Carl Otto Czeschka „DIE NIBELUNGEN“ – eine Richtigstellung

„DIE NIBELUNGEN ” – dieses kleine Büchlein aus „Gerlachs Jugendbücherei“ im Format einer CD-Hülle, erschien 1908 in Wien. Es wurde von Carl Otto Czeschka illustriert und mit Buchschmuck versehen. Dieses kleinformatige Bändchen zählt zu den Spitzenwerken der Buchillustration schlechthin.[1] 

Czeschka wurde 1878 in Wien geboren. Er studierte an der Wiener Akademie der Künste, wurde 1902 Lehrer an der Wiener Kunstgewerbeschule, der heutigen Angewandten, und gehörte seit 1905 zur „Wiener Werkstätte“. 1907 erhielt er einen Ruf an die Hamburger Kunstgewerbeschule. Bis zu seiner Pensionierung 1943 blieb er dort als Lehrer, seinem Brotberuf. Er starb 1960 in Hamburg.

Bisher hieß es, die acht doppelseitigen Nibelungen-Illustrationen in dem Büchlein des Verlags Gerlach & Wiedling seien die Folge einer ursprünglich geplanten Zusammenarbeit mit dem neuverpflichteten Direktor am Wiener Raimund-Theater, Sigmund Lautenburg (1851-1918). Der Theaterdirektor hätte Hebbels Nibelungen inszenieren wollen und sei aus finanziellen Gründen nur kurze Zeit am Raimund-Theater geblieben. Daher habe die Inszenierung nicht stattgefunden und deshalb konnten Czeschkas Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme nicht verwendet werden. Aufbauend auf seinen Entwürfen für das Raimund-Theater hätte Czeschka daraufhin „DIE NIBELUNGEN“ für den Wiener Verlag Gerlach & Wiedling illustriert als zweiten Band in der Schriftenreihe „Gerlachs Jugendbücherei“.

Ein Exemplar der 1. Auflage, das von einem Kind offensichtlich häufig und gern angeschaut worden war     

Neue Recherchen haben ein anderes Bild ergeben. Die Geschichte von Czeschkas Nibelungen muss neu geschrieben werden, denn:

  1. Die Premiere von Hebbels „Nibelungen“ unter der Regie von Sigmund Lautenburg fand am 14. September 1907 statt. Für das Bühnenbild und die Dekorationen waren die Hoftheatermaler „Kautsky-Rottonara-Prinz“ und für die Kostüme und Requisiten die Fa. Alexander Blaschke beauftragt worden.[2] Insgesamt gab es 23 Aufführungen dieser Inszenierung. Lautenburg als neuer Direktor des Raimund-Theaters hatte zunächst vorgesehen, seine erste Spielzeit mit „Julius Caesar” zu beginnen. Von der Absicht, stattdessen Hebbels Nibelungen aufzuführen, hatte die Öffentlichkeit erst am 16. Mai 1907 erfahren.
  2. Ein Brief von Czeschka an den befreundeten Lehrer Dr. Emil Oswald (1879-1948) vom 10. März 1907 dokumentiert, dass Czeschka schon im Frühjahr 1907 damit beauftragt und befasst war, „DIE NIBELUNGEN ” als Gerlachs Band 22 zu illustrieren, also unabhängig vom Spielplan des Raimund-Theaters.
  3. In der Generalversammlung des privaten Raimund-Theater-Vereins am 31. Oktober 1907, sechs Wochen nach der Nibelungen-Premiere, bat Lautenburg um sofortige Demission. Um „vornehmes Theater“ zu machen, hatte er die Bewilligung höherer Betriebsmittel gefordert. Die Kreditbewilligung des Vereins über 250.000 Kronen waren ihm nicht genug. Er brauche 400.000 Kronen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Wenige Tage später, am 5. November 1907 wurde sein Rücktrittsgesuch angenommen. Lautenburg musste als Konventionalstrafe 24.000 Kronen, d.h. ein Monatsgehalt bezahlen und ging zurück nach Berlin.

