I. Einführung:
Zunächst war es der Katalog der 100 besten Plakate 14 Deutschland Österreich Schweiz, der mich auf einen Text von Thomas Friedrich aufmerksam machte.1 Teile des Textes stammten aus einem Buch, welches der Bildsemiotik gewidmet war.2 Im Kapitel 02_Kommunikation mit Bild und Text3 wird ein Beispiel aus dem Plakatbereich gewählt. Es geht um ein angenommenes Stierkampfplakat.4 Es wird in verschiedenen Situationen beschrieben, dass die Nutzung und Bewertung des Plakats stark vom jeweiligen Kontext abhängt, in dem es gezeigt wird. Die Aufzählung umfasst folgende Punkte:
1. Das Plakat hängt an den offiziellen Anschlagflächen in einer spanischen Stadt. In der Arena dieser Stadt wird der Kampf in zwei Wochen stattfinden.
2. Das Plakat hängt wie oben beschrieben, der angekündigte Stierkampf hat jedoch bereits stattgefunden.
3. Das Plakat hängt in einem deutschen Reisebüro.
4. Das Plakat hängt im Schaufenster des Büros einer Tierschutzorganisation.
5. Das Plakat wird im Kontext einer Ausstellung zum Thema „Stierkampfplakate“ gezeigt.
6. Das Plakat hängt in einer Ausstellung zum Thema „Das spanische Plakat heute“.
7. Das Plakat wird in einer Ausstellung zum Thema „Hemingway und seine Wirkung 1899–1999“ gezeigt.
8. Das Plakat hängt in einer Ausstellung, die das Œuvre des Plakatgestalters zeigt.
9. Das Plakat wird in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommen.
10. Das Plakat hängt in einer spanischen Stadt, allerdings nicht an den offiziellen Anschlagstellen, denn die Europäische Union hat inzwischen ein europaweites Verbot von Stierkämpfen erlassen.
11. Das Plakat hängt in den Redaktionsräumen einer feministischen Zeitung.
12. Es gibt mittlerweile aber auch ein paar weibliche Stierkämpfer, und wir nehmen an, in der Wohnung einer solchen hängt unser Plakat.5
[zum vollständigen Text: siehe VI. Anhang]
Die Frage, die mich sofort interessierte, war folgende: Was passiert, wenn man diese theoretischen Erörterungen an einem konkreten Beispiel nachverfolgt und durch plakatspezifische Informationen ergänzt? Die Betrachtung muss auf die Punkte 1 und 2 beschränkt bleiben – denn hier liegt die Intention des Plakats, entfaltet es seine gesuchte spezifische Wirkung.
Besonders interessant erschien die Frage, über welches Erschließungswissen die Zeitgenossen verfügten, denn dieses ist es ja, welches wesentlich die Wirkung eines Plakats in seiner Zeit zu erklären vermag. Auftraggeber, Gestalter und Zielgruppe verfügen hier weitgehend über dasselbe Vorwissen. Der Betrachter kann also die Orte, Namen und Zusammenhänge zuordnen – kennt den Code –, um die entscheidenden Informationen zu entschlüsseln und zu bewerten.
Außerdem soll der Frage nachgegangen werden, was passiert, wenn das Erschließungswissen durch kulturellen oder zeitlichen Abstand nach und nach verloren geht – was ist es dann, was das Plakat ausmacht? Hier greift auch wieder neu die Frage nach der kontextualen Interpretation.
II. Das Plakat
Zunächst suchte ich nach einem mir passend erscheinenden Stierkampf-Plakat. Da ich mich bis dahin noch nicht näher mit diesem Genre beschäftigt hatte, musste ich zunächst einiges anschauen und nachlesen. Ausgewählt habe ich dann spontan eines, welches in meinem Geburtsjahr, 1956, erschienen ist. Alles andere sollte sich dann erweisen – so die Idee und Hoffnung.
