Die meisten Werke, die sich bislang mit der Geschichte der grafischen Vervielfältigung beschäftigt haben, so David Jury, seien auf die Entwicklung des Buchdruckes fokussiert gewesen. Als Autor der Monografie „Graphic Design Before Graphic Designers“ wählt Jury hingegen eine etwas andere Perspektive. Sicher, so meint er, habe Johannes Gutenberg die beweglichen Lettern zur Herstellung von Büchern entwickelt, doch bald seien für die Drucker noch weitere Aufgaben hinzugekommen. Von diesen „Extras“ handelt das Buch und stellt die Aufgabe des „printer as designer and craftsman“ – so der Untertitel der Untersuchung – im Zeitraum von 1700 bis etwa 1914 dar. Meist waren es anonym gebliebene Mitarbeiter der Druckereien gewesen, die bei der Herstellung von unterschiedlichen Veröffentlichungen ein bemerkenswertes Gefühl für gute Gestaltungen entwickelten. Obwohl der Begriff des „Graphic Designs“ erst im 20. Jahrhundert geprägt wurde, gab es davor schon sehr gute Entwerfer – also hervorragende „Designer“, die allerdings erst später so bezeichnet wurden.
Autor David Jury ist nicht nur ein exzellenter Kenner der Geschichte angewandter Grafik, sondern selbst ein vielfach prämierter Grafikdesigner. Mit dem Gespür des Praktikers hat Jury 779 Belegstücke als Illustrationen für das Buch zusammengetragen. Mit dem Material kann er seine These, dass qualitatives Grafikdesign bereits vor dem Beruf der Grafikdesigner vorhanden war, eindrucksvoll belegen. Über 200 Jahre Mediengeschichte werden da anhand einer Vielzahl von Drucksachen, wie Akzidenzen, Maueranschlägen, amtlichen Schriftstücken, Spielkarten, Eintrittskarten, Geschäftspapieren, Verpackungen und vielem mehr illustriert. Doch auch textlich hat das Buch einiges zu bieten: Auf 312 Seiten geht Jury der Entwicklung des Druckes von den ersten „alternative functions of the black art“ bis zur Industrialisierung des grafischen Gewerbes nach – bis schließlich der Bedarf an gedruckter Werbung so stark wurde, dass sich der eigenständige Beruf des „Graphic Designers“ entwickelte.
Die gewählten Beispiele sind international gestreut, auch Österreich-Bezüge kommen vor. So findet sich ein österreichischer Reisepass aus dem Jahr 1851 im Illustrationsteil ebenso wie auch eine Reklamemarke für das Reiseartikel-Geschäft „Melzer“ in der Wiener Mariahilferstraße. Dass der Pass zwar mit „Austria“ richtig verortet wird, das Erscheinungsjahr aber fälschlich mit dem Geburtsjahr des Inhabers (1825) statt richtigerweise mit 1851 datiert wird und dass als das Herkunftsland der zweiten Abbildung „Germany“ angegeben wird, mag aus lokalpatriotischer Sicht schmerzen, tut jedoch der generellen Qualität der Publikation keinen Abbruch.
Jury, David: Graphic Design Before Graphic Designers. The Printer as Designer and Craftsman 1700 – 1914, London 2012.