Die Österreichische Nationalbibliothek erwarb im Jahr 2004 im Wiener Auktionshaus Dorotheum mit dem Plakat „Frühlingsfest“ eine Arbeit von herausragender Qualität.[1] Die Affiche verbarg sich in einem „Konvolut kleinformatige[r] Werbedrucke“, wobei keines der Poster namentlich zugeschrieben war. Erst bei der Titelaufnahme in der Nationalbibliothek stellte sich heraus, dass auf der Rückseite des Blattes mit Bleistift sowohl der Entwerfer mit „Hans Denk“ als auch der Lithograf mit „Hans Pisa“ vermerkt sind.[2]
In der Nationalbibliothek wird die Entstehungszeit des Frühlingsfest-Plakates mit 1905 bis 1908 angegeben.[3] Am wahrscheinlichsten kann man 1906 als Entstehungsjahr annehmen. Denn im April 1906 fand im Dreherpark in Wien-Meidling eine einmonatige Frühlingsausstellung statt, und der 15. April jenes Jahres war der Ostersonntag.[4] Gezeigt wurden bei dieser Veranstaltung „hervorragende Leistungen aller Industrien und Gewerbe“, außerdem gab es ein „Vergnügungsprogramm“.[5]
Stilistisch ist das kleinformatige Plakat (48,5×33 cm) von einer bemerkenswerten Modernität: Wolken und ein Blumenfeld werden darauf zu Ornamenten aufgelöst. Die Grafik zeigt damit einen – für die Zeit der Entstehung – nahezu radikalen Abstraktionsgrad. Das Blatt ist ein Muster für moderne „Flächenkunst“, wie sie damals zum Teil von den Wiener Secessionisten und auch von den Schülerinnen und Schülern der Kunstgewerbeschule praktiziert wurde. So könnte die Arbeit auch den von Professoren der Kunstgewerbeschule herausgegebenen Musterbüchern „Die Fläche“ entnommen sein.[6]
Über den Grafiker Hans Denk ist bis heute wenig bekannt. Gesichert schienen allerdings bis jetzt die Angaben aus dem Standardwerk „Artists of the World“, der „Internationale[n] Datenbank bildender Künstlerinnen und Künstler“. Diese besagen, dass Hans Denk am 17. Juni 1888 in Österreich, nämlich in Graz, geboren wurde.[7] „Artist of the World“, das aus dem „Allgemeinen Künstlerlexikon“ hervorgegangen ist, beruft sich bei seinem Kurzhinweis auf das „Österreichische Künstlerlexikon“ von Rudolf Schmidt aus dem Jahr 1980. Dieser wiederum nennt als Quelle für seinen Eintrag die Schülerlisten der Wiener Akademie.
Eine Nachfrage im Archiv der Akademie der bildenden Künste ergab hingegen, dass dort im Matrikelband und in zwei Studienakten zu Denk als Geburtsort tatsächlich einmal Graz, doch zweimal die thüringische Stadt Greiz angegeben ist.[8] Im Akademie-Archiv finden sich noch weitere biografische Details zu Hans Denk: Seine Heimatgemeinde war Marienbad in Böhmen. Nach dem Besuch der Realschule besuchte er zwei Jahre lang die „Graphische Lehr- und Versuchsanstalt“ in Wien. Im Wintersemester 1908/09 und Sommersemester 1909 studierte Hans Denk an der „Akademie der bildenden Künste“ in Wien, nachdem er bereits 1907 mit der Begründung „Probe ungenügend“ abgelehnt worden war. Ein Jahr später wurde er in die „Allgemeine Malerklasse“ als Gast aufgenommen, wo er bis zum Sommersemester 1909 blieb. Die Klasse stand unter der Leitung von Christian Griepenkerl. Egon Schiele, der im April 1909 die Akademie aus Protest gegen seinen Professor verließ, muss also ein Mitstudent von Denk gewesen sein. Die weiteren Lehrer der Klasse waren Julius Schmid (Abendakt), Rudolf Bacher, Alois Delug und Siegmund l‘Allemand. Darüber hinaus findet man in den Unterlagen der Akademie vermerkt, dass Denk römisch-katholischen Glaubens war. Als Beruf seines nicht namentlich genannten Vaters ist „Dekorationsmaler, Marienbad“ angegeben.
