„Wie viele tausend Menschen hatte er mit seinen gezeichneten Drolligkeiten und moralisierenden Zeitglossen erheitert und viele hundert Menschen mit seinen feinen ausgearbeiteten Schwarzweißblättern und farbigen Holzschnitten entzückt,“ schrieb der Kunstkritiker der „Arbeiter-Zeitung“, Arthur Roessler, in seinem Nachruf auf den im Ersten Weltkrieg gefallenen Künstler.[1]
Mori[t]z Jung wurde am 22. Oktober 1885 in Nikolsburg/Mikulov geboren und entstammte der traditionsreichen jüdischen Gemeinde der südmährischen Stadt. Als Jugendlicher kam er nach Wien und studierte hier von 1901 bis 1908 an der Kunstgewerbeschule unter anderem bei Alfred Roller, Carl Otto Czeschka und Berthold Löffler. Schon während seiner Studienzeit erhielt er den renommierten Auftrag, für das „Cabaret Fledermaus“ das zweite Programmheft zu entwerfen.
Zu jener Zeit war Jung bereits überaus produktiv und veröffentlichte seine Illustrationen und Karikaturen in verschiedenen Medien. So waren seine Arbeiten in der „Fläche“, in „Ver Sacrum“, „Erdgeist“, „Der Ruf“, der Sportrevue des „Fremdenblattes“ und in der sozialdemokratischen satirischen Zeitschrift „Die Glühlichter“ zu finden. Im letztgenannten Magazin firmierte er zum Teil unter „den verschiedensten Decknamen“[2], wie etwa Nikolaus Burger[3] und Simon Mölzlagl[4].
Jung war auch für die „Wiener Werkstätte“ tätig. Neben drei Bilderbogen und Buchillustrationen bescherten ihm da vor allem jene 63 von ihm entworfenen Ansichtskarten einen nachhaltigen Erfolg. Es waren vor allem Serien, die der Grafiker dafür entwickelte, etwa zum Thema Hunde, Gespräch, Wiener Kaffeehaus, Varieté, Flugapparate, Musiker oder Musikhörende. Der Humor dieser Zeichnungen führt teilweise in einen seltsamen, bizarren Kosmos, und es scheint fast so, also ob Jung mit seinem Kollegen Rudolf Kalvach einen Wettstreit führte, wer die skurrileren Karten-Motive für die Wiener Werkstätte kreierte. Manches von Moriz Jung in diesem Zusammenhang Geschaffene erinnert an die Kunst der Comicstrips späterer Jahre.[5]
Moriz Jung schuf auch Plakate, etwa für das „Cabaret Fledermaus“ oder eine 190×125 cm große, imposante Arbeit, die Johann Strauss zeigt. Bei der Kunstschau 1908 war Jung in dem von Bertold Löffler kuratierten Plakatraum mit drei Arbeiten vertreten. Nach 1910 übersiedelte Jung nach Berlin und arbeitete dort in einer „graphischen Anstalt“, wie sich Arthur Roessler erinnerte.[6]
Eine interessante Facette der Persönlichkeit des sonst als bescheiden und zurückhaltend geltenden Künstlers ist seine Mitwirkung als Darsteller in einer Pantomime, die anlässlich eines Wohltätigkeitsfestes im Jahr 1907 aufgeführt wurde. Das Stück „Die Tänzerin und die Marionette“ war von Max Mell verfasst worden und Grete Wiesenthal, die damals gerade den Höhepunkt ihrer Karriere im Hofopernballett erreicht hatte, gab die Titelrolle.[7]
Bei der 1914 in Leipzig abgehaltenen „Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik“ wurde Moriz Jung für sein Porträt von Kaiser Franz Joseph ausgezeichnet, was nichts daran änderte, dass auch er bald zum Kriegsdienst einberufen wurde. Im September 1914 wurde Jung in Galizien durch einen Schuss in den linken Oberschenkel schwer verletzt.[8] Kaum genesen musste er wieder an die Front und fiel in der über den Winter währenden, verlustreichen Karpatenschlacht am 11. März 1915 auf den Manilowa Höhen beim Dorf Łubne südlich von Baligród.
Vor seinem tragisch frühen Ende übergab Moriz Jung, der auch schriftstellerisch tätig war, dem Kritiker Arthur Roessler einen Text, der Gedanken über den Tod enthielt und der mit den Worten schloss: „Alle Zweifel an Berufung und dergleichen sind verschwunden, verweht im Donner der Geschütze, und wenn ich im Felde falle, weiß ich, daß ich nicht nur für mich, daß ich auch für mein Volk gelebt.“[9]
Aus: Bernhard Denscher, Gebrauchsgrafik aus Österreich. 51 Lebensläufe. Aesculus Verlag, Wolkersdorf 2022. 204 Seiten, mit 212 meist farbigen Abbildungen; ISBN 978-3-200-07991-5.
[1] Roessler, Arthur: Moritz Jung – gefallen, in: Die Arbeiter-Zeitung, 3.4.1915, S. 5.
[2] Roessler, Arthur: Moritz Jung – gefallen, in: Die Glühlichter, 22.4.1915, S. 2.
[3] Z.B.: Die Glühlichter, 7.5.1910, S. 7 und folgende Nummern.
[4] Z.B.: Die Glühlichter, 15.1.1910, S. 7 und folgende Nummern.
[5] Pichler, Gerd: Moriz Jung, in: Allgemeines Künstlerlexikon, 78. Band, Berlin 2013, S. 503f.
[6] Siehe Fußnote 2.
[7] Neues Wiener Tagblatt, 7.6.1907, S. 9.
[8] Die Zeit, 26.9.1914, S. 5.
[9] Siehe Fußnote 1.