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Im Jahr 1893 war das Raimund-Theater im 6. Wiener Bezirk Mariahilf eröffnet worden. Eine Gruppe von 545 Wiener Bürgern hatte das Geld zur Verfügung gestellt, um den Bau des Theaters für die „unteren Volksschichten“ zu ermöglichen. Es sollte ein Gegenstück zum „höfischen Burgtheater“ werden. Der erste Direktor Adam Müller-Guttenbrunn (1852–1923) wurde 1896 von Ernst Gettke (1841–1912) abgelöst. Auch Gettke musste vorzeitig gehen wegen des „Mangels an geeigneten Volksstücken“ und wegen der Konkurrenz u.a. durch Varietés. Die Jahre der Gewinne und Dividenden für die Anteilseigner endeten. Gettke allerdings wurde vorgeworfen, er habe das Theatergebäude, den Fundus, die Dekoration und Kostüme vernachlässigt und ebenfalls das Ensemble, so dass eine „Massenflucht des Publikums“ und ein Defizit von 106.000 Kronen folgten.[3]

Als „Retter in der Not“ und neuer Direktor konnte am 5. Dezember 1906 Sigmund Lautenburg für fünf Jahre verpflichtet werden. Zuvor hatte er das Berliner Residenztheater geleitet. Ihm wurde volle künstlerische Freiheit zugesichert und zusätzlich angeboten, nach zwei Spielzeiten das Theater zu pachten. Solange blieb es noch in Eigenregie des Theatervereins und seines geschäftsführenden Ausschusses. In den Monaten bis zum 1. Juli 1907, dem Beginn der Vertragslaufzeit, stellte Lautenburg sein neues Ensemble und das zukünftige Repertoire zusammen. Die Eröffnung der Spielzeit wurde von August auf den 14. September 1907 verschoben, damit zuvor das Haus renoviert werden konnte.

Links: Prager Tagblatt, 29.11.1906, Seite 30 (ÖNB ANNO) / Rechts: Das Raimund Theater um 1898 (Wikipedia)

Sigmund Lautenburg war der Sohn eines Fabrikanten aus Budapest. Seine wohlsituierte Herkunft ermöglichte es ihm, nach einer Bankausbildung Schauspieler zu werden. Er war ehrgeizig und erfolgreich. Auch als Übersetzer französischer Stücke machte er sich einen Namen. Er reüssierte als Regisseur und als Theaterdirektor in Berlin. In Wien war er kein Unbekannter. Als Schüler des Burgtheater-Schauspielers Adolf Sonnenthal (1834–1909) hatte er auch selbst am Burgtheater gespielt. Am Raimund Theater gab er Gastspiele, zuletzt in Lessings „Nathan der Weise“ und in Ibsens „Wildente“ als Hjalmar. Für den Raimund-Theater-Verein schien es ein großartiger Erfolg zu sein, Lautenburg gewonnen zu haben.

Mit dramaturgischem Geschick begann Lautenburg sofort nach der Vertragsunterzeichnung, seinen Namen in Wien durch auffallend häufige Bekanntmachungen in der Presse zu platzieren. Jede meist für 5 Jahre erfolgte Verpflichtung eines neuen Ensemble-Mitglieds, das er von anderen Bühnen abwarb, und jedes neue Stück, das er zur Aufführung erwerben konnte, wurde der Presse mitgeteilt, so dass immer wieder kleine und größere Artikel mit seinem Namen verbunden wurden. Mit der Neuinszenierung von Shakespeares „Julius Caesar“ sollte die Ära Lautenburg beginnen.[4] Sein Repertoire würde er aus Klassikern, modernem Schauspiel und Lustspiel sowie Wiener Volksstücken zusammenstellen. Es würde keine Operetten geben und ganz ausgeschlossen sei das ‚frivole Genre‘. Seine Schauspieler müssten „korrektes schönes Hochdeutsch“ sprechen.

