„Der Zeit ihre Kunst!“ Die stolze Devise, mit der 1898 die „Sezession“ ihren Siegeszug angetreten hat! Ein Überblick über das große Spezialgebiet der graphischen Künste beweist die Richtigkeit dieses Kampfrufes und zeigt, wie viele Techniken heute schon fast ausgestorben sind, wie viele neue graphische Ausdrucksformen geradezu die Welt überschwemmen! Wer macht heute noch Niellen? Der edle Linienstich der alten Grabstichelblätter gehört auch schon der Kunstgeschichte an. Für die Schabkunst erwärmt sich höchst vereinzelt da und dort ein graphischer Künstler. Nur die freie Ätzung, Radierung hat von den alten Tiefdrucktechniken auch heute noch ihren alten Platz behauptet, neben dem späteren Aquatintaverfahren und dem noch neueren Durchzeichnungsverfahren (Vernis moux). Aber unverkennbar sind überall die Folgen der großen graphischen Revolution, die im letzten Jahrhundert die Lithographie und die Photographie hervorgebracht haben. Hat doch die Photographie das große Gebiet der Reproduktionstechnik mit Lichtdruck, Heliogravure, Kombinationsfarbendruck u. a. geschaffen, das aus ursprünglich handwerksmäßigem Verfahren mit Siebenmeilenstiefeln zu echten Kunstformen übergeht. Und welche Rolle die graphischen Künste in der Gegenwart für den Nationalwohlstand spielen, und dies zum allerersten Male seit Gutenberg, dessen wird man sich bewußt, wenn man an das unendliche Gebiet der Ansichtskarten denkt und an den Kinematographen, der nahe daran ist, das ganze Theaterwesen umzugestalten. Die Operette verdrängte einst die Oper. Zirkus und Variété verdrängten die Operette. Alle diese aber verdrängt das Kinotheater. Die Graphik ist zur Vollbedeutung gelangt. Die Lithographie hat ungeahnten Einfluß erlangt in der modernen Reklame, vorzüglich auf dem Gebiete des Plakats. Tatsächlich werden heute trotz Buchdruck und Reproduktionsverfahren die meisten Plakate durch Flachdruck erzeugt. Wie aus den Plakaten früherer Jahrhunderte, aus simplen, formlosen geschäftlichen Ankündigungen und Aushängen durch Mitwirkung wirklicher Künstler allmählich um 1840 herum Künstlerplakate von Gavarni, Grandville und Daumier geworden, später zur künstlerischen Höhe der heutigen Plakatmeister gestiegen sind, kann in Sponsels „Das moderne Plakat“ und in Zur Westens „Reklamekunst“ verfolgt werden. Um aber in Österreich zu bleiben — das in dieser Hinsicht von der Kunstliteratur des Auslandes leider sehr unterschätzt wird — tut es wirklich not, darauf wieder hinzuweisen, daß schon zur Zeit Gavarnis, als es überall in der Welt fast ausschließlich nur Schwarzdrucke gab, in Österreich Blasius Höfel lebte und wirkte, der als Erster schon Plakate in vielfarbigem Holzschnitte hergestellt hat, und daß in Österreich von da über Makart bis zu den hochoriginellen Plakatschöpfungen der heutigen Generation, der Gustav Klimt, Alfred Roller, Kolo Moser und Berthold Löffler angehört, eine aufsteigende Linie geht, die im Inlande wenig, im Auslande aber gar nicht beachtet wird. Frankreich ist stolz auf Chéret und Toulouse–Lautrec, auf Steinlen und WilIette und auf den — Österreicher Mucha, Belgien auf Rassenfosse. Der Engländer kennt seine Plakatkünstler, die Beggarstaffs, Brangwyn, Dudley Hardy und Hassal, der Nordamerikaner Bradley, Rhead und Penfield von der Straße her. Die deutschen Litfaßsäulen sprühen von Witz und von der beredten knappen Sachlichkeit der Deutschen Bernhardt, Scheurich, T.T. Heine, Hohlwein und der dort ansässigen Österreicher Julius Klinger, E. Deutsch, Orlik, Hugo Steiner, Pirchan.