Betrachtet werden soll nun folgendes Blatt:
Juan Reus (Juan Reus Parra, 1912–2003) Plaza de Toros de Madrid Spanien, Madrid, 1956, Ortega, Madrid, Farblithografie, 106 x 54 cm
III. Erschließungswissen
Zunächst soll geklärt werden, was an Erschließungswissen bei den Zeitgenossen vorausgesetzt werden kann.
1. Der Veranstaltungsort
Plaza de Toros Madrid (Plaza de Toros de Las Ventas)
Ab 1910 wurde der Stierkampf in Spanien immer beliebter, so dass die ursprüngliche Arena in der Carretera de Aragón zu klein wurde. So wurde 1922 mit dem Bau einer neuen Arena begonnen (eingeweiht 1934), der Las Ventas. Sie wurde von dem spanischen Architekten José Espelius Anduaga (1874–1928) entworfen und im neo-maurischen Stil erbaut. Die Arena fasst auf zehn Rängen bis zu 25.000 Zuschauer. Heute finden auch Konzerte, Theateraufführungen und Sportgroßereignisse in der Arena statt.
2. Die Stierkämpfer
Julio Aparicio (Julio Aparicio Martinéz, *1932)
Der Sohn eines Stierkämpfers begann seine Laufbahn mit elf Jahren. Mit seinen Auftritten in Barcelona und Madrid in den Jahren 1949 und 1950 legte er den Grundstein für seine Karriere. Bis er 1969 seinen Abschied nahm, gehörte er zu den großen Helden der Arena und genoss auch wegen seines sozialen Engagements große Wertschätzung. Sein Enkel Julio Aparicio (*1969), ebenfalls Stierkämpfer, wurde im Jahre 2010 durch einen spektakulären Unfall bekannt.
Antonio Ordóñez (1932–1998)
Er gehörte zu den großen Stars der Szene, Ernest Hemingway und Orson Welles hielten ihn für den größten Stierkämpfer aller Zeiten. Perfekte Technik und Fairness machten Ordóñez zu einem der erfolgreichsten Stierkämpfer seiner Zeit. Nach rund 1.000 Kämpfen und über 2.000 getöteten Stieren beendete er seine Kariere im Jahre 1968.
César Girón (César Giron Antonio Diaz, 1933–1971)
Giron stammte aus einer armen venezolanischen Familie, begann aber bereits als Kind mit dem Stierkampf. 1950 trat er in Caracas zu seinem ersten Stierkampf an, der mit einem großen Triumpf endet. Seit 1951 trat Giron in Spanien auf, 1954 erstmals in der Plaza de Toros, die beiden danach folgenden Jahre wurden die erfolgreichsten seiner Karriere.
3. Die Stiere
Neben den Stierkämpfern sind die Stiere die Stars der Manege. Sie werden in besonderen Farmen gezüchtet und unter speziellen Umständen gehalten. Erfolgreiche Züchter können bis zu 100.000 Euro pro Tier verlangen. Hier werden Tiere aus der Zucht von D. Carlos Nuñez Manso (?–1964) angekündigt. Er war ein bekannter Züchter von Stieren für den Stierkampf. Er erbte und übernahm im Jahr 1893 die Rinderfarm seines Ausbilders Manuel Valladares. Nuñez Manso erweiterte über die Jahre durch Zukauf und Kreuzung die Eigenschaften der Stiere, die für den Stierkampf ausgewählt wurden. Seine Tiere gewannen zahlreiche Auszeichnungen.
4. Die Gestaltung
Neben dem Textteil, der die speziellen Informationen enthält, ist der Bildteil der Träger emotionaler Elemente. Jeder Interessierte war mit den Grundregeln des Stierkampfes (Corrida del Toros) vertraut, denn der entscheidende formale Charakter eines Stierkampfes ist das strenge Ritual des Ablaufs.
Zumeist treten bei einer Corrida drei Matadore und sechs Stiere auf. Ein Kampf dauert etwa zwanzig Minuten. Der Kampf besteht aus jeweils drei Teilen, die durch Hornsignale voneinander getrennt werden.
