„Die Fläche“ in den USA

Von links oben nach rechts unten: Robert von Bach (1902), Moriz Jung (1903), Kolo Moser (1903), Josef Bruckmüller (1902), Emma Schlangenhausen (1902). Die Jahreszahlen in den Klammern beziehen sich auf das Jahr der Publikation in der „Fläche“

„Die Fläche“ gehört gemeinsam mit „Ver sacrum“ zu den bedeutendsten Medien der avantgardistischen Wiener Kunstszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts.[1] Obwohl als Periodikum erschienen, war „Die Fläche“ mehr eine Mustermappe als eine Zeitschrift. Herausgegeben wurde sie von Professoren der Wiener Kunstgewerbeschule, die damit vor allem ihre Studentinnen und Studenten einem internationalen Publikum präsentieren wollten.

Wie groß die entsprechende weltweite Aufmerksamkeit der Fachwelt war, zeigt eine Inseratenkampagne der US-amerikanischen Druckfarbenfabrik „Ault & Wiborg“, die eine große Anzahl von Sujets aus der „Fläche“ für ihre Inserate verwendete.

Die ursprünglich in Cincinnati beheimatete Firma war zeitweise die größte Fabrik ihrer Art.[2] Ab 1890 begann das Unternehmen mit Farbinseraten in Fachzeitschriften, wie etwa „The Inland Printer“, „The Printer and Bookmaker“ and „The American Bookmaker“, zu werben. Die farbenfrohen Einschaltungen sollten die Qualität der Produkte von „Ault & Wiborg“ unter Beweis stellen, waren aber stilistisch zu Beginn noch sehr dem frühen, in Amerika damals weit verbreiteten naiven Schildermalerstil verhaftet. Unter dem Druck der Konkurrenz wurde die Werbung jedoch bald erheblich verfeinert. So gewann man unter anderem Henri Toulouse-Lautrec, der angeblich auch die Farben der Fima schätze, dafür, ein Blatt zu Werbezwecken zur Verfügung zu stellen. Es war dies die Grafik „Au Concert“ aus dem Jahr 1896, die in Frankreich als eigenständiges Werk aufgelegt worden ist und von der dann die Zinkplatte zur weiteren Verwendung an „Ault & Wiborg“ geschickt wurde. Dort versah man die Illustration mit der entsprechenden Werbebeschriftung, die in ihrer eher trivialen Anmutung weit von der Qualität des französischen Künstlers entfernt war. Heute befindet sich die Druckplatte im „Art Institute of Chicago“.[3]

Es folgten die Arbeiten namhafter amerikanischer Illustratoren, wie Will Bradley, Edward Liggett, Carolyn Huntington, Robert Henri und Louis Rhead.[4] Die beiden der Firma nahestehenden Grafiker Frank Swick und Oscar Binner wiederum gestalteten Inserate, die von Werken der Kunstgeschichte inspiriert waren. Dies reichte von mittelalterlichen Manuskripten über japanische Zeichnungen bis zu alter russischer Buchmalerei. Später wurden auch Plakate von Jules Chéret und anderen französischen Plakatkünstlern kopiert.

Die große Popularität dieser Werbeeinschaltungen war für die Firma der Anlass, im Jahr 1902 ein Album mit den erfolgreichsten Farbblättern herauszugeben.[5] Das Buch, das damals 3 Dollars kostete, wird mittlerweile im Kunsthandel um rund 2000 Dollar angeboten.

Relativ bald nach dem Erscheinen des Sammelbandes muss einer der Grafiker von „Ault & Wiborg“ auf die Wiener Publikation „Die Fläche“, die zunächst von 1902 bis 1904 in Teilen erschien, aufmerksam geworden sein.[6] Nicht weniger als 31 Illustrationen aus der „Fläche“ wurden – mit oft stilistisch inadäquaten Schriften versehen – für das amerikanische Unternehmen verwendet. Ein interessanter Aspekt bei der Auswahl der Vorlagen ist die überproportionale Verwendung von Arbeiten von Künstlerinnen für den amerikanischen Markt. Sind in der „Fläche“ 70 Personen mit männlichen Vornamen und 36 Personen mit weiblichen Vornamen vertreten, so ist das Verhältnis in der US-Auswahl 13 Männer zu 9 Frauen.