In den biografischen Hinweisen, die sie sich zu dem Künstler erhalten haben, gibt es keine weiteren Bezüge zu Graz in der Steiermark. Allerdings findet man in tschechischen Unterlagen die Information, dass Denk zum Kreis der Marienbader Künstler gezählt wird.[9] Und man findet dort auch wiederum als Geburtsort die thüringische Stadt Greiz, nahe der tschechischen Grenze gelegen, nicht weit von Marienbad/Mariánské Lázně.[10] In der berühmten Kurstadt hat Hans Denk wohl auch einen Teil seines Lebens verbracht und künstlerisch gearbeitet.
Eine Nachfrage im Archiv der „Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt“ in Wien bringt die Klärung der Frage des Geburtsortes von Denk: Aus den dortigen Unterlagen geht eindeutig hervor, dass sein Geburtsort Greiz war. Seine Schulbildung bestand aus fünf Klassen Volksschule, eine Klasse Bürgerschule und zwei Klassen Realschule. Sein Vater war der Dekorationsmaler Andreas Denk mit der Adresse „Marienbad Casinopark ‚Villa Vineta‘“. Hans Denk besuchte die „Graphische“ in Wien vom Wintersemester 1906 bis zum Ende des Sommersemesters 1908 als außerordentlicher Schüler, wo er den Fachkurs für Lithographen, Stein- und Kupferdrucker belegte sowie in Freihandzeichnen, Kunstlehre und Kunstgeschichte unterrichtet wurde. Seine Lehrer waren Erwin Puchinger, Hubert Landa und Josef Hörwarter.[11]
Nach seinem zweijährige Studium in der Akademie verlieren sich Denks Spuren wieder. Im Ersten Weltkrieg diente er laut tschechischen Unterlagen im „k.u.k. Infanterieregiment Nr. 73“ in Russland und Italien.[12] Auch an der Front betätigte er sich als Maler und Zeichner. Nach dem Krieg konnte er sich wieder ausschließlich seinen künstlerischen Aufgaben zuwenden.
Im Jahr 1922 ist Hans Denk wieder in Marienbad nachweisbar: Aus diesem Jahr hat sich von ihm eine Grafik für den dritten in Marienbad stattfindenden Philatelistentag des Deutschen Philatelisten-Verbandes in der Tschechoslowakei erhalten. Ein Jahr darauf gestaltete er ein Plakat für eine „Bobsleigh Verbandsmeisterschaft“ in Marienbad. Die moderat modern gestaltete Affiche ist jedoch ästhetisch um einiges von der Qualität des Wiener Frühlingsfest-Plakates entfernt.
1925 meldete das „Pilsner Tagblatt“, dass der „akademische Maler Hans Denk“ die künstlerische Ausgestaltung der neueröffneten Theater-Bar in Marienbad übernommen habe.[13] In der tschechischen Literatur wird Denk auch die malerische Ausgestaltung der russischen Kirche in Marienbad zugeschrieben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hans Denk, wie so viele andere Deutschsprechende, aus der Tschechoslowakei vertrieben und er siedelte sich in Deutschland an. Am 30. März 1971 verstarb er in Heilbronn. Der angebliche Geburtsort Graz war also offenbar ein Hör- oder Schreibfehler und somit ist bei diesem 1888 geborenen Hans Denk eindeutig vom Geburtsort Greiz auszugehen.