Teil 1: Tercio de Varas Der Torero lernt den Stier und seine Besonderheiten kennen, er nutzt dafür den Capote, ein großes, zweifarbiges Tuch (Pink und Gelb). Begleitet wird der Torero hier durch Picadores (ein oder zwei Reiter), die den Stier mit Lanzen im Nackenbereich verwunden.
Teil 2:
Hier treten die Banderilleros auf, deren Aufgabe es ist, dem Stier drei Paar mit bunten Bändern behängten Spieße (Banderillas) so in den Rücken zu stechen, dass diese hängen bleiben.
Teil 3: Faena
Torero und Stier stehen allein in der Arena, der Torero benutzt jetzt die Muleto (ein kleines, dunkelrotes Tuch), um den Stier nach und nach in eine Haltung zu zwingen, die es dem Torero ermöglicht, das Tier mit einem gezielten Stich des Degens durch die Wirbelsäule in das Herz kampfunfähig zu machen. Dabei sind die Figuren – ähnlich einer Choreographie – weitgehend vorgegeben und variieren nur, um die Eigenarten des jeweiligen Stiers zu parieren.
Die Abfolge des Kampfes darf im Madrid des Jahres 1956 als allgemein bekanntes Wissen angesehen werden, so dass der damalige Zuschauer genau die Darstellung des emotionalen Höhepunktes eines jeden Stierkampfes erkannte. Das Plakat zeigt eine Szene aus dem dritten und entscheidenden Teil des Kampfes. Der Stier hat die Banderillas im Rücken, die Muleto wird benutzt und der Stierkämpfer hält den Degen in der rechten Hand bereit, um den Stier in einem der nächsten Momente zu töten.
5. Der Gestalter
Juan Reus (Juan Reus Parra, 1912–2003) Maler, Zeichner; Ausbildung in Valencia, u.a. bei Constantino Gomez, Peris Brell, Ruano Llopis und Roberto Domingo. Bekannt wurde er durch seine Zeichnungen, berühmt für seine Stierkampf-Plakate und Portraits von Stierkämpfern. Sein impressionistischer Duktus ermöglichte es ihm, sowohl die kraftvolle Dynamik als auch die Dramatik eines Stierkampfes emotionalisiert darzustellen – dafür wurde er geliebt. 1956 erschien das erste Buch über seine Stierkampfplakate: Juan Reus Parra: Gran corrida extraordinaria de beneficencia plaza de toros de Madrid, Valencia 1956. In Valencia ist eine Straße nach ihm benannt.
6. Die Veranstaltung
Bereits im Vorfeld wurde über die Veranstaltung berichtet. So wurden einen Tag vor der Corrida die Stierkämpfer ausführlich in mindestens einer Zeitung vorgestellt.6
IV. Fazit
Zunächst war es ein nebensächliches Kriterium (das Jahr 1956), das zur Auswahl genau dieses Plakats für die Betrachtung führte. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlten mir auch grundsätzliches Wissen über Stierkämpfe und die entsprechenden Plakate und damit auch das vorher besprochene Erschließungswissen.
Einige der Informationen ließen sich zumindest faktisch rekonstruieren. Nicht möglich ist es, die Wirkung innerhalb des Wechselspiels von Plakat und zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten genauer zu benennen, dafür sind die Rezeptionsfaktoren in der Gesellschaft und bei jedem einzelnen Betrachter zu komplex.
Feststellen aber kann man, dass es sich hier um ein Plakat handelt, das ein Stierkampfgroßereignis ankündigte: In der größten Stierkampfarena Spaniens traten drei der damals wichtigsten Stierkämpfer auf, auch die Stiere stammten aus namhafter Züchtung. Die Zielgruppe war also durch das Plakat bestens informiert und emotional angesprochen. Dass auch der Gestalter eine große Anerkennung durch die Herausgabe seiner Arbeiten in einem Buch erfuhr7, rundet die Gesamtbedeutung des Blattes ab und unterstreicht gleichzeitig, dass Plakate von Juan Reus zu jener Zeit den Maßstab für das Genre des Stierkampfplakats vorgaben.
