Am 21. Oktober 1923 fanden in Österreich Nationalratswahlen statt und in der Bundeshauptstadt Wien gleichzeitig Gemeinderats- und Landtagswahlen. Es waren heiß umkämpfte Themen, die zur politischen Diskussion standen. Die Christlichsoziale Partei mit ihrem Bundeskanzler Ignaz Seipel warnte einmal mehr vor der „roten Gefahr“ und favorisierte medial die sogenannte „Genfer Sanierung“. Diese sollte ein Ende der horrenden Inflation bringen, was allerdings mit empfindlichen Sparmaßnahmen für die Bevölkerung verbunden war. Die Sozialdemokraten opponierten dagegen und setzten als zweites wichtiges Thema auf den „Mieterschutz“. Die „Großdeutschen“ waren zwar eine kleine Partei, ermöglichten jedoch als Koalitionspartner den Christlichsozialen die Regierungsmehrheit und konzentrierten sich in ihrer Propaganda auf Deutschnationalismus und Antisemitismus.
Der Schriftsteller Fritz Löhner-Beda (1883–1942) war einer der scharfzüngigsten politisch-poetischen Kommentatoren der Ersten Republik. Im Lauf der Jahre publizierte er Hunderte von satirischen Gedichten in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, wobei die linksliberale „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ ein Schwerpunktmedium seiner Veröffentlichungen war. Geleichzeitig war Löhner aber auch mit „Das Land des Lächelns“, „Giuditta“ oder „Viktoria und ihr Husar“ einer der erfolgreichsten Librettisten der Operettengeschichte und Texter überaus populärer Schlager und Lieder. Als vehementer Kritiker des Nationalsozialismus und als Jude wurde er 1938 von den Nazis verhaftet und in das KZ Buchenwald deportiert. Dort verfasste er das „Buchenwaldlied“, zu dem Hermann Leopoldi die Musik schuf. Im Jahr 1942 wurde Löhner-Beda im Nebenlager Buna des Konzentrationslagers Ausschwitz von den Nazis ermordet.
Zu den Wahlen des Jahres 1923 meldete er sich in der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ mit folgendem satirischen Kommentar zu Wort:
Wahlplakat.
Die Wahlen stehen von der Tür.
Jetzt braucht man äusserst viel Papier.
Das hämmert wie mit Keulen
Von allen Litfassäulen.
Man lässt das Theoretische
Und hält sich ans Pathetische,
Die Phrase wird gedroschen,
Gigantisch wächst die Goschen.
Und jeder ist der Ehrlichste,
Der andre der Gefährlichste,
Mit Witzen und mit Bildern
Versucht man dies zu schildern.
Der Gegenschreier seinerseits,
Versucht es mit dem Hakenkreuz!
Hier kann man kaum verzichten,
Die Notdurft zu verrichten!
Daneben lockt mit milder Ruh,
Der Gartenberg, der Matham-Schuh
Und Bersons Heil der Füsse
Und Werbezirk, die Süsse!
Der weise Mann liest dies und das –
Er wird verstimmt und denkt sich was.
Und sieh! In diesem Falle
Gilt d a s Programm f ü r a l l e….!
Beda.
Wiener Sonn- und Montagszeitung, 15.10.1923, S. 7.
Literatur:
Denscher, Barbara – Helmut Peschina: Kein Land des Lächelns. Fritz Löhner-Beda 1883–1942, Salzburg 2002.