Mit seinen ausdrucksstarken Plakaten wurde der ungarische Grafiker und Bildhauer Mihály Biró ab 1910 zu einem der einflussreichsten Bildpropagandisten Europas. 1919 musste er als engagierter Linker aus dem autoritär regierten Ungarn fliehen und er ging, wie damals viele ungarische Künstler, nach Wien. Die österreichische Sozialdemokratie wusste seine grafischen Fähigkeiten zu nutzen und übergab ihm im Jahr 1920 die Gestaltung aller ihrer wesentlichen Wahlplakate.
Nach anfänglichen Erfolgen, auch im Bereich der Wirtschaftswerbung, war es für Biró im Laufe der Jahre jedoch immer schwieriger geworden, eine für ihn adäquate Beschäftigung in Österreich zu finden. So übersiedelte er 1928 nach Berlin, wo er unter anderem bei der Filmproduktionsfirma UFA Arbeit fand. Darüber hinaus konnte er Plakate für die SPD gestalten sowie Zeichnungen in deren Zeitschriften „Volk und Zeit“ und „Der wahre Jakob“ publizieren. Doch auch in Deutschland wurde das politische Klima Anfang der 1930er Jahre immer rauer, sodass sich Biró 1932 entschloss, nach Wien zurückzukehren. Die Situation war hier für ihn nicht leichter geworden, immerhin aber verwendete sich ein prominenter Politiker der österreichischen Sozialdemokratie für ihn – nämlich der vormalige Staatskanzler und spätere Bundespräsident Karl Renner. In dessen Nachlass im Österreichischen Staatsarchiv findet sich die Kopie eines Empfehlungsschreibens an Franz Lessiak, den Direktor der „GÖC – Großeinkaufsgesellschaft für österreichische Consumvereine“.
Die Firma im Umfeld der österreichischen Sozialdemokratie betrieb um 1930 rund 20 Warenhäuser in Österreich. So schrieb Renner: „Lieber Freund! Heute war ein Vertreter der ungarischen Parteiemigration bei mir, mit der Mitteilung, daß der bedeutende ungarische Zeichner und Maler Michael Biro, der als Reklamezeichner und als Karikaturist einen ersten Namen hat, der Fremdenhetze in Berlin zum Opfer gefallen und nach Wien geflüchtet ist, wo er ohne alle Barmittel landet. Die Verzweiflung dieses wirklich großen Künstlers ist gewaltig, und seine Freunde suchen danach, ihm irgendwelche auch kleine Aufträge, zu verschaffen, damit er wenigstens notdürftig das Dasein fristen kann.
Nun weiß ich, dass die GöC auch in diesem Punkte spart, aber auf einen Betrag von etwa 100 Schilling, um dem Manne einen Reklameauftrag zu erteilen, würde es schließlich auch nicht ankommen. Der Mann ist wirklich wichtig. Die Partei wird ihn ja wahrscheinlich bei den Blättern auch heranziehen und vielleicht imstande sein, ihm ein winziges aber regelmäßiges Einkommen zu sichern. Jetzt aber handelt es sich um den Augenblick, bis alle entsprechenden Verhandlungen abgeschlossen sind. Ich bitte Sie, diese Sache in Erwägung zu ziehen, ich werde Ihnen noch die Adresse des Mannes mitteilen. Sprechen Sie auch mit Thonner[1]. Ein Sache von Biro hat an sich schon künstlerischen Wert und ein einmaliger Versuch wird sich uns auch bezahlt machen.“[2]
Ob Mihály Biró daraufhin von den GÖC-Warenhäusern tatsächlich einen Auftrag erhielt, ließ sich bis dato nicht eruieren. Denn obwohl sein Leben und Werk literaturmäßig relativ gut beleuchtet wurden[3], ist wenig über Birós zweite Wiener Periode bekannt. So schrieb etwa Emil Horn: „Was und wieviel Biró tatsächlich und für wen gearbeitet hat, ist kaum zu beantworten, vermutlich jedoch sehr wenig. Auch in Österreich holten ihn die schlechte wirtschaftliche Situation, Nationalismus und vordrängender Faschismus ein. Bekannt sind einige kleinere Reklamearbeiten, außerdem begann Biró zu malen.“[4] Und Kathrin Pokorny-Nagel vermerkte über Birós zweiten Wien-Aufenthalt: „Er erhält bescheidene Aufträge als Zeitungs- und Buchillustrator und beginnt zu malen.“[5] Konkrete Arbeitsproben Birós aus dieser Zeit waren außer seinem Plakat für den Film „Die Dame mit den weißen Handschuhen“ aus dem Jahr 1933 bisher nicht bekannt.