Im Vorfeld war das angekündigte Ereignis als Stierkampfgroßereignis erkennbar. Für die Besucher wird das Plakat danach zum konkreten Erinnerungsstück. Entweder solange es noch im öffentlichen Raum hängt, oder als Dekoration im Innenraum, wo es vielleicht noch einige Zeit an den Urlaub in Spanien und an den Besuch eines Stierkampfes erinnert.
V. Entfernter Kontext
Verfolgt man nun die Wirkung des Plakats in zweierlei Hinsicht weiter – in der zeitlichen und räumlichen Entfernung –, so ergeben sich andere Zusammenhänge. Einige wurden schon erwähnt, es soll hier aber spezieller auf das schwindende Erschließungswissen eingegangen werden. Widmen wir uns zunächst der zeitlichen Entfernung.
Es ist leicht vorstellbar, dass nach 10, 20, 50 oder mehr Jahren das Plakat in Spanien in seinen wichtigsten Aussagen nach wie vor verstanden wird. Zum einen gibt es den Veranstaltungsort noch, und zum anderen werden auch weiterhin Stierkämpfe ausgetragen. Auch die Art, wie für solche Veranstaltungen geworben wird, hat sich in den Grundsätzen nur unwesentlich verändert. Die Namen der Stierkämpfer jedoch dürften nur noch wenigen bekannt sein.
Entfernen wir uns vom Ort des Geschehens, so darf man annehmen, dass sich der Detailreichtum des Erschließungswissens verringert und man einen eher allgemeinen Eindruck von „dem Stierkampf“ vermitteln kann (Bsp.: Friedrich / Schweppenhäuser: Pkt. 3: Das Plakat hängt in einem deutschen Reisebüro). Gehen wir noch weiter weg, in die USA oder nach Afrika und Asien. Kaum jemand dort würde wohl außerhalb des touristischen Aspekts mit dem Stierkampf etwas anfangen können. Die Globalisierung hatte noch nicht begonnen, so dass auch noch kaum spezielles Wissen aus der jeweiligen Ferne verbreitet war. So kann man sich vorstellen, dass es auch zu kuriosen Interpretationen kommen kann, und man das Dargestellte für ein friedliches Volksfest hält – da die Tiere so schön geschmückt sind …
Je weiter wir uns also zeitlich und räumlich vom Ausganspunkt entfernen, desto weniger können wir decodieren und erschließen. (Abb.)
Was bleibt, ist nur die Interpretation dessen, was wir (an der Oberfläche) sehen. Dies aber lässt nur eine beschränkte und verkürzte Betrachtung zu. Einen gewissen Ausgleich kann man durch die Recherche der Fakten und die Einordnung in bekannte und vergleichbare Arbeiten vornehmen.
Die Aussage, dass Erschließungswissen in örtlicher und zeitlicher Entfernung verschwindet, scheint auf den ersten Blick logisch und auch nicht umkehrbar. Doch könnte es auch gegenläufige Entwicklungen geben. Im Rahmen der Globalisierung wächst das Wissen über entfernte Gebiete, zunehmender Wohlstand ermöglicht es z.B. immer mehr Asiaten, auch entferntere Ziele touristisch zu bereisen, mediale Berichterstattungen kennen keine Grenzen, die Möglichkeiten des Internets … all das trägt zur Wissensverbreitung bei.
Vergangenes Wissen kann so wieder neu bekannt werden. In unserem speziellen Fall tragen die Diskussionen von Tierschützern in den betroffenen Ländern über das Für und Wider solcher Veranstaltungen zu einer anderen, aber häufigen Präsenz des Themas Stierkampf in der öffentlichen Wahrnehmung bei. Hinzu kommt, dass Spanisch – mit wachsender Bedeutung – derzeit Platz vier der meistgesprochenen Sprachen (nach Englisch, Chinesisch und Hindi) ist. Man darf also auch hier annehmen, dass ein wachsender Kreis Zugang über die Sprache erhalten könnte. All das lässt sich aber nicht konkret belegen – als Beispiel jedoch soll auf mein Vorgehen verwiesen sein, was ja auch zu einem vertieften Verständnis für die Bedeutung des speziellen Plakats geführt hat, neunundfünfzig Jahre nach dem Ereignis und rund 1.800 km davon entfernt.