Wenn man allerdings nicht glauben kann, dass dem Achtzehnjährigen ohne jede formale künstlerische Ausbildung das so perfekte Plakat „Frühlingsfest“ gelungen ist, und bedenkt, dass die wenigen erhaltenen Werke aus seiner späteren Zeit bei weitem nicht das qualitative Niveau dieser Arbeit erreichten, so stehen noch zwei angewandte Grafiker zur Auswahl, die Johann Denk hießen, aber auch die Namenskurzform Hans verwendeten.
Die wahrscheinlichere Alternative als Gestalter des „Frühlingsfest“-Plakates ist der am 27. Juli 1849 in Winterberg/Vimperk in Böhmen geborene Johann Denk. Dieser ist von 1896 bis 1920 in Wien als „Industriemaler“ nachweisbar, mitunter gab er als Berufsbezeichnung „Dekorationsmaler“ an.[14] Er wohnte zuletzt im 5. Wiener Gemeindebezirk in der Spengergasse 46. Unter dieser Adresse scheint er auch als „Industriemaler“ Hans Denk im Künstlerlexikon im 2. Band von „Kaindls Reklame Bücherei“ auf.[15] Am 8. November 1920 verstarb er in Wien und wurde auf dem Meidlinger Friedhof begraben.[16] Der Eintrag bei Kaindl sowie seine Lebensdaten würden für ihn als Entwerfer des „Frühlingsfest“-Plakates sprechen, allerdings sind keine Arbeiten von ihm auffindbar, sodass bei ihm keine stilistische Einordnung möglich ist.
Wenn man davon ausgeht, dass die Datierung des Plakates früher angesetzt werden kann, dann käme noch ein weiterer Hans Denk in Betracht. Es ist dies der 1846 in Wien geborene Johann Denk, der sich zeit seines Lebens bevorzugt Hans nannte. Er war „Manufacturzeichner“[17] und besaß ab 1866[18] eine „Formstecherei- und Weissstickerei-Manufaktur“ im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Die Firma empfahl sich in ihren Inseraten mit dem Neuesten „in Vordruckmodellen für Weissstickerei, nämlich: Buchstaben, Monogramme, Kronen etc., welche den Vortheil gewähren, einen vollständig schönen und reinen Abdruck auf die Wäsche zu bringen“[19]. Denk war darüber hinaus der Patentinhaber eines „Aufdruck-Netzes“, das es ermöglichte, „die beliebte Kreuzstichstickerei, sowie die sogenannte Holbeintechnik, und viele andere Stickarten auf jedem beliebigen Stoffe auszuführen, ohne zu dem so mühsamen, augenanstrengenden Zählen der Fäden verurtheilt zu sein“[20]. Er publizierte regelmäßig Vorlagen für Stickereien in Zeitschriften[21] und veröffentlichte zu diesem Thema ein Mappenwerk im Schroll-Verlag[22].
Denk war auch bei vielen Gewerbeausstellungen vertreten, wo er regelmäßig für seine Produkte Preise erhielt.[23] Gemeinsam mit seiner Frau, der Weißstickerin Amalie Denk, war er ebenso auf der Pariser Weltausstellung 1878 vertreten.[24] Stilistisch würde das Plakat zu einem Textilgestalter dieser Zeit passen, aber dieser Hans Denk, der von 1870 bis 1904 meist mit der Berufsbezeichnung Graveur im Wiener Adreßbuch Lehmann nachweisbar ist, verstarb bereits am 6. Juli 1904 in Wien-Gersthof[25], womit die ursprüngliche Datierung des Plakates nicht haltbar wäre.
