Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gab es in Österreich drei bedeutende private Sammler, die eine international relevante Kollektion an Plakaten ihr Eigen nennen durften: Ottokar Mascha, der seine Sammlung im Ersten Weltkrieg dem Kaiser schenkte und die sich heute großteils in der Albertina befindet; Theodor Lach, der vergeblich versuchte, seine umfangreiche Plakatsammlung nach 1945 dem österreichischen Staat zu verkaufen und die heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu finden ist, und schließlich Julius Paul, dessen über 3.000 Plakate umfassende Sammlung sich bis vor Kurzem ebenfalls in der Albertina fand.
„Wenn wir den oder die Eigentümer schließlich eruiert haben werden, möchte ich allerdings dafür sensibilisieren, dass die Sammlung geschlossen erhalten bleibt und nicht in alle Welt zerstreut wird. Dann würden sich einige Sammler die Spitzenwerke als Rosinen herauspicken, der Rest wäre Makulatur, Altpapier.” Dies sagte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder in einem Interview mit dem Magazin „Profil“ im Juni 2007 über die Sammlung Paul. Allein, es war ein frommer Wunsch. Das Sensibilisierungsansinnen ist fehlgeschlagen. Die Donatoren-Gelder in der vormals „Graphische Sammlung“ genannten Institution werden für andere Dinge gewidmet und die Sammlung wird nun über den Kunstmarkt tatsächlich in alle Welt zerstreut.
Während der Erstellung des Dossiers der Kommission für Provenienzforschung schätzte die britische Fachzeitschrift „Art Newspaper” die Sammlung Paul auf rund 10 Millionen Dollar. Am 20. Juni 2008 wurde aufgrund eines Beschlusses des Beirates der Kommission empfohlen, die Sammlung an die Rechtsnachfolger zurückzugeben. Wenig später übergab die Albertina, die die Sammlung im September 1939 für wohlfeile 10.000 Reichsmark vom Antiquariat V. A. Heck erworben hatte, diese den rechtmäßigen Erben.
Der Plakatsammler Julius Paul (8. März 1867 Temesvár – 5. Jänner 1938 Wien) wurde 1910 Mitglied des von Hans Sachs gegründeten Vereins der Plakatfreunde in Berlin. Seine Sammeltätigkeit dürfte er allerdings bereits um 1900 begonnen haben. 1909 übernahm er nach dem Tod seines Vaters den Großhandelsbetrieb mit Zünd- und Zigarettenpapierwaren. Ein wesentlicher Teil dieses Unternehmens war der Alleinvertrieb des französischen Zigarettenpapiers Abadie. Eine Marke, die in Europa für aufwendige Plakatwerbung bekannt war. Den Kernbestand seiner Sammlung bilden 800 österreichische, 700 deutsche und 450 ungarische Plakate. Als akribischer Sammler erstellte Paul einen handschriftlichen Zettelkatalog und ließ für seine Plakatsammlung – so wie auch Hans Sachs – einen eigenen Plakatschrank aus Eichenholz zimmern, der zumindest bis zum Umbau der Albertina in den neunziger Jahren existierte.
Testamentarische Erbin von Julius Pauls Sammlung war seine Frau Paula. Doch verzeichnete Pauls Neffe Gaston Albert Belf im Juli 1938 in seinem Vermögensverzeichnis eine Sammlung von Reklameplakaten. Der Beirat stellte in diesem Zusammenhang Folgendes fest: „Der Verkauf der Sammlung an das bzw. durch das Antiquariat V. A. Heck steht demnach in unmittelbarem Zusammenhang mit der Finanzierung der durch die NS-Herrschaft erzwungenen Flucht und den damit verbundenen Abgaben. Dieser Verkauf ist als nichtiges Rechtsgeschäft im Sinne des Nichtigkeitsgesetzes 1946 zu qualifizieren […] wobei es dahingestellt bleiben kann, ob Gaston Albert Belf die Sammlung an das Antiquariat verkauft oder dieses lediglich als Kommissionär auftrat.“[1]
Die Sammlung wurde schließlich 2008 einer New Yorker Galerie zum Verkauf überantwortet. 2010 erwarb die Londoner Reel Poster Gallery die wertvollsten Filmplakate aus der Sammlung und publizierte damit einen aufwendigen Verkaufskatalog mit rund 50 österreichischen, ungarischen und deutschen „breathtaking“ Movie Posters. Die Plakatgalerie wirbt damit, dass die Plakate aus der Albertina stammen und verschweigt die Tatsache, dass sie Bestandteil der jüngst restituierten Sammlung Paul waren.
Den Kernbestand der Sammlung Paul bildeten wohl rund 130 Arbeiten von Mihály Biró, inklusive einer größeren Anzahl von Originalentwürfen. Die Reel Poster Gallery bietet u. a. Birós Plakate für drei russische Filme an. Zwei Sujets für „Iwan der Schreckliche“, 1926 (₤ 7.500 bzw. 9.500); „Mutter“, 1926 (₤ 18.000) und für Eisensteins „Streik“, 1925 (₤ 25.000). Der Verkaufskatalog[2] verzeichnet weiters einige Arbeiten von Theo Matejko (Madame Dubarry, 1919, ₤ 35.000; Opium, 1919, ₤30.000; Der Rabbi von Kuan-Fu, 1919, ₤ 3.000), Bernd Steiner (Sumurun, 1920, ₤ 9.500), Victor Theodor Slama (Ariane, 1931, ₤ 18.000) und Ernst Deutsch-Dryden (Die Geheimnisse von Paris, 1917, ₤ 3.500). Als die absoluten Highlights werden die österreichischen Plakate zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“ – es befindet sich auch in der Österreichischen Nationalbibliothek – vom Atelier Ledl-Bernhard und das ungarische zum Stummfilm-Klassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“ präsentiert. Für beide gibt es keine Preisangaben, man kann aber davon ausgehen, dass der Preis bei über ₤ 50.000 liegen wird. Von den 50 angebotenen Filmplakaten stammen 13 aus Österreich, 14 aus Ungarn und 22 aus Schweden. Der Preis für die 48 Plakate, bei denen der Preis bekannt ist, liegt bei rund € 400.000. Der Katalog richtet sich allerdings eher an Filmmemorabilia-Sammler und nicht so sehr an die Poster-Afficionados, stammt doch der Katalogtext nicht von einem Plakatexperten, sondern vom britischen Filmhistoriker Kevin Brownlow.
Rund ein Drittel der Filmplakate wurde bereits verkauft. Es ist davon auszugehen, dass die Plakate ihre Käufer nicht in Österreich gefunden haben.
[1] http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Belf_Gaston_2008-06-20.pdf
[2] Marchant, Bruce – Tony Nourmand (Hg.): The Reel Poster Gallery. Posters from the Albertina Collection. Original Vintage Film Posters. London 2010.