Am 6. Mai 1951 wurde in Österreich zum ersten Mal das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt. In der ursprünglichen Bundesverfassung von 1920 war die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung vorgesehen. Erst mit der Änderung im Jahr 1929 war eine Volkswahl für das höchste Amt im Staat in die Bundesverfassung aufgenommen worden. Aus verschiedenen Gründen war es jedoch dazu zunächst nicht gekommen, erst 1951 war es so weit. Eine Kandidatin und fünf Kandidaten stellten sich der Wahl. Es waren dies die parteilose Ludovica Hainisch-Marchet, der parteilose, von der VdU (Vororganisation der FPÖ) vorgeschlagene Burghard Breitner, der Kommunist Gottlieb Fiala, Heinrich Gleißner (ÖVP), Theodor Körner (SPÖ) und der parteilose katholische Priester Johannes Ude. Den realen politischen Verhältnissen im damaligen Österreich entsprechend war der Wahlkampf vor allem ein Zweikampf der Vertreter der beiden Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ.
Als Favorit galt der Landeshauptmann von Oberösterreich Heinrich Gleißner (1893–1984). Er war ein früher politischer Weggefährte von Engelbert Dollfuß gewesen und von diesem nach Ausschaltung der Demokratie in Österreich im Jahr 1934 zum Landeshauptmann von Oberösterreich bestellt worden. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im Jahr 1938 wurde Gleißner verhaftet und war zwischen 1939 und 1940 mehrmals in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald inhaftiert. Nach dem Krieg wurde er – diesmal demokratisch legitimiert – wieder Landeshauptmann von Oberösterreich.
Theodor Körner (1873–1957), der Kandidat der Sozialdemokraten, war Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. Er war ein Großneffe des deutschen Dichters Theodor Körner, sein Vater war ein geadelter k.u.k Hauptmann gewesen und er selbst hoher Offizier der kaiserlichen Armee, der es dann in der Republik bis zum General brachte. Nach seinem Abschied vom Militär im Jahr 1924 trat er der Sozialdemokratischen Partei bei und wurde politisch aktiv. Im Ständestaat wegen seiner linken Gesinnung verhaftet und auch vom NS-Regime verfolgt, galt Körner ab 1945 als eine Art „Vorzeigedemokrat“ der österreichischen Politik.
Für den Wahlkampf stellten die Propagandisten der ÖVP dennoch eine Art „Sündenregister“ über den sozialdemokratischen Kontrahenten zusammen, das die Wahl Körners verhindern sollte. Man warf ihm vor, wegen seiner habsburgkritischen Haltung „kein verlässlicher Österreicher“ zu sein und als „Austrobolschewik“ eine „linksmarxistische, kommunistenfreundliche Haltung“ zu haben. Darüber hinaus meinte man, dass Körner mit 79 Jahren zu alt und mit „deutlichen Anzeichen der Senilität“ für das höchste Amt im Staat nicht geeignet sei.
Neben den Wahlkundgebungen und Zeitungskampagnen der parteinahen Presse war ein Bildplakat das Hauptwerbemittel der ÖVP. Gestaltet hatte es der anerkannte Grafiker Paul Aigner in seinem typisch realistischen Zeichenstil. Es präsentiert den Kandidaten Heinrich Gleißner im Trachtenanzug und mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Der Gesichtsausdruck des Kindes wirkt etwas starr und abwesend, scheinbar nicht auf die Zuwendung des Politikers reagierend. Aufschluss über diese seltsame Szene kann ein Foto aus dem Wahlkampf 1951 geben. Es zeigt Heinrich Gleißner bei einem Besuch des „Preyerschen Kinderspitals“ in Wien am 6. April 1951. Dabei hält der Politiker einen kleinen Jungen, der wesentlich mehr Emotion zeigt als das Aigner’sche Mädchen. Der Bub freut sich offensichtlich über die Zuwendung, über das Herausgehobenwerden aus der Menge, man spürt einen positiven Kontakt zwischen dem Erwachsenen und dem Kind. Weshalb für das Plakat aus dem Jungen ein Mädchen wurde, lässt Spielraum für Interpretationen, erklärt aber auch, warum dem Grafiker die Szene nicht ganz so optimal gelang. Der spätere Konrad-Adenauer-Porträtist Aigner gestaltete seine Kreidezeichnungen üblicherweise nach Fotos, doch hier musste er offensichtlich improvisieren und das Bild eines Mädchens in das Geschehen hineinkopieren.