Allerdings konnten nun drei bemerkenswerte und bisher unbeachtete Arbeiten von Biró aus dem Jahr 1932 in der Zeitschrift „Radio Wien“ gefunden werden. Es sind Inserate der „Wiener Städtischen Versicherungsanstalt“, die damals ein Betrieb der sozialdemokratisch geführten Wiener Gemeindeverwaltung war. Es ist anzunehmen, dass sich Karl Renner mit seinem Anliegen, Biró zu helfen, auch an die Wiener Genossen gewandt hatte.
Das erste dieser Inserate[6] zeigt noch mit zwei kräftigen Arbeiterhänden jenen kräftigen expressiven Stil, für den Biró bekannt geworden war. Doch die beiden folgenden Arbeiten[7] waren bereits von der reduziert-sachlichen Modernität der 1930er Jahre geprägt. Dieser Stil war nicht unbedingt typisch für Biró, aber er passte gut zum gesamten Werbeauftritt der Wiener Städtischen, der sonst von so modernen Grafiker:innen wie Hermann Kosel oder Hansi Lehner-Rosner bestimmt war. Die nahezu kühle Nüchternheit von Birós zwei Entwürfen erscheint bemerkenswert im Hinblick darauf, dass der Grafiker knapp davor in einem Artikel in der deutschen Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“ kritische Worte zum „sachlichen Plakat“ in der politischen Werbung gefunden hatte: „Der hier jetzt so populär gewordene Ausdruck ‚Sachlichkeit‘ (welche sicherlich durch die amerikanische photoähnliche Wiedergabe oder Photomontage entstand) kann für verschiedene Marktartikel, wie Zahnräder oder Autos usw. passend sein, aber in der politischen Propaganda hat diese Ausführung nichts zu suchen.“[8]
Der Wien-Aufenthalt sollte für Mihály Biró nur ein Intermezzo bleiben. Nach dem Bürgerkriegstagen des Februar 1934 floh er aus Österreich nach Prag, wo er bis 1938 blieb. Von dort emigrierte er dann unter dem Eindruck der Bedrohung der Tschechoslowakei durch NS-Deutschland nach Paris. Schwerkrank und unter großen Strapazen konnte er, als Jude, die deutsche Besetzung Frankreichs wie durch ein Wunder überleben. 1947 kehrte er in seine ungarische Heimat zurück, wo er ein Jahr später verstarb.
Erstveröffentlichung: 28.1.2023
[1] Es handelt sich hier offenbar um den Druckereigesellschafter und zeitweiligen SP-Kommunalpolitiker Ludwig Thonner (1888–1953).
[2] Brief vom 3. 8. 1932, zit. nach: Nasko, Siegfried (Hrsg.): Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen, Wien 1982, S. 122.
[3] Denscher, Bernhard – Helge Zoitl (Hrsg.): Biró Mihály 1886–1948. Plakátok, Plakate, Budapest 1986; Horn, Emil: Mihály Biró, Hannover 1996 (=Grohnert, René [Red.]: Reihe Internationale Plakatkünstler, 01); Noever, Peter (Hrsg.): Mihály Biró. Pathos in Rot, Wien 2010 (=MAK Studies, 19).
[4] Horn (Fußnote 2), S. 21.
[5] Pokorny-Nagel, Kathrin: Mihály Biró: Biografie, in: Noever (Fußnote 3), S. 24.
[6] Radio Wien, 7.10.1032, S. 2.
[7] Radio Wien, 21.10.1032, S. 2; 4.11.1932, S.2.
[8] Biró, Michael [=Mihály]: Interview des Monats: Kunst oder politische Plakate, in: Gebrauchsgraphik, 1932/7, S. 65f.