Die ersten Plakatkünstler des Königreiches Italien, M. Dudovich und MetIikowitz, sind in Triest geboren. Und in Österreich selbst? Da gibt es zwar Künstlerplakate, Maler und Zeichner, die gelegentlich auch irgend einmal Plakate machen. Aber sie halten es vielfach noch immer unter der Würde, das Plakat mit ihrem Namen zu zeichnen. Auch gibt es schon Plakatkünstler, die sich vorwiegend auf dieses Kunstgenre verlegen. Aber das Gros der österreichischen Plakate ist leider noch immer Industrieware, hergestellt für ein Butterbrot von handwerklichen Zeichnern und mittellosen Kunstgewerbeschülern. Diesem Eindrucke, daß hier noch so selten wirkliche Künstlerplakate vorkommen, kann sich niemand verschließen, der aus Paris, Berlin oder München nach Wien zurückkommt.
Woran liegt das?
Weil in Österreich dieses ganze Kunstgenre unterschätzt wird. Vom Künstler, von den öffentlichen Sammlungen, von dem Publikum, von der Presse.
Die Tatsache, daß so viele österreichische Plakatkünstler ins Ausland ziehen mußten, um zu Arbeit, Wohlstand und Ansehen zu gelangen, spricht deutlich genug. Österreichische Bildhauer, Hugo Lederer und Franz Metzner, haben, ersterer das Bismarck-Denkmal in Hamburg, letzterer das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig geschaffen. Olbrich, der Erbauer des Sezessionsgebäudes, der Villenkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. Der Österreicher Julius Klinger ist zum unbestrittenen führenden Plakatkünstler Deutschlands geworden. Ohne Neid und Mißvergnügen sei dies hier erwähnt, sondern in aufrichtiger Dankbarkeit für das große deutsche Nachbarreich, das so vielen, im eigenen Lande nicht genügend beachteten österreichischen Künstlern zu lukrativer Tätigkeit und zu Ruhm verholfen hat. Aber von vielen im Lande gebliebenen heimischen Künstlern sind selten künstlerisch wertvolle Plakate zu sehen, weil es an Bestellungen fehlt, weil sehr leistungsfähige Kunstanstalten, anstatt anerkannt erste Künstler heranzuziehen, sich des weit billigeren Preises wegen mit ganz untergeordneten Kräften begnügen. Billig und schlecht! Da machen es die deutschen Kunstanstalten anders. Jede bedeutende Reproduktionsanstalt in Berlin, München, Hamburg, Breslau, Karlsruhe legt einen Stolz darein, sich mit einem Stabe von Künstlern zu umgeben, und nur solche Blätter in die Welt zu schicken, die von anerkannt ersten Künstlern entworfen und stets mit deren Namensfertigung versehen sind.
Die allgemeine Unterschätzung des ganzen Kunstgenres rührt auch daher, daß die öffentlichen Sammlungen auf die Erwerbung, Aufbewahrung und Zugänglichmachung eines ausreichenden Vorbildermateriales bisher viel weniger Bedacht genommen haben, als dies im Auslande geschieht. Dann weil trotz der alljährlichen Verkaufsausstellungen von Gemälden bei uns Plakatausstellungen viel zu selten veranstaltet werden, und dies nur dann, wenn die Ausstellung als Dekoration für eine Wohltätigkeitsunternehmung (1906), oder nur für eine bestimmte Konkurrenz, oder vorwiegend für eine bestimmte Künstlerpartei (1912) dienen soll. Noch nie hat in Wien eine instruktive Plakatausstellung stattgefunden mit einer Auslese des besten erreichbaren internationalen Materiales von den Inkunabeln des Künstlerplakates angefangen bis in die Gegenwart. Die Kupferstichkabinette in Berlin und Dresden beherbergen eine reiche Auswahl von KünstIerplakaten. Ebenso das Kabinett des Estampes der Bibliothèque Nationale in Paris. Die Bibliothek des Kunstgewerbemuseums in Berlin hat eine große, systematisch geordnete Plakatsammlung der hervorragendsten Künstler aller Kulturnationen. Auch die Kunstgewerbemuseen in Leipzig und Hamburg haben recht bedeutende Sammlungen von Künstlerplakaten angelegt und der öffentlichen Benützung zur Verfügung gestellt. Ebenso das Suermondt-Museum in Aachen, das im Jahre 1897 auch eine öffentliche Plakatausstellung veranstaltet hat. Frankreich war diesfalls schon lange vorangegangen, da schon 1889 in Nantes die Sammlung des Kunsthistorikers Gustave Bourcard in öffentlicher Ausstellung gezeigt worden war. In Deutschland sind aber zahlreiche Ausstellungen aufeinander gefolgt: Hamburg 1896, Dresden 1896, Düsseldorf 1897, Aachen 1897, Görlitz 1903, Berlin 1908, Aachen 1909, Leipzig 1910. Bei der großen Kunstausstellung in Berlin 1912 waren mehrere Säle ausschließlich mit Künstlerplakaten der führenden deutschen Künstler angefüllt, und noch in demselben Jahre folgte die Kunsthalle in Mannheim mit einer großen Plakatausstellung.
