Wien ist eine Stadt, in der das Plakat vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart ein dominierendes Werbemittel darstellt. Trotz dieser hohen Verbreitung des Mediums und trotz der unbestreitbaren Innovationen, die im Bereich des Grafikdesigns von Österreich ausgegangen sind, ist die Wiener Plakatkunst international weit weniger rezipiert als jene anderer Regionen. Doch Wien ist nicht nur von der Quantität, sondern auch von der gestalterischen Qualität her als eine „Plakatstadt“ mit bedeutender Tradition zu sehen.
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Wien einen ersten Plakat-Boom, in dem sich die kulturelle Vielfalt jener Zeit unter anderem mit vielen Ankündigungen von Konzerten und Bällen widerspiegelt. Im Zuge der europäischen Revolutionen des Jahres 1848 kam es dann auch in Wien zu Aufständen. Die zuvor vorherrschenden Ankündigungen für biedermeierliche Musikvergnügungen wurden nun von einer Vielzahl politisch motivierter Maueranschläge abgelöst. Doch die Niederschlagung der Revolution führte zu einem Rückschlag in allen Bereichen der medialen Entwicklung. Erst ab den 1860er Jahren wurde das Plakat wieder verstärkt eingesetzt. Die Straßenwerbung gewann dabei an Farbe, wurde doch die Technik der Farblithografie zunehmend für die Herstellung von Plakaten verwendet.
Wesentliche Impulse zur formalen Modernisierung des Mediums Plakat kamen auch in Wien von Seiten der Kunst. 1898 entwarf Gustav Klimt die Ankündigung für die „Erste Kunstausstellung“ der Wiener Secession. Dominierend bei dieser Arbeit war der Gesichtspunkt der schnell auffassbaren „Flächenkunst“. Klimt war, so wie seine Kollegen der neu gegründeten Künstlervereinigung, der Überzeugung, dass auch scheinbar unwichtige alltägliche Dinge – wie eben Plakate – Aufgabenstellungen für Künstler sein sollten.
Der Hagenbund, eine weitere fortschrittliche Wiener Künstlergenossenschaft, trug ab 1902 mit seinen Plakaten und Katalogen ebenfalls zur Verbreitung moderner Gestaltungsprinzipien in der Grafik bei. Protagonisten der Vereinigung, wie Joseph Urban oder Heinrich Lefler, traten darüber hinaus auch als Buchillustratoren hervor. Urban hatte später als Architekt und Bühnenbildner großen Erfolg in den USA.
Einen nachhaltigen Impuls auf die österreichische Kunstszene übte die in Wien abgehaltene Kunstschau 1908 aus. In dem von Josef Hoffmann geplanten temporären Ausstellungsgelände wurden Kunstobjekte aus allen Bereichen des Lebens – von der Gartengestaltung bis zur Plakatkunst – präsentiert.
Nachdem die Werbung für kulturelle Zwecke mit Gestaltern wie Gustav Klimt, Oskar Kokoschka oder Egon Schiele den formal innovativen Anfang gemacht hatte, zog die Wirtschaftswerbung relativ rasch nach. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte so das Medium Plakat in Wien einen wahrhaften Boom. Nach einer langen wirtschaftlichen Krisenzeit hatte 1898 eine Periode der Hochkonjunktur begonnen. Wien war in relativ kurzer Zeit zur Zwei-Millionenstadt geworden. Trotz sozialer Probleme war ein Markt für Massenprodukte entstanden, die entsprechend beworben werden mussten.
Eine radikale Änderung brachte jedoch der Erste Weltkrieg durch massive Umbrüche des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. In der Mangelwirtschaft des Krieges machte Werbung für Konsumartikel keinen Sinn, dafür dominierten auf den Anschlagflächen der Stadt offizielle Kundmachungen, Sammelaufrufe und vor allem Reklamen für die Zeichnung von Kriegsanleihen.
Zu einem wichtigen politischen Medium – und damit zu einem Novum in der öffentlichen Kommunikation des Landes – wurde das Plakat in der von gewaltigen politischen Umwälzungen – wie der Ausrufung der Republik – geprägten Zeit nach Kriegsende. Bis dahin hatte es in Österreich zwar Textanschläge für politische Zwecke gegeben, die politische Auseinandersetzung aber war vorher niemals in dieser Weise auf den Anschlagflächen visualisiert worden.
Allmählich begann in den 1920er Jahren auch die Werbung für Wirtschaftsgüter wieder in Schwung zu kommen. Vor allem die boomende Filmwirtschaft und die wachsende Zahl von Kinos benötigten entsprechende Außenwerbung, weshalb in dieser Zeit sehr viele Filmplakate entstanden. Die verbesserte Auftragslage führte zur Gründung von Ateliers, die sich auf angewandte Grafik, wie Plakate, Inserate, Briefpapiere oder Firmenlogos spezialisierten.
Ab den späten 1920er Jahren entwickelte sich die Werbung zu einer eigenen Kulturform mit verschiedenartigsten Ausformungen. 1927 wurde in Wien ein „Reklamewissenschaftliches Institut“ gegründet.
Ab 1926 erschienen die Fachmagazine „Österreichische Reklame. Organ des Verbandes österreichischer Reklamefachleute“ und „Kontakt“ als „Offizielles Organ des Österreichischen Reklameschutzverbandes“. In den Zeitschriften spiegelt sich die nahezu „amerikanische“ Vielfalt der damaligen Werbemöglichkeiten wider. Von Zeitungsanzeigen, den verschiedensten Arten der Plakatwerbung, Sandwich-Männern, Reklamebauten und Werbeflugzeugen bis hin zur Lichtreklame wurden die Vorteile der einzelnen Propagandatechniken dargestellt.
Die Wiener Werbeszene erlangte so über die Grenzen der Stadt hinaus eine bemerkenswerte internationale Anerkennung. In seiner Publikation “Posters & Publicity” aus dem Jahr 1926 befasste sich der britische Experte Sydney R. Jones auch mit dem Wiener Grafikdesign, für das er lobende Worte fand: „Working from a particular standpoint and in an original manner which they have made their own, several artists in middle Europe are leading poster design into new channels. Moved by the progressive spirit that is now influencing the advanced practitioners in both fine and applied art, they are investing advertising with a freshness and vigour that until quite recently was almost unknown. In this they are being encouraged and strongly supported by enterprising advertisers who have boldly attempted to bring art thoroughly into line with commerce for some years past. At the moment Vienna appears to be the centre of this march forward and a great deal of printed matter, schemed with much invention and full of value for purposes of publicity, is emanating from this city.” [1]
[1] Jones, Sydney R.: Posters & Publicity. Fine Printing and Design, London 1926 (=Special Autumn Number of “The Studio” 1926), p. 3.