Der Beruf des Grafikers habe etwas Gefährliches, wird Celestino Piatti gleich einmal am Beginn des Buches „Alles, was ich male, hat Augen“ zitiert. Dieser Beruf bewege sich im Gebiet der Kunst, sei aber in erster Linie Handwerk. Dazu – zum Handwerk – passt auch die darauf folgende Forderung, dass genau gearbeitet werden müsse. Zum Künstlerischen hin tendiert aber wieder der – das Zitat abschließende – Satz, dass man von dem Beruf besessen sein solle.
Anlass für diesen prächtigen Band, in dem natürlich Piattis Aufsehen erregende Grafik überwiegt, ist sein 100. Geburtstag am 5. Jänner 2022. Der Historiker Claudio Miozzari und die Literaturwissenschaftlerin Barbara Piatti – Tochter von Celestino Piatti – fungieren als Herausgeber/innen. Sie haben eine Reihe von prominenten Journalist/innen, Kunsthistoriker/innen, Verlegern und anderen, die mit Büchern, Grafik und Literatur zu tun haben, versammelt, um in vielen, vielen Essays dem Schaffen Piattis gerecht zu werden. Dazu haben sie noch eine Unmenge von Statements und Zitaten gestellt, die alle von Fans zur Verfügung gestellt wurden. Bevor auf die Essays näher eingegangen wird, sei noch auf eine Feststellung aus dem Vorwort hingewiesen: Pures Handwerk sei Piattis Schaffen gewesen, entstanden in rein analogen, aufwendigen Arbeitsschritten. Obwohl das Buch – natürlich – digital hergestellt worden sei, habe man sich bemüht „das Handwerk auch in seiner taktilen Qualität erlebbar zu machen“. Eine Reihe von Plakaten wird im Originalentwurf gezeigt, einige der unzähligen Entwurfsmappen werden so inszeniert, als hätte sie jemand soeben aufgeschlagen und ausgebreitet. „Ikonische, sehr bekannte Werke, die Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden haben“, werden mit bisher unpublizierten Arbeiten kombiniert.
„Handwerk und Fantasie“ ist der Titel des einführenden Essays, in dem das immense Schaffen Piattis kurz zusammengefasst wird: in nahezu sieben Jahrzehnten, von 1938 bis 2005, schuf er über 600 Plakate, sieben Kinderbücher, Gebrauchsgrafik von der kleinen Briefmarke bis hin zu den Wandbildern im Schweizer Weltausstellungspavillon und – noch einmal Aufsehen erregend genial – über 6300 Buchumschläge für den Deutschen Taschenbuchverlag, die in einer Gesamtauflage von mehr als 200 Millionen gedruckt wurden. Er erfand das Corporate Design für diese doch recht einmalige Entscheidung mehrerer Verlage, sich 1961 in einem Taschenbuch-Verlag zusammenzuschließen. Blättert man das Buch durch, tauchen Bilder wieder auf, die man viele, viele Jahre nicht gesehen hat, die einem aber im Gedächtnis geblieben sind. Nostalgie pur! Aber, was ist das, mit dem Piatti solchen Eindruck erzielte, wie gelang ihm das? Ich werde versuchen, es zu beschreiben: Da war einmal ein weißes Cover, für dieses Weiß war viel Platz. Und dann – im völligen Kontrast dazu – dicke schwarze Linien, die freien Flächen dazwischen gefüllt mit kräftigen Farben. Und, so eine Aussage Piattis, die zum Buchtitel abgewandelt wurde: „Beinahe jede Zeichnung von mir hat irgendwo ein Auge“. Und diese Augen, von Sonnen, Menschen und Tieren – oder auch ganz allein durchs Bild marschierend, wie in dem Plakat für die Caritas: „sieh Dich um und hilf“ – diese Augen blicken einen zumeist freundlich an. „Celestino Piattis Augen-Blicke“ ist daher auch der Titel eines Essays von Andreas Platthaus, dem Literatur-Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Und „genial“, um noch einmal das Wort zu bemühen, war dann sein Können, seine Fähigkeit, zu den Grafiken entsprechend die Schrift zu setzen. Dazu der Kommunikationsdesigner Jens Müller in seinem Beitrag: „In der dtv-Gestaltung verbanden sich die typografisch-monochrome Reduktion des Swiss Style mit Piattis ausgelassener Illustrationswelt. Aus dem scheinbaren Widerspruch erwuchs Wiedererkennung.“ Müller weiß auch, dass Piatti immer direkt auf dem Originalformat der Taschenbücher 18 x 10,8 cm entworfen und anschließend alles mit Klebestoff montiert hat. Und da ist jetzt noch gar nicht die Rede davon, dass er ja alle 6300 Bücher hat lesen müssen, um dann dieses eine, voll und ganz mit dem Inhalt übereinstimmende Titelbild entwerfen zu können.