Am 10. Mai 1907 lud er die „Wiener Allgemeine Zeitung“ zu einer „Plauderstunde“ ein. Die Proben des ersten Stückes würden am 14. August beginnen, jedoch seine Wahl für die Eröffnungsvorstellung sei noch nicht getroffen. Eine Woche später, am 16. Mai 1907, konnten die Zeitungen endlich vermelden, dass Lautenburg sich für „Hebbels Nibelungen“ anstelle von „Julius Caesar“ entschieden habe.

Neues Wiener Journal, 16.5.1907, Seite 7 (ÖNB ANNO)

Lautenburg verband mit der Wahl dieses Werkes von Friedrich Hebbel offenbar einen besonderen Gedanken. Friedrich Hebbel (1813–1863) hatte die „Nibelungen“ seiner Frau Christine gewidmet. Von 1855 bis 1860 hatte er daran gearbeitet. Das Burgtheater nahm das Stück nicht an, deshalb fand die Uraufführung mit Christine Hebbel-Enghaus 1861 in Weimar statt. Aktuell, am 9. Februar 1907, im Jahr der Rückkehr Lautenburgs nach Wien, feierte die langjährige Burgschauspielerin Christine Hebbel ihren 90. Geburtstag. Die Wiener Gesellschaft und Presse widmeten diesem Ereignis, 43 Jahre nach Hebbels Tod, größte Aufmerksamkeit. Am Vorabend gab das Burgtheater ihr zu Ehren „Gyges und sein Ring“. Man erinnerte sich an Hebbels „Wunder von Wien“ im Jahr 1845: Der verarmte und kranke Dichter, der gerade Wien verlassen wollte, traf überraschenderweise zwei galizische Barone, die sich um ihn bemühten, neu einkleideten und seine Mäzene wurden. Wenige Tage später begegnete er der schönen Hofburgschauspielerin Christine Enghaus, seiner zukünftigen Ehefrau. Nun strebte Herr Lautenburg ein neues „Wunder von Wien“ an, und Hebbels Witwe, die unweit des Burgtheaters am Franzensring (heute Universitätsring) wohnte, sollte bei der Premiere anwesend sein.

Die aufmerksame Wiener Kunstszene konnte zuschauen, wie Lautenburg seit Jahresbeginn sein Direktorium vorbereitete und welche Reformen er plante: Im März 1907 hieß es, er werde den Theatermusikern kündigen, denn auf die bisherige Zwischenaktmusik wolle er verzichten.[5]  Im August 1907 verfügte er per Rundschreiben, dass es keine Freikarten mehr für die „Claque“ geben dürfe, denn sein Wunsch sei, das Urteil des Publikums unverfälscht zu hören.[6] Die Proben fanden mit doppelter Besetzung statt und erst kurz vor der Aufführung würde endgültig bestimmt, wer vor dem Publikum auf der Bühne stehen werde.[7] Auch über die Korrespondenz mit Christine Hebbel informierte er die Presse.[8] Das große Abschiedsbankett in Berlin am 27. April 1907 zu Ehren des von dort scheidenden Lautenburg war ebenfalls eine ausführliche Berichterstattung wert.[9] Lautenburg war intensiv bestrebt, die Erwartungen auf seine Direktion immer weiter zu steigern.

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Die Nachricht des 16. Mai 1907 über die geplante Aufführung von Hebbels Nibelungen muss den Geschäftsführer der „Wiener Werkstätte“ Fritz Waerndorfer elektrisiert haben. Er sah sofort die Chance für eine Partnerschaft zwischen dem Raimund-Theater und der Wiener Werkstätte und er wusste um Czeschkas Interesse am Nibelungenlied und für das Theater. So muss es Waerndorfer gewesen sein, der Czeschka veranlasst hatte, ganz kurzfristig und „mit Feuereifer“[10] Skizzen zu erarbeiten, damit sie Lautenburg vorlegt werden. Die Blätter im handlichen Format von 45 cm x 31 cm zeigten Dekorationsskizzen und Figurinen zum Nibelungenlied.