  • Adele Stark (1902)

Auf den Inseraten finden sich allerdings keinerlei Angaben zur ursprünglichen Urheberschaft der Arbeiten, obwohl in der „Fläche“ durchgehend namentliche Zuschreibungen vorhanden sind. Es ist dies ein Versäumnis, das bis heute nicht korrigiert wurde, denn die Illustrationen sind im Internet sowohl in der Bilddatenbank „Artvee“ als auch in anderen Sammlungen jeweils unter „Anonym“ verzeichnet.[7] Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die US-Firma in irgendeiner Form das Einvernehmen mit den Wiener Verantwortlichen gesucht hätte. Auch findet sich in keiner österreichischen Zeitung ein Bericht zu dieser spektakulären Nachnutzung der Wiener Publikation.

Wie es zu dieser doch überraschend umfangreichen Rezeption gekommen war, kann nur spekuliert werden. Eine Möglichkeit könnte die Österreich-Präsentation auf der 1904 in St. Louis stattgefundenen Weltausstellung sein. Im opulent gestalteten Österreich-Pavillon gab es einen eigenen Schauraum für die Wiener Kunstgewerbeschule.[8] Der Direktor der Kunstgewerbeschule, Felician von Myrbach, der als Mitherausgeber der „Fläche“ fungierte, war persönlich in St. Louis anwesend. Es erscheint naheliegend, dass er dort auch „Die Fläche“ als attraktiven Leistungsnachweis seiner Schule präsentierte. Es gibt zwar in den verschiedenen Katalogen zur Weltausstellung keinen dezidierten Hinweis, dass „Die Fläche“ selbst ausgestellt war, aber im Saal der Kunstgewerbeschule wurden Arbeiten von vielen Studentinnen und Studenten gezeigt, die auch in der „Fläche“ prominent vertreten sind.[9]

Diesen Artikel zitieren:
Bernhard Denscher, „Die Fläche“ in den USA, in: Austrian Posters, 31.8.2024, https://www.austrianposters.at/2024/08/31/flaeche/  (Stand: TT.MM.JJJJ).

[1] Denscher, Bernhard: „Die Fläche“ und die Wiener Moderne, Wolkersdorf 2021.
[2]  The Romance of Printing Ink. A Story of the Development of Inks as applied to the Printing Industry. Issued by Ault & Wiborg Company, Toronto ca 1904.
[3] Adriani, Götz: Toulouse-Lautrec. Das gesamte graphische Werk, Tübingen 2020, S. 262f.
[4] The Ault & Wiborg Poster Album, in: Codex 99, http://www.codex99.com/design/ault-and-wiborg-poster-album.html (Stand: 20.8.2024).
[5] Ault & Wiborg Poster Album, Cincinnati 1902.
[6] In den Jahren 1910 und 1911 gab Bertold Löffler zwei weitere Hefte der „Fläche“ heraus.
[7] Leider gibt „Artvee“ keinerlei Provenienzen zu seinem Bildmaterial an.
[8] Louisiana Purchase Exposition: The Austrian Government Pavilion, Vienna 1904, S. 14; Exhibition of Professional Schools for Arts and Crafts. Universal Exhibition St. Louis 1904. Imperial Royal Ministry for Public Instruction, Vienna 1904, S. 57ff.; Austrian works of Art. Arranged by the Imp. Roy. Ministry of Education and Public Worship; Louisiana Purchase Exposition 1904, Vienna 1904.
[9] Ives, Halsey C.: Official catalogue of exhibitors: Universal Exposition, St. Louis, U.S.A, St. Louis 1904, S. 103ff.