Bevor noch die Mona Lisa gestohlen wurde, kannte sie wohl jeder Kunstfreund aus Reproduktionen. Wer im Louvre war, hat sie gewiß auch aus eigener Anschauung als ein Meisterwerk Lionardos gewürdigt, aber vielleicht nicht mehr gewürdigt als andere Werke desselben und als Werke anderer erster Meister. Die große Masse wußte wenig von ihr. Seit die Mona Lisa gestohlen wurde, kennt sie jedermann. Auch der kleinste Mann hat sie durch Reproduktionen kennen gelernt. Jetzt erst hatte sie den ungeheuersten Seltenheitswert erlangt. Das Gegenteil hievon ist beim Plakat der Fall. Das Plakat – gut oder schlecht – gehört der Allgemeinheit. Nur flüchtig sieht man es auf der Straße an. Ist der Text kurz, leserlich, leicht leserlich, so liest man ihn und merkt sich die Sache, die empfohlen wird. Aber ob das Plakat irgend einen Wert hat oder nicht, ob es als graphisches Blatt verdient, vor Vernichtung geschützt zu werden und vielleicht als künstlerische Schöpfung für die Zukunft aufbewahrt werden soll, daran denkt selten jemand. Kunstfreunde, denen das viele Geld und der Raum fehlen, qualitätreiche Ölgemälde zu kaufen, sind oft Kupferstichsammler. Heute sind aber gute Kupferstiche und Radierungen vielfach schon so teuer, daß es auch nicht mehr so leicht ist, sich eine gute Kupferstichsammlung anzulegen und es müssen photographische Reproduktionen die Stelle von Originalblättern vertreten. Gute Plakate aber stehen der Originalschöpfung des betreffenden Künstlers näher, als irgendwelche tote, womöglich noch schwarzweiße Reproduktionen, und verdienen also gewiß zumindest das gleiche Interesse des Kunstfreundes und Kunstsammlers.
Seitdem in Frankreich und England das Plakat zum Künstlerplakat geworden ist, wurde dort das Sammeln von Künstlerplakaten immer häufiger. Sogar der legitime Kunsthandel nahm sich der Sache an und verdiente ziemlich viel Geld dabei, bis ihm plötzlich das Geschäft verleidet wurde. Zufällig war es damals dem Besteller eines teueren Künstlerplakates einmal aufgefallen, daß er von seinen Tausenden hoch bezahlten Exemplaren selten eines affichiert fand, bis er erfuhr, daß er bei einem bedeutenden Kunsthändler beliebig viele Stück kaufen könne. Die nachfolgende Gerichtsverhandlung hatte den Erfolg, daß dieser Kunsthändler von Plakaten nie mehr etwas wissen wollte. Die französische Steuerbehörde wurde auch zum Totengräber des dortigen Plakathandels. Bekanntlich muß in Frankreich jede, auch die geringste öffentliche Bekanntmachung gestempelt sein. Kam irgendwo ein ungestempeltes Plakat zum Vorschein, so folgte eine schwere Stempelstrafe. War das Plakat aber ordnungsgemäß gestempelt, so hatte es ja an die Mauer gehört und nicht in den Kaufladen, und das Kunst- oder Reklameinstitut war auch straffällig. So mußte das Plakatsammeln in Frankreich allmählich abflauen, nicht ohne daß doch glücklicherweise die bedeutendsten Blätter in wenigen Exemplaren durch die dortigen Sammler der Nachwelt erhalten geblieben wären. In der englischen Kunstzeitschrift „The Poster“ 1899 finden sich nützliche Anweisungen für Plakatsammler. Sie warnt ausdrücklich davor, per nefas, durch Bestechung von Zettelanklebern und durch ähnliche Schleichwege den Sammlertrieb befriedigen zu wollen, weil sich der Sammler damit stets in die Gewalt von Leuten begebe, die leicht zu Erpressern werden können.