Zurück zum Buch: Da wird die Einführung durch den Versuch eines Porträts, entworfen von der Tochter, abgeschlossen. Das erste große Kapitel widmet sich den Plakaten und der Werbung, da ist vom Dienst an der guten Sache die Rede und von Bildern der Menschenwürde, aber auch von der Anweisung für die Campari-Werbung das „leuchtendste und schönste Rot“ zu verwenden (Von einem ganz anderen Rot wird im Folgenden noch die Rede sein.) Im Zwiegespräch zweier Grafiker und Schriftdesigner erfährt man, dass der Schriftgestalter Piatti für seine dtv-Taschenbuchumschläge die Akzident-Grotesk-Schrift verwendet hat, eine Schrift, die immerhin schon 1895 entstanden ist. Im Verlauf dieses Gesprächs stellt sich auch heraus, dass man noch viel zu wenig darüber wisse, mit welchen Plakatdesignern er in Verbindung gestanden sei und, was er von den Größen seiner Zeit gehalten habe. Im nächsten Kapitel wird dann seine Tätigkeit für den Deutschen Taschenbuchverlag beleuchtet, wie er dessen optische Wiedererkennbarkeit grafisch perfekt gelöst hat. Für seine Buchumschläge verwendete er die verschiedensten Techniken, von der Tuschezeichnung bis zum Aquarell, aber auch die Fotomontage. Acht Wochen hatte er jeweils Zeit, um seine Entwürfe zu verwirklichen. Einige der Arbeitsprozesse kann man in dem Buch mitverfolgen, so zum Beispiel die 28 Versuche, Bertolt Brecht charakteristisch zu treffen. Von Heinrich Böll ist da auch die Rede, denn dessen „Irisches Tagebuch“ bildete ja im Jahr 1961 die Nummer 1 von dtv. Böll blieb in der Folge ein wichtiger Autor, so dass Piatti zum 65. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers einen Handpressendruck mit den Initialen des Autors in roter Farbe entwarf. Piatti schrieb dazu an den Leiter der Werbeabteilung: „Bitte rote Farbe genau übernehmen, es darf kein politisches Rot sein!“ Und weil da soeben von der Nr. 1, vom Irischen Tagebuch, die Rede war. Das wurde natürlich immer wieder neu aufgelegt. Betrachtet man die jetzige Auflage, so schaut sie – mit der Schwarz-Weiß-Fotografie eines einsamen Hauses – so ganz anders aus als die in eher düsteren Farben gehaltene Komposition aus Kirche, Häusern und einem Fischerboot, mit der Piatti vor 60 Jahren Furore machte. (jede und jeder mag für sich entscheiden, wie diese Entwicklung, weg von der Grafik, hin zum Foto einzuschätzen ist.)
Lesefibeln und Kinderbücher bilden den Inhalt eines weiteren Kapitels. Lustvoll versinkt man als Erwachsener – wie so oft – in der Bilderwelt gut gemachter Kinderbücher. Motivvariationen und freie Kunst ist der nächste Abschnitt betitelt. Die Herausgeber schreiben da, dass diese freie Kunst sein Ideenpool, sein Trainingsgelände gewesen wäre: „Bildideen wanderten zwischen Plakaten, Buchgrafik, Kinderbuch und freier Kunst hin und her.“ Hier werden auch seine fünf Kernmotivgruppen aufgezählt, als da sind: Tiere (vor allem Eulen, Tiger und Löwen), Frauen und Männer, Fabelwesen (Wassermänner, Kentauren, Nixen u.a.), Küsten- und Strandlandschaften und schließlich abstrakte Kompositionen. Beigegeben ist dem Buch dann auch noch ein Poster, zweiseitig bedruckt mit der offiziellen Ankündigung des Verlags aus dem Jahr 1961 und auf der Rückseite mit einem prächtigen grünäugigen Tiger.
Miozzari, Claudio – Barbara Piatti (Hrsg.): Alles, was ich male, hat Augen. Zweisprachig Deutsch und Englisch. 2021, Christoph Merian Verlag, Basel / dtv VerlagsgesellschaftmbH & Co KG, München.
Es heißt aber dann: Noch mehr Piatti, und zwar „Piatti für Kinder“, Nordsüd Verlag, Zürich, 2021.
Und eine Sonderedition mit fünf Bestsellern aus dem aktuellen dtv-Programm. Originalmotive aus dem Archiv Piatti sind in eine Designsprache des 21.Jahrhunderts eingebettet worden.