1 | Thomas Friedrich: Zur Dialektik von und Text im Plakat heute in: 100 beste Plakate e.V. (Hrsg.), 100 beste Plakate 14 Deutschland Österreich Schweiz, Berlin 2015, S. 183ff |
2 | Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser: Bildsemiotik. Grundlagen der exemplarischen Analysen visueller Kommunikation, Basel, Boston, Berlin 2010 |
3 | ebenda S. 16ff |
4 | ebenda S. 21ff |
5 | Der vollständige Text der entsprechenden Passage ist mit freundlicher Genehmigung von Herrn Thomas Friedrich hier wiedergegeben: [zum vollständigen Text: siehe VI. Anhang] |
6 | Federo Faroles: !a la plaza !a la plaza in: La Vanguardia Española (La Vanguardia en Madrid: S. 7) |
7 | Juan Reus Parra: Gran corrida extraordinaria de beneficencia plaza de toros de Madrid, Valencia 1956 |
VI. Anhang
Auszug aus: Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser: Bildsemiotik. Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation, Basel / Boston / Berlin 2010.
Kapitel 2: Kommunikation mit Bild und Text, S. 16-25, Zitat: S. 21-23.
„[…] Bei der Verwendung des Begriffs Kontext ergibt sich die Frage, wo die Kontextgrenze zu setzen sei – und wenn eine Grenze begründet gezogen und damit ein Kontext bestimmt wurde, ist dieser wiederum in einen anderen, übergeordneten Kontext eingebettet. So droht in letzter logischer Konsequenz die Perspektive einer Kosmologie, die für den Designpraktiker keinerlei Handlungsrelevanz mehr besitzt. Insofern benutzen wir zwar den Kontextbegriff, doch nicht, um einen metaphysischen oder quasi-theologischen Holismus zu zelebrieren. Wir gebrauchen ihn nur dort, wo er von designpraktischer Relevanz ist. Mithilfe des Beispiels eines Plakats, das einen Stierkampf ankündigt, soll im Folgenden die Vielfalt des Kontextbegriffs im Kommunikationsdesign verdeutlicht werden. Dabei möchten wir aufzeigen, wie sehr der lokale und temporale Kontext die zu übermittelnde Botschaft beeinflusst.
1. Das Plakat hängt an den offiziellen Anschlagflächen in einer spanischen Stadt. In der Arena dieser Stadt wird der Kampf in zwei Wochen stattfinden. Dies ist der Kontext, für den das Plakat ursprünglich geschaffen wurde. Die Botschaft: „Besucht diesen Stierkampf, der hier in der Arena in zwei Wochen stattfindet“ wird verständlich, deutlich und auffällig publik gemacht. Um dies zu erreichen, war ein Kommunikationsdesigner beauftragt worden.
2. Das Plakat hängt wie oben beschrieben, der angekündigte Stierkampf hat jedoch bereits stattgefunden. In diesem Fall haben wir eine zeitliche Kontextänderung. Die Botschaft des Plakats hat sich inzwischen inhaltlich geändert; es verweist auf ein vergangenes Ereignis.
3. Das Plakat hängt in einem deutschen Reisebüro. Hier geht es nicht darum, Menschen dazu zu bewegen, den auf dem Plakat angekündigten Stierkampf zu besuchen. Die Botschaft ist allgemeiner gehalten. Sie lautet: „Deutsche, seht her, welch schöne Länder es in Europa gibt; Länder mit einer für euch exotischen Kultur. Verbringt doch den nächsten Urlaub einmal in Spanien!“
4. Das Plakat hängt im Schaufenster des Büros einer Tierschutzorganisation. Dieser Ort verkehrt die ursprüngliche Botschaft in ihr Gegenteil. Sie bezieht sich auch diesmal nicht auf den konkret angekündigten Stierkampf, sondern auf Stierkämpfe schlechthin. Die Mitteilung lautet jetzt: „Besucht solche Veranstaltungen nicht, denn dort werden Tiere zuerst gequält und anschließend getötet.“ Es handelt sich um eine Variante des italienkritischen Ornithologen-Slogans aus den 1970ern: „Wo Vogelmord, kein Urlaubsort“, mit dem Unterschied, dass im Fall des Stierkampfplakats eine vorgefundene, affirmative Werbemaßnahme umcodiert wurde.