Am rationellsten wird die Sache gegenwärtig in Deutschland betrieben. Künstler oder Kunstinstitut sichern sich bei Übernahme der Bestellung das Recht, eine gewisse Zahl von Blättern für mäßigen Preis in den Handel zu bringen und an öffentliche oder Privatsammler zu verkaufen; außerdem sorgt der seit mehreren Jahren in Berlin bestehende Verein der Plakatfreunde mit seinem rührigen Präsidenten Dr. Hans Sachs und seinen 600 Mitgliedern dafür, Industrielle und Kaufleute mit Plakatkünstlern und Kunstanstalten zusammenzubringen, dann Verkauf und Tausch von Plakaten unter den Sammlern in geregelte Bahnen zu leiten, endlich durch öffentliche Vorträge und periodisch wiederkehrende Ausstellungen im Publikum Interesse zu erwecken. Die jahrelangen Bemühungen dieses Vereines, in Österreich eine Ortsgruppe oder einen Zweigverein zu gründen, sind bisher leider noch ohne Erfolg geblieben. Denn hier ist das Plakatsammeln eine ebenso undankbare als aufreibende Tätigkeit. Vor allem kommen hier wirklich sammelnswerte Plakate nur sehr selten vor, wenn auch einige darunter in Qualität sich den besten ausländischen Blättern an die Seite stellen können. Die österreichischen Künstler und Kunstanstalten haben sich nur in den seltensten Fällen das Recht zum Verkauf von Einzelblättern gewahrt. Dann ist das Sammeln von Plakaten hier noch eine so ungewohnte Sache, daß es sogar Kunstanstalten gibt, die auf höfliche Anfragen mit bezahlter Antwort sich nicht einmal veranlaßt sehen, eine Antwort zu geben. Ernste Plakatsammler sind also in Österreich so dünn gesät, daß man sie an den Fingern einer einzigen Hand abzählen kann, und es bleiben da noch immer einige Finger unberücksichtigt.
Öffentliche Vorträge, wohlwollende Aufklärungen durch die Presse wären hier von Nutzen. Als im Mai 1912 in München die Ortsgruppe des Berliner Vereines der Plakatfreunde gegründet wurde, hat der an der kgl. Graphischen Sammlung angestellte Kunstgelehrte Dr. E. W. Bredt einen sorgfältig vorbereiteten Vortrag gehalten über „Das Plakat, seine Freunde und Feinde, sein Recht und Reich“, worin er außer interessanten geschichtlichen Notizen sehr wichtige Ratschläge einzuflechten verstand, an Kunstanstalten und an das Publikum, wie ein Plakat beschaffen sein soll, um wirksam zu sein. Der große Saal des Münchener Kunstgewerbevereines war damals gesteckt voll, natürlich nicht bloß von Kunstfreunden, sondern gerade von Reklameinteressenten. Übrigens soll hier nicht verschwiegen werden, daß auf dem Gebiete der öffentlichen Vorträge ein Fortschritt in Wien unverkennbar ist. Denn im Laufe des letzten Jahres haben nicht nur der verdienstvolle Plakatsammler Architekt Otto Polak, sondern auch der Verfasser des ersten grundlegenden wissenschaftlichen Werkes über Reklame, Sektionsschef Dr. Viktor Mataja sehr bemerkenswerte Vorträge über diesen Gegenstand gehalten. Auch die von der Graphischen Gesellschaft Österreich-Ungarns periodisch veranstalteten Wanderausstellungen über Reklamedrucksachen sind von großem Wert. Wie wichtig es aber für jeden Kunstfreund ist, dem Künstlerplakat, als einer der wichtigsten Erscheinungsformen der graphischen Kunst „unserer Zeit“ ein erhöhtes und dauerndes Interesse zuzuwenden, erhellt aus der Tatsache, daß so viele und meistens die besten Blätter aus der klassischen Periode des Künstlerplakates 1880 bis 1900, die seinerzeit unschwer zu beschaffen gewesen wären, vielfach ganz verschollen und unfindbar geworden sind.
Was war, das wird! Im 16. und 17. Jahrhundert sind die heute mit Gold aufgewogenen Erstdrucke von Dürer und Rembrandt, die „Kunst jener Zeit“ um wenig Geld zu haben gewesen. Heute bilden viele dieser Blätter einen wertvollen Bestandteil des Nationalvermögens, den Stolz der namhaftesten öffentlichen Sammlungen und weniger glücklicher Privatsammler.
Ottokar Mascha: Künstlerplakate und Plakatkünstler, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 1913/17, S. 249 – 251.
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