Wenn die Datierung dieses Fotos durch die „Österreichische Nationalbibliothek“ stimmt, stand für Entwurf und Produktion des Plakates relativ wenig Zeit zur Verfügung. Denn schon einen Monat nach Aufnahme dieses Fotos war Wahltag. Dass die zeitliche Planung des ÖVP-Wahlkampfes tatsächlich ziemlich knapp war, bestätigt ein internes Papier der Partei, in dem von Kritik an der drucktechnischen Ausführung des Plakats berichtet wird. Diese Mängel wurden darauf zurückgeführt, dass aufgrund des Zeitdrucks das sachgemäße Trocknen des Druckwerks nicht abgewartet werden konnte. Mit dem Sujet war man als einem „Symbol des Familienvaters“ zufrieden, auch wenn parteiinterne Kritik daran geübt wurde. So hieß es insbesondere: „Ein Staatsmann habe andere Aufgaben, als Kinder herumzutragen!“. Das von Paul Aigner gezeichnete Porträt wurde noch auf einem weiteren Plakat verwendet, wobei die Gesamtgestaltung jedoch nicht von Aigner stammen kann, wie man etwa an der ungeschickten Gestaltung der Hände sieht.
Die Sozialdemokraten setzten vor allem auf das staatsmännischen Auftreten des alten Generals a.D. und Wiener Bürgermeisters Theodor Körner. Aus diesem Grund wurden zwei Porträtplakate herausgebracht. Eines davon zeigte eine Arbeit des anerkannten Malers und Grafikers Victor Th. Slama, der schon in der Zwischenkriegszeit für die Sozialdemokraten gearbeitet hatte. Versehen war das Blatt mit dem pathetischen Gelöbnis: „Österreicher – Euer Vertrauen ist mir heiligste Verpflichtung!“
Das zweite Plakat präsentierte ein eher hölzern wirkendes Porträt des Kandidaten, jedoch strategisch geschickt mit den Wappen der Bundesländer versehen, womit man offenbar ein optisches Statement gegen den Hauptstadt-Malus des Wiener Bürgermeisters setzen wollte. Nutzen wollte man auch das große Ansehen des Sozialdemokraten Karl Renner, des ersten Präsidenten der Zweiten Republik. Um diese Kontinuität zu beschwören, wurde eine eigene SPÖ-Wandzeitung herausgegeben, mit der an die früheren Präsidenten und insbesondere an Karl Renner erinnert wurde.
Beim ersten Wahlgang wurde Heinrich Gleißner mit 40,1% erster, Theodor Körner erhielt nur 39,2%, Burghard Breitner 15,4% und Gottlieb Fiala 5,1% der Stimmen. Da kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit erreichte, kam es zu einer Stichwahl zwischen Gleißner und Körner. Die Nervosität der Wahlwerber stieg, die Aggressivität der Auseinandersetzung nahm zu. Wasser auf die Mühlen der ÖVP war der Umstand, dass die KPÖ nun eine Wahlempfehlung für Theodor Körner abgab. So wetterte man auf massenhaft verbreiteten Flugblättern: „Die kommunistische Partei, der Agent ausländischer Interessen, hat die Wahlparole für Körner ausgegeben. Bürgermeister Körner ist auch der Kandidat des Linksblocks, der kommunistischen Partei, der Kominform, der Volksdemokratie! Die rote Katze ist aus dem Sack gesprungen: Kommunismus und Sozialismus – die marxistischen Brüder!“[1] Die Sozialdemokraten wiederum revanchierten sich mit ausgiebigen Hinweisen auf die Rolle Gleißners zur Zeit des autoritären Ständestaats.
In den Tagen vor der Präsidentenstichwahl tobte ein „heißer Kampf“ unter den Parteien, in dem „an manchen Orten die Grenzen demokratischen Anstandes überschritten“ wurden, wie die „Salzburger Nachrichten“ berichteten. In Wien etwa wurden bei einem Zusammenstoß von Schwarzplakatierern von ÖVP und SPÖ 13 Personen schwer und mehr als 40 leicht verletzt. Auch in der Steiermark und in Kärnten gab es politisch motivierte Schlägereien.[2]
Zur Überraschung vieler – vor allem auch der beiden Protagonisten – konnte Theodor Körner mit 52,1% die Wahl für sich entscheiden. Der neue Bundespräsident soll, laut Hans Werner Scheidl, mit dem Ergebnis nicht zufrieden gewesen sein: „Er sollte doch nur als Zählkandidat gegen den populären Favoriten Gleißner ins Rennen gehen! Jetzt hatte er den Salat. Immerhin übte er als alter Soldat sein Amt bis zum letzten Atemzug aus, er hat den Staatsvertrag 1955 erlebt – und holte einen jungen Mann aus der schwedischen Emigration zurück, als politischen Ratgeber: Er hieß Bruno Kreisky.“[3]
[1] Zitiert nach: Scheidl, Hans Werner: Fünf Männer – und eine Frau, in: Die Presse, 9.4.2016.
[2] Hödlmoser, Thomas: 1951 – die Österreicher wählen zum ersten Mal ihren Präsidenten, in: Salzburger Nachrichten, 28.4.2018.
[3] Scheidl, a.a.O.