5. Das Plakat wird im Kontext einer Ausstellung zum Thema „Stierkampfplakate“ gezeigt. Eine solche Ausstellung wird freilich kaum von Gegnern des Stierkampfes realisiert werden, sondern etwa von Kunsthistorikern, die zeigen wollen, dass die Tradition des Stierkampfplakats so etwas wie eine eigene Ikonografie hervorgebracht hat. Unser Plakat wäre in diesem Fall ein Beispiel für die eigene visuelle Sprache der Stierkampfplakate.
6. Das Plakat hängt in einer Ausstellung zum Thema „Das spanische Plakat heute“. In diesem Fall steht ein aktuelles nationales Designinteresse im Vordergrund. Auch hier dient das Plakat lediglich als Beispiel.
7. Das Plakat wird in einer Ausstellung zum Thema „Hemingway und seine Wirkung 1899–1999“ gezeigt. In diesem Kontext teilt uns das Plakat mit, dass es Hemingway war, der durch seine Romane Fiesta und Tod am Nachmittag den Stierkampf weit über die spanischen Grenzen hinaus bekannt gemacht hat.
8. Das Plakat hängt in einer Ausstellung, die das Œuvre des Plakatgestalters zeigt. In diesem Rahmen könnte die Botschaft zum Beispiel heißen: „Seht her, mit diesem Plakat beendete Plakatmacher X seine blaue Phase und begann, als dominante Farbe Rot einzusetzen.“
9. Das Plakat wird in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommen. Dieser Kontext macht sofort deutlich: dieses Plakat gehört zu den bedeutendsten der Welt.
10. Das Plakat hängt in einer spanischen Stadt, allerdings nicht an den offiziellen Anschlagstellen, denn die Europäische Union hat inzwischen ein europaweites Verbot von Stierkämpfen erlassen. Durch die veränderte Gesetzeslage verweist das Plakat jetzt auf eine illegale Veranstaltung. Die durch das Plakat vermittelte Aufforderung, die Veranstaltung zu besuchen, ist kriminell.
11. Das Plakat hängt in den Redaktionsräumen einer feministischen Zeitung. Auch hier verändert sich die Botschaft erheblich: „Seht her, die Männer definieren sich als Machos, indem sie Tiere töten, die in diesem ungleichen Kampf doch letztlich keine Chance haben.“
12. Es gibt mittlerweile aber auch ein paar weibliche Stierkämpfer, und wir nehmen an, in der Wohnung einer solchen hängt unser Plakat. Dann freilich heißt die Botschaft: „Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran! Seht her, ich, Frau X, bin in den Stierkampf, eine bislang reine Männerdomäne, eingebrochen.“
Soweit die Beispiele; die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Wichtig ist, zu sehen, dass der Kommunikationsgestalter nur bis zu einem gewissen Grad in der Lage ist, die zu übermittelnde Botschaft zu bestimmen. Prinzipiell können sich weitere Bedeutungen ergeben, die der Designer selbst nicht mehr in der Hand hat. So war eben der kommunikative Zweck des Stierkampfplakats ursprünglich der, für einen konkreten Stierkampf zu werben. Das dieses Plakat für eine Ausstellung „Das spanische Plakat heute“ ausgewählt wird und damit plötzlich einem nationalen Zweck dient, liegt nicht mehr in der Hand des Plakatgestalters, sondern in der der Ausstellungsorganisatoren. Auch die Verwendung des Plakats durch Tierschützer gibt ihm einen völlig neuen Zweck, der vom Plakatdesigner nicht beabsichtigt war. […]“