„Wir sind uns darüber klar, dass der Künstler, der in der Reklame tätig sein will, ein vielseitig erfahrener Fachmann des praktischen Lebens sein muss, der nicht nur sein handwerkliches Gebiet aufs Beste beherrschen, sondern auch befähigt sein muss, das wirtschaftliche Wollen geschäftlicher Unternehmungen vollauf zu würdigen und zu verstehen, damit Kaufmann und Künstler im Dienste der Reklame Werte schaffen, die der gesamten Volkswirtschaft zum Nutzen gereichen!“[1] So Julius Klinger, der diese Forderungen an einen Reklamekünstler in seinen eigenen Arbeiten konsequent umzusetzen wusste.
Der vielseitige Grafiker wurde am 22. Mai 1876 in Dornbach (heute Wien) geboren und erhielt seine Ausbildung zunächst am sogenannten „Technologischen Gewerbemuseum“ in Wien. An dieser höheren technischen Schule wurde er unter anderem in „gewerblichem Fachzeichnen“ unterrichtet, was offenbar später seinen präzisen Illustrationsstil beeinflusst hat.
1894