Jedoch: Lautenburg entschied sich am 17. Juni 1907 gegen die Verwendung von Czeschkas Skizzen. Immerhin hielt er es für angebracht, seine Gründe ausführlich darzulegen. Der an Fritz Waerndorfer gerichtete, fast drei Schreibmaschinenseiten lange Brief, befindet sich in Czeschkas Nachlass.[11] Dort heißt es, aus Verantwortlichkeit gegenüber dem Dichter Hebbel und dem Raimund-Theater und trotz des hohen künstlerischen Eindrucks der ideenreichen und eigenartigen Entwürfe Czeschkas sähe er in der Verwendung von dessen Ideen eine Belastungsprobe für das Publikum. Dies wolle er nicht riskieren. Ihm erscheine das Publikum im Raimund Theater für die Verbindung von dramatischer Kunst mit den Schwesternkünsten „noch nicht völlig reif zu sein“. Fairerweise fragte er nach dem Honorar für Czeschkas Entwürfe, um sie zu bezahlen.[12] 

Sicherlich war es Waerndorfer zu verdanken, dass ein Jahr später, 1908, die verschmähten Skizzen Czeschkas einen gebührenden „Auftritt“ auf der großen Kunstschau Wien“ in den Theaterkunst-Sälen bekamen. Die beiden großen Figurinen „Wotan” und „Tristan” waren im Saal 18 zu sehen, die Skizzen und kleinen Nibelungen-Figurinen wurden im Saal 20 ausgestellt. Zu diesem Zeitpunkt war Czeschka bereits in Hamburg.[13] Von Waerndorfer erhielt Czeschka einen begeisterten Bericht über die Kunstschau.[14] Dort hieß es: „Die Mosers und die Mautners haben so ziemlich alle Deine Zeichnungen und Entwürfe für den Hebbel gekauft“. Czeschka selbst behielt die Figurinen für Brunhild, Krimhild und die Schildwache, die sich heute in der Sammlung Steinbrecht befinden. Die Blätter, die auf der Kunstschau verkauft worden waren, sind heute verschollen.

Drei von Czeschkas Figurinen für Hebbels Nibelungen in der Sammlung Steinbrecht

Zum Vergleich: aus dem Gerlach-Büchlein „DIE NIBELUNGEN“, 1908

Wie Czeschka auf die Absage Lautenburgs reagiert hat, ist nicht überliefert. Möglicherweise war er sogar erleichtert, denn er hatte schon 1906 den Plan gefasst, seine Heimatstadt Wien zu verlassen. Aus Hamburg und Leipzig bemühte man sich, ihn als Lehrer an die Kunstgewerbeschule zu berufen. Weil noch nichts entschieden war, durften die Kollegen der Wiener Werkstätte und der Kunstgewerbeschule davon nichts merken. Seit Dezember 1906 liefen die Verhandlungen. Über sieben Monate wartete er geduldig und ruhig und voller Tatendrang. Dann endlich kam das Schreiben von Hamburgs Senator Werner von Melle vom 17. Juli 1907. Das bedeutete, Justus Brinckmann, der die Berufungskommission leitete, hatte sich für ihn entschieden. Um zum Semesterbeginn am 1. Oktober 1907 rechtzeitig in Hamburg zu sein, musste nun alles ganz schnell gehen – Kündigung, Abschied und Umzug.

In den ersten Monaten des Jahres 1907 hatte Czeschka neben dem Unterricht am Stubenring und dem Raimund-Intermezzo mit Hebbels Nibelungen an den Vorbereitungen des „Kabarett Fledermaus“ und an den Programmheften mitgewirkt. Auch für die Aufführungen des neuen Kabaretts in der Johannesgasse hatte er Verantwortung übernommen und zwar für die Kostüme und die Inszenierung des Stücks „Masken“ von Peter Altenberg und für die Rezitation von R. Rubiconi im Dante-Gewand. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Kabarett Fledermaus am 20. Oktober 1907 war er schon nicht mehr in Wien. In seinen Briefen nach Hamburg berichtete Waerndorfer in lebhaften Beschreibungen über die Erfolge der Fledermaus.[15]

