„Vally Wieselthier, Wienerin, Schülerin von Professor Hoffmann, aus der Wiener Werkstätte hervorgegangen, hat heute schon Weltruf. Ihr künstlerisches Fach ist die Keramik. Hier hat sie Außerordentliches geschaffen. Wie alle begabten Frauen, die aus der Wiener Werkstätte hervorgingen, lernte sie gleichsam von der Pike auf“, befand die Zeitschrift „Die Bühne“ 1929 in einem Bericht über ein New Yorker Künstlerfest, bei dem Wieselthier für die Dekoration gesorgt hatte.[1]
Zweifellos hatte die am 25. Mai 1895 in Wien geborene Künstlerin große internationale Erfolge als Keramikerin zu verzeichnen, doch gingen ihre künstlerischen Ambitionen um einiges über diesen Bereich hinaus. Der 544 Einträge umfassende Bestand an Arbeiten von Vally Wieselthier im „Museum für angewandte Kunst“ in Wien zeigt, dass sie neben Stoff- und Glasentwürfen auch gerne gebrauchsgrafische Arbeiten erledigte. So finden sich darin Entwürfe zu Einladungskarten, Inseraten und Plakaten.
Vally Wieselthier besuchte von 1912 bis 1914 in Wien die „Kunstschule für Frauen und Mädchen“ und danach bis 1920 die „Kunstgewerbeschule“, wo sie unter anderem bei Rosalia Rothansl, Kolo Moser, Josef Hoffmann und Michael Powolny studierte. Bereits während des Studiums begann ihre Mitarbeit an der „Wiener Werkstätte“, für die sie zunächst Textilgestaltungen, wie Stoff- und Modeentwürfe, übernahm. In dieser Zeit beteiligte sie sich auch mit Grafiken an den Mappenwerken „Die Mode 1914/5“ und „Das Leben einer Dame“ (1916). Bald jedoch sollten keramische Arbeiten im Zentrum ihrer Tätigkeit stehen.[2] Von 1917 bis 1922 arbeitete sie in der Keramikabteilung der „Wiener Werkstätte“, die sie jedoch, als selbstbewusste Künstlerin, aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der finanziellen Geschäftsführung verließ, um ein eigenes Studio zu gründen. Erfolgreich arbeitete sie dabei für renommierte Porzellanmanufakturen, wie Augarten und Josef Böck, sowie für Gmundner Keramik und andere Unternehmen.
1925 beteiligte sich Vally Wieselthier an der stilprägenden „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“, worauf sie, von der französischen Kunstszene sehr beeindruckt, in Paris ein Atelier mietete und zeitweise in Frankreich lebte und arbeitete. 1927 verkaufte sie ihr Wiener Studio samt aller Modellrechte an die „Wiener Werkstätte“, zu der sie nun wieder engeren Kontakt hatte und deren Keramische Werkstätte sie bis 1929 leitete. In diesen Jahren arbeitete sie auch am grafischen Erscheinungsbild der „Wiener Werkstätte“. Eine Verbindung ihrer skulpturalen Begabung mit ihrem grafischen Können stellt jene Gemeinschaftsarbeit dar, die Wieselthier gemeinsam mit ihrer Kollegin Gudrun Baudisch für den Reliefeinband des 25-Jahre-Jubiläums-Buches der „Wiener Werkstätte“ fertigte. Interessant ist dabei, dass Wieselthier die Grundidee zu diesem Cover auch in keramischen Arbeiten einsetzte.
Nach ihren Erfolgen in Frankreich baute Vally Wieselthier Kontakte in den USA auf und beteiligte sich 1928 an der „International Exhibition of Ceramic Art“ im „Metropolitan Museum“ in New York. Sie pendelte zunächst zwischen den Kontinenten, bis sie ab 1932 dauerhaft in den USA blieb, „von wo aus sie eine führende Rolle für die Entwicklung der modernen amerikanischen Keramik spielte“[3].
Die Kunsthistorikerin Else Hofmann schrieb 1932 im Fachmagazin „Österreichische Kunst“: „Ein ganzer Kreis von Künstlerinnen, die aus der künstlerischen Schulung der Wiener Werkstätte besondere Stimmungen geschöpft und sie auch wieder an die Werkstätte zurückgegeben haben, schließt sich um die stärkste und originellste Keramikerin, Vally Wieselthier, die Kamine und Öfen, flotte Figuren, Kleinplastiken jahrelang in Wien und Paris geschaffen hat und nun in Amerika im Rahmen der Künstlervereinigung ‚Contempora‘ mit ihren schöpferischen Spielen die Neue Welt erobert.“[4] Am 1. September 1945 verstarb Vally Wieselthier in New York.
Printpublikation in: Bernhard Denscher, Gebrauchsgrafik aus Österreich. 51 Lebensläufe. Aesculus Verlag https://www.aesculus-verlag.at/ , Wolkersdorf 2022, S. 165-167.
[1] Scapin: Vally Wieselthier und Paul Poiret, in: Die Bühne, 17.1.1929, S. 16.
[2] Brandow-Faller, Megan: Weibliche Gefäße: Expressive Keramik der Wiener Werkstätte, in: Thun-Hohenstein, Christoph – Anne-Katrin Rossberg – Elisabeth Schmuttermeier (Hrsg.): Die Frauen der Wiener Werkstätte, Basel 2020, S. 156ff.
[3] Fellner, Sabine – Andrea Winklbauer: Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen aus Wien 1860–1938 – Eine Wiederentdeckung, in: Winklbauer, Andrea – Sabine Fellner (Hrsg.): Die bessere Hälfte – Jüdische Künstlerinnen bis 1938, Wien 2016, S. 23.
[4] Hofmann, Else: Österreichisches Kunsthandwerk II: Keramik, in: Österreichische Kunst, 15.1.1932, S. 21.