalter wie z. B. Helmut Brade (*1937), Feliks H. Büttner (1932–2021), Karl-Heinz Drescher (1936–2011), Bernd Frank (*1942), Erhard Grüttner (*1938), Frans Haaken (1911–1979), Werner Klemke (1917–1994), Volker Pfüller (1939–2020), Hubert Riedel (1948–2018), Roman Weyl (1921–2011) und Klaus Wittkugel (1910–1985) sind Träger dieser Qualität.
Nicht zu vergessen sind internationale Einflüsse, die auf das deutsche Kulturplakat gewirkt haben. Hier spielen insbesondere Plakatentwicklungen in Polen, Japan, den USA, Frankreich, Österreich und der Schweiz eine Rolle[7].
Mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 hat sich für die Grafikdesigner:innen der ehemaligen DDR die Auftragssituation komplett geändert. Viele von ihnen haben den Schritt in das neue Wirtschaftssystem nicht geschafft; besonders die Art und Weise, wie man an Aufträge kommt, änderte sich vollständig, von der geplanten Vergabe hin zum freien Markt und der daraus resultierenden Konkurrenz. Für viele Gestalter:innen kommt hinzu, dass der Computer Einzug hielt in die Gestaltung.[8] Dies bedeutete einen gravierenden Wandel im Druckereigewerbe, sowohl im Entwurf als auch in der Vorbereitung und der Produktion, auch von Plakaten. Die neuen Möglichkeiten gaben das Empfinden von Modernität vor, waren aber auch noch mit hohen Kosten und einem intensiven Lernvorgang verbunden. Den wiederum konnte auch nicht jeder Grafiker oder jede Agentur, egal ob aus West oder Ost leisten. Schnell aber setzte sich die neue Gestaltungsästhetik durch, egal für welche Themen oder Medien gearbeitet wurde. Zunächst fand eine gewisse Nivellierung statt, ehe man sich wieder auf individuelle Stile besann. Mit der Verbesserung der Programme und der direkteren Umsetzung im Druckprozess waren diese individuellen Entwicklungen wieder möglich.
Heute spielt das Plakat als solches eine eher untergeordnete Rolle im Reigen der Werbemedien. Es hat sich aber einen neuen Platz erobert, nicht in der Medienkonkurrenz gegen das Fernsehen, die Zeitschriften oder das Internet, sondern als integraler Bestandteil von Kampagnen. In diesem Verbund wird vom Plakat allerdings nur noch eine Eigenschaft genutzt: die der dauerhaften Präsenz im öffentlichen Raum. Darunter leidet oftmals die Qualität, weil hier nur Motive aus den anderen Medien adaptiert werden. Dies gilt für Plakate für Produkte und Dienstleistungen. Das Kulturplakat ist für Kultureinrichtungen wie Museen, Theater, Programmkinos und Galerien oftmals das einzige Werbemedium für ihre Veranstaltungen. Insofern liegt der Fokus hier nach wie vor noch eher auf einer adäquaten Gestaltung. Der Anspruch an das Plakat geht jedenfalls weit über die Erwartung der Präsenz im öffentlichen Raum hinaus. In gewisser Weise hat sich durch die unterschiedlichen Erwartungen an das Medium eine ‘Arbeitsteilung‘ zwischen den Plakatthemen etabliert. Die wissenschaftlichen und finanziellen Anstrengungen kommen im Wesentlichen der merkantilen Werbung zugute, hier finden die wesentlichen Optimierungen in Gestaltung und Platzierung statt. Trotzdem wird es spannend zu beobachten sein, wie sich das Kulturplakat verhält, verhalten kann im Strom der vielfältigen, medialen und technologischen Veränderungen.
[1] Man kann beim Papier die Zusammensetzung betrachten, die Oberflächenbeschaffenheit, die Formate, die Zusätze, oder ob es per Hand oder maschinell hergestellt wurde usw.
[2] Begann man mit natürlichen Pigmenten, so forderten größere Auflagen bald Druckerschwärze in größeren Mengen, ebenso verlangten Farbdrucktechniken preiswerte Druckfarben, die künstlich hergestellt wurden, hier geht es auch um spezielle Eigenschaften, wie etwa Trocknung, Lichtechtheit usw.
[3] Die Drucktechniken wurden jeweils mit ihrer Einführung auch auf ihre Tauglichkeit für den Plakatdruck untersucht. Es finden sich zahlreiche Techniken und Kombinationen. Buchdruck, Lithografie, Siebdruck, Offsetdruck, Digitaldruck; Plakate können mit all diesen Techniken produziert werden.
[4] Als „fahrendes Volk“ bezeichnete man zeitgenössisch zunächst nicht sesshafte, ökonomisch in prekären Verhältnissen lebende Gruppen am Rande der Gesellschaft. Benutzt man diesen Begriff heute, so ist damit eher der Wanderzirkus, die Schausteller- oder Artistentruppe gemeint, die keine feste Spielstätte für ihre Darbietungen hatte, sondern ihr Publikum an wechselnden Orten suchen musste.
[5] Siehe dazu: Hermann Meuche (Hg.): Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges. 50 Flugblätter aus der Sammlung des Schloßmuseums Gotha, Leipzig 1976.
[6] Siehe dazu: Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß (Hg.): Plakat. Kunst. Über die Verwendung eines Massenmediums durch Kunst, Wien 2000.
[7] Das polnische Plakat brilliert seit Mitte der 1950er Jahre bereits mit neuen, frischen und ungewöhnlichen Darstellungen; bis in die 1970er Jahre dauert diese „Polnische Welle“ an. Aus den USA kommt die Pop-Art, aus Japan ein neues Qualitätsbewusstsein der Flächengestaltung, Frankreich öffnet mit den Plakaten zu den ‘68er Studentenunruhen ein neues Kapitel des politischen Plakats. Die Schweiz erweist sich als stabile Orientierungsmöglichkeit in Sachen Typografie und Österreich baut seine Plakatstellen im ganzen Land massiv aus. Neue, große Formate und ein breites Themenspektrum kennzeichnet die Plakatszene dort bis heute.
[8] Die ersten DT-Programme (Desktop Publishing) waren Aldus Page Maker (1985) und QuarXpress 1 (1987), 1990 kam dann noch Photoshop 1.0 dazu. Damit war es möglich, Bilder und Texte digital zu bearbeiten, zusammenzustellen und die Daten direkt für die Belichtung, später auch für den direkten Druck bereit zu stellen.