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Rückblende:
Als Czeschka von Waerndorfer im Mai 1907 aufgefordert worden war, Skizzen für Lautenburgs Inszenierung des Hebbel-Dramas anzufertigen, war er bereits mit einem anderen Nibelungen-Projekt intensiv befasst. Anfang 1907 hatte Czeschka von dem Verleger Martin Gerlach den Auftrag erhalten, zusätzlich zu dem Bändchen „Erzählungen und Schwänke von Johann Peter Hebel“ (1905) das Nibelungenlied zu illustrieren. Dokumentiert ist dies in Czeschkas Brief vom 10. März 1907 an den befreundeten Dr. Emil Oswald, einem kurz zuvor nach Troppau (Schlesien) versetzten Realschulprofessor. In diesem Schreiben erwähnte er anfangs eine gemeinsame Angelegenheit, die Czeschka vor dem 1. August nicht bearbeiten konnte. Die Tätigkeit für die Wiener Werkstätte und auch die vertragliche Verpflichtung, den neuen Band für die Jugendbücherei der Gerlachserie zu illustrieren, hätten Vorrang. Es ginge um das Nibelungenlied, das in Prosa von einem Wiener Lehrer (d.h. von Franz Keim 1840-1918) ‚verzapft‘ wird.

Anfang des Briefes von Czeschka an Dr. Emil Oswald vom 10.3.1907:[16]
„Lieber Dr. Oswald! Jetzt drängt die Sache nicht so sehr. – Wir haben Zeit bis zu den großen Ferien. Vor 1. August komme ich nicht dazu, einen Strich zu machen, da ich für die Jugendbücherei der Gerlach-Serie einen Band Illustrationen zu machen (es ist das Nibelungenlied welches in Prosa von einem Wiener Lehrer verzapft wird) ich kontraktlich verpflichtet bin. Dazu noch die laufenden Arbeiten der W.W. …“

Nach einem Jahr hatte Czeschka die Illustrationen fertiggestellt. Am 13. Februar 1908 bestätigte Martin Gerlach den Erhalt der Sendung aus Hamburg und sprach sein „Entzücken über die so prächtig gelungenen Illustrationen“ aus.[17] Der Titel, die Einleitung, der Buchschmuck und Drucktechnisches mussten allerdings noch zwischen den Beteiligten Gerlach, Keim und Czeschka vereinbart werden. Von den 16 farbigen Seiten waren zwei auf das Jahr 1907 datiert. Alle anderen Seiten waren mit Czeschkas Signatur und der Jahreszahl 1908 versehen.

In einer dunkelblauen Kassette, gefertigt von der Buchbinderei der Wiener Werkstätte, waren die Original-Illustrationen 1908 nach Agram (Zagreb) verkauft worden. Seitdem galten sie als verschollen. 2017, mehr als hundert Jahre später, tauchten sie überraschenderweise im Rahmen der Versteigerung des Nachlasses der Sammlerin Carol Ferranti in New York bei Sotheby’s wieder auf. In ihrer ursprünglichen Kassette wurden sie von dem Sammler Richard H. Driehaus aus Chicago erworben.

Czeschkas Original-Illustrationen wurden vor ihrer Versteigerung in New York im April 2017 bei Sotheby’s Wien gezeigt (Foto: Hella Häussler)

Leider sind die Vorlagen für den Buchschmuck, d.h. die Seitenumrandungen, die Versalie zu Beginn des Textes und die unterschiedlichen kleinen schwarz-weißen Vignetten nicht mehr vorhanden. Sie sind ebenfalls für dieses ungewöhnliche Bändchen der Gerlach-Serie prägend. Der Nachlass des Verlags Gerlach & Wiedling wurde zerstreut und teilweise vernichtet.[18] 