Über die Details der namentlichen Zuschreibung eines anonymen Plakates hinaus eröffnen die hier dargelegten Fragestellungen diskussionswürdige Aspekte zur Geschichte der Gestaltung. Es bietet sich die Möglichkeit, Aspekte der Produktionsbedingungen angewandter Kunst zu beleuchten und vor allem die Fülle an anonymem Design in den Fokus der Forschung zu rücken. Wie ist die große Menge an unsignierter Gebrauchsgrafik entstanden, welche Berufsfelder gab es dafür, wer hat die vielen Textilien und Kleidungsstücke mit allen Accessoires entworfen, wer das feine Porzellan bemalt, wer die Inneneinrichtungen fabriziert, wer die dekorativen Details an so vielen Bauwerken angefertigt – und all dies zu welchen Arbeitsbedingungen? Weder in der Kunstgeschichte noch in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte gibt es dazu bis dato nennenswerte Forschungsansätze, in denen man sich mit den Personen, die all dies geschaffen haben, beschäftigt.
Diesen Artikel zitieren:
Bernhard Denscher, Hans Denk: Graz oder Greiz. Oder Johann Denk aus Vimperk?, in: Austrian Posters, 14.9.2024, https://www.austrianposters.at/2024/09/14/hans-denk-aus-graz-oder-greiz-oder-johann-denk-aus-vimperk/ (Stand: TT.MM.JJJJ).
[1] Dorotheum, Auktionskatalog, Plakate, Reklame, Comics. Film- und Fotohistorika, 22.April 2004, Wien 2004, S. 17.
[2] Freundliche Auskunft von Mag. Christian Maryška von der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe auch: Frühlingsfest – Dreherpark, in: Bildindex der Kunst & Architektur, https://www.bildindex.de/document/obj16310453?part=0&medium=on2004106025 (Stand: 13.8.2024).
[3] Stand August 2024.
[4] Das Vaterland, 15.10.1905, S. 6; 17.4.1906, S. 3.
[5] Das Vaterland, 25.3.1906, S. 6.
[6] Denscher, Bernhard: „Die Fläche“ und die Wiener Moderne, Wolkersdorf 2021.
[7] Artists of the World, AKLONLINE (Stand: 30.7.2024).
[8] Freundliche Auskunft von Dr. Eva Schober vom Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien: Stud.Akt 799N: geboren Graz/Steiermark; Stud.Akt 2435 und Matr. 142: geboren in Greiz/Deutschland.
[9] 2018 fand die Ausstellung „Malíři z Mariánských Lázní“ („Die Maler aus Marienbad“) im „Městské muzeum Mariánské Lázně“ statt, in der auch Hans Denk präsentiert wurde, https://muzeum-ml.cz/maliri-marianskych-lazni/ (Stand: 31.7,2024).
[10] Význačne osobnosti Mariánských Lázní, in: Hamelika, https://www.hamelika.cz/?cz_vyznacne-osobnosti,326#DENK%20Hans (Stand: 31.7.2024).[11] Schüler:innenverzeichnisse der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, freundliche Auskunft von Mag. Klaus Walder.
[12] Fußnote 10.
[13] Pilsner Tagblatt, 6.6.1925, S. 3.
[14] Lehmanns Adressbücher.
[15] Kaindl’s Reklame-Bücherei, 2. Band: Künstlerlexikon. Maler / Malerinnen / Graphiker / Zeichner, die auf dem Gebiete der Reklame, der Buchkunst usw. tätig sind, Wien 1920, S. 29.
[16] Sterbebuch der Pfarre St. Josef zu Margareten, Wien 1920, Fol. 67.
[17] Das Vaterland, 24.3.1895, S. 6.
[18] Leopoldstädter Montags-Zeitung, 1.9.1890, S. 3.
[19] Wiener Moden- und Hauswesen-Zeitung, 1.10.1881, S. 6
[20] Ebenda.
[21] Z.B.: Allgemeine Kunst-Chronik, 15.12.1883, S. 741.
[22] Das Interieur, 1906, Anzeigenteil, S. 5.
[23] Österreichische Bruchdrucker-Zeitung, 4.5.1882, S. 2.
[24] Oesterreichische Gartenlaube, 2.8.1878, S, IV.
[25] Sterbebuch, Pfarre Gersthof, 1904, Fol. 144.