Lange sollte es dauern, bis das genaue Datum des Todes der Grafikerin und Bildhauerin Johanna Meier-Michel, die in Museen und vor allem im Kunsthandel sehr gut vertreten ist, verlässlich eruiert werden konnte. Denn immer noch finden sich da und auch in Fachpublikationen falsche Daten – so etwa werden unter anderem 1930, 1935, 1937 und sogar 1972 als Todesjahr kolportiert. Auch der Sterbeort der Künstlerin wird häufig als unbekannt angegeben. Dabei kommt kaum eine Veröffentlichung zum Wiener Kunstgewerbe um 1900 oder zur „Wiener Werkstätte“ ohne Meier-Michels Arbeiten aus. Zum Populärsten aus ihrem Oeuvre gehören jene kleinen Keramikfiguren, mit denen am Beispiel von biedermeierlich gekleideten jungen Frauen die vier Jahreszeiten dargestellt werden.
Von Meier-Michel stammt aber auch der Entwurf für das Plakat für die so bedeutende „1. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs“ aus dem Jahr 1910.
Im Zuge der Recherchen für einen biografischen Artikel für Austrian Posters im Jahr 2018 versuchte ich, auch unter der tschechischen Variante der in Böhmen geborenen Künstlerin, also unter Meierová-Michelová, zu recherchieren. So kam ich in Kontakt mit dem tschechischen, leider 2021 verstorbenen, Historiker Ladislav Smejkal aus Česká Lípa. Er gab mir den wesentlichen Hinweis, dass Johanna Meier-Michel und ihr Ehemann, der Bildhauer Emil Meier, im Jahr 1944 nach Bombenschäden an ihrem Wiener Wohnhaus in ihre alte Heimat gegangen waren.[1] Dadurch fand sich in der Lokalchronik von Josef Karpf zu Teplice nad Metujíden / Wekelsdorf, dem nordböhmischen Geburtsort von Emil Meier, die Information, dass Johanna Meier-Michel im April 1945 in Česká Lípa/Böhmisch Leipa gestorben sei.[2] Dies konnte ich auch in dem am 15.12.2018 erschienenen Artikel „Johanna Meier-Michel (1876–1945)“ so veröffentlichen, was dann von einigen späteren Publikationen übernommen wurde.
Der Respekt vor der anerkannten Künstlerin motivierte zu weiteren Recherchen, um die genauen Lebensdaten endlich festzustellen zu können. Ein Schreiben an das „Státní okresní archiv Česká Lípa“ (Staatliches Kreisarchiv Česká Lípa) brachte eine prompte und kompetente Antwort von Direktor Petr Kozojed. Der Verlassenschaftsakt war vor Ort einsehbar.[3] Und aus diesem geht klar hervor, dass Johanna Meier-Michel am 1. April 1945 in Česká Lípa gestorben ist.[4]
Das in tschechischer Sprache gehaltene Aktkonvolut gibt Aufschluss, dass die, als solche bezeichnete, Malerin und Bildhauerin „Jana Aloisia Meierová“ geborene „Michelová“ am 21. Juni 1876 im Stadtteil Stará Lípa (Alt Lipa) geboren wurde, römisch-katholisch war und zuletzt in Česká Lípa, in der Berkova ulice, gewohnt hat, wo sie am 1. April 1945 verstorben ist. Am 5. April 1945 wurde Johanna Meier-Michel unbeachtet von der Kunstwelt in Česká Lípa begraben. An diesem Tag begann die Schlacht um Wien zwischen der Roten Armee und der Deutschen Wehrmacht – es war keine Zeit für Nachrufe auf verdiente Künstlerinnen und Künstler.
Erstpublikation: 14.6.2023
Diesen Artikel zitieren:
Bernhard Denscher, Johanna Meier-Michel und Česká Lípa, in: Austrian Posters, 14.6.2023, https://www.austrianposters.at/2023/06/14/johanna-meier-michel-und-ceska-lipa/ (Stand: TT.MM.JJJJ).
[1] Freundliche Information von Ladislav Smejkal aus Česká Lípa per E-Mail vom 2. Juli 2018.
[2] Karpf, Josef: Wekelsdorf. Markt Wekelsdorf mit Buchwaldsdorf, Neuhof und Stegreifen. Ober-Wekelsdorf. Unter-Wekelsdorf, Forchheim 2003, S. 223f.
[3] Freundliche Information von Direktor PhDr. Petr Kozojed per E-Mail vom 5. Juni 2023.
[4] Právni vĕc. Projednání pozůskalosti Jany Meierové, D 265/45, Státní okresní archiv Česká Lípa.