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In der Zeit um 1907 war für Czeschka ebenfalls ein anderes Nibelungen-Projekt von Interesse. Er erwähnte es ebenfalls in seinem langen Brief an Emil Oswald. Aus zeitlichen Gründen hatte er dabei jedoch von einer intensiven Mitarbeit Abstand genommen: Es handelt sich um die Kostümierung und die Inszenierung eines Nibelungenfestspiels in der Nibelungenstadt Pöchlarn im Auftrag des „Nibelungen Denkmal- und Volksschauspiel-Verein Bechelaren“. Der junge Dichter Gustav Eugen Diehl (1883–1931) hatte mit seinem Festspiel-Text einen Wettbewerb unter 38 Einsendungen gewonnen und 1000 Kronen als „Ermunterungspreis“ erhalten. Als Bühnenbild sollte in Pöchlarn im Freien eine große Burg errichtet werden und die Zuschauer sollten als Gäste am Hofe Etzels mitspielen und am Hochzeitsmahl teilnehmen. Der Reinertrag dieses Festspiels sollte der Finanzierung eines 20 Meter hohen Denkmals dienen, das den Markgrafen Rüdiger von Bechelaren (Pöchlarn) zeigte, geschaffen vom Bildhauer Wilhelm Seib (1854–1924). Die Verwirklichung beider Teile des Projektes scheiterte an der fehlenden Finanzierung, was Czeschka im März 1907 nicht wissen, aber wohl ahnen konnte. Das Gipsmodell für das Rüdiger-Denkmal ist erhalten, jedoch nach Auskunft des Stadtarchivars von Pöchlarn ist der Text von Gustav Eugen Diehl nicht mehr auffindbar.[19] 

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Zurück zum Raimund-Theater:
Die Aufführung von Hebbels Nibelungen mit der Generalprobe für geladene Gäste am 13. September 1907 und die tags darauffolgende Premiere fand bei der Presse großenteils eine positive Resonanz. Statt Christine Hebbel konnte ihre Enkeltochter Frieda Morpurgo die Familie Hebbel vertreten. Auch der Statthalter Erich Graf von Kielmannsegg war als Ehrengast bei der Premiere anwesend.

Sechs Wochen später zur alljährlichen Generalversammlung des Raimund-Theater-Vereins kamen die Anteilseigner zusammen. [20]  Man beurteilte die Inszenierung positiv, jedoch wurde der Kostenaufwand allein für diese eine Inszenierung in Höhe von 30.000 Kronen kritisiert. Zum Eklat kam es schließlich, als die Versammlung einen Kredit über 250.000 Kronen genehmigte, jedoch verweigerte, Lautenburgs weit darüber hinaus gehende Forderung nach 400.000 Kronen zu erfüllen. Direktor Lautenburg meinte, unter diesen Umständen einen Theaterbetrieb nach seinen Vorstellungen nicht mehr durchführen zu können, und erklärte noch am selben Abend spontan seine sofortige Demission.

Neues Wiener Journal, 1.11.1907, Seite 10 (ÖNB ANNO)

In den nächsten Tagen gelang es nicht, Sigmund Lautenburg doch noch umzustimmen. Also wurde am 5. November 1907 das schriftliche Rücktrittsgesuch vom Ausschuss des Vereins angenommen. Der überraschende Abgang Lautenburgs mobilisierte in den folgenden Wochen alle Kräfte der Enttäuschten: Schon im November 1907 konnten langfristig die Weichen des Raimund-Theaters neu gestellt werden. Für die Verpachtung wurden die Direktoren des „Theaters an der Wien“ Wilhelm Karczak (1857–1923) und Karl Wallner (1861–1926) ausgewählt und von der Generalversammlung schon am 21. November 1907 bestätigt. Die „artistische Leitung“ übernahm für viele Jahre Alfred Cavar (1859–1920). Nach Änderung der Statuten durften seitdem auch Opern und Operetten aufgeführt werden. Als Musicaltheater gehört das Raimundtheater heute zu den erfolgreichen Bühnen Wiens. Der Name von Sigmund Lautenburg wird in den Chroniken des Raimund-Theaters kaum noch erwähnt.

Während ein vom Erfolg verwöhnter Sigmund Lautenburg in seinem Übermut das Wohlwollen der Wiener verspielte, entstand im Stillen und gänzlich unabhängig von Hebbels Nibelungen das kleine zauberhafte Büchlein „DIE NIBELUNGEN“ von Carl Otto Czeschka. Auf einer Anzeigenseite von Gerlach & Wiedling im Wiener Kommunalkalender 1910 wurden die bisherigen Bände mit ihren Preisen verzeichnet. Czeschkas Nibelungen mit dem Goldbronze-Druck kostete damals 3,- Mark = 3,60 Kronen, d.h. doppelt so viel wie die meisten anderen Bände der Serie. [21]  Heute gilt das Nibelungen-Büchlein als seltene Kostbarkeit: Etwa 1.000 Euro muss man im Kunsthandel für ein Exemplar der 1. Auflage bezahlen. Die Original-Illustrationen allerdings wurden in New York für 360.500 USD (brutto) versteigert.

Herrn Henner Steinbrecht wird für die freundliche Genehmigung zur Publikation der Werke von Carl Otto Czeschka herzlich gedankt.

[1] Hans Ries, Illustration und Illustratoren des Kinder- und Jugendbuchs im deutschsprachigen Raum 1871-1914, 1992, S. 358.
[2] Theater-Zettel zur Premiere von Hebbels „Nibelungen“ im Raimund-Theater am 14. September 1907, Theater-Museum Wien.
[3] 14. und 15. Rechenschaftsbericht des Raimund-Theater-Vereins 1906/1907und 1907/1908 – Wienbibliothek.
[4] Prager Tagblatt, 30.1.1907, S. 2.
[5] Die Zeit 28.3.1907, S. 6.
[6] Neues Wiener Journal 29.8.1906, S. 6.
[7] Neues Wiener Tageblatt 21.8.1907, S. 9.
[8] NWT, 25.8.1907, S. 12.
[9] Neue Freie Presse 29.4.1907, Seite 8, und Die Zeit 29.4.1907, S. 2.
[10] Ludwig Hevesi, 9. August 1907 – „Altkunst – Neukunst“, Wien 1909, Reprint 1986, S. 238.
[11] Nachlass im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.
[12] Senta Siller, „Carl Otto Czeschka – Leben und Werk“, Dissertation 1992, S. 77.
[13] Katalog zur „Kunstschau Wien 1908“, S. 48  https://digitale-bibliothek.belvedere.at/viewer/image/1528101301576/50/.
[14] Brief vom 11.6.1908 – in: Spielmann, Carl Otto Czeschka – Ein Wiener Künstler in Hamburg, Hamburg, 2019, S. 102.
[15] Spielmann, a.a.O., S. 78 ff.
[16] Das Original befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek
https://digital.onb.ac.at/RepViewer/viewer.faces?doc=DTL_5460775&order=1&view=SINGLE.
[17] Brief von Martin Gerlach im Nachlass von Czeschka, MKG Hamburg.
[18] Friedrich C. Heller, Die bunte Welt, Wien 2008, S. 187.
[19] Die Bibliothek des Theatermuseums Wien besitzt unter dem Titel „Das Treufest in Pöchlarn Anno 1907“ die Dokumentation über die damaligen Bemühungen des Pöchlarn-Vereins. Gustav Eugen Diehl war auch der Verfasser des Theaterstücks »Baldr«, das zur Sonnenwende am 23.6.1907 in Pöchlarn aufgeführt wurde. Es erschien 1907 gedruckt in einer Ausstattung von Franz Delavilla, einem Schüler von Czeschka. Das von Diehl an Bürgermeister Lueger verschenkte Exemplar befindet sich heute in der Wien-Bibliothek: https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/search/4579420?query=Gustav%20Eugen%20Diehl . Diehl war seit 1908 Herausgeber der »Modernen Revue« bzw. »Erdgeist«. Ab 1926 erschienen in Berlin Kataloge des Verbandes Bildender Künstler.
[20] NWJ 1.11.1907, S. 10 https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwj&datum=19071101&seite=10&zoom=49 .
[21] Wiener Kommunalkalender 1910  https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=wkk&datum=1910&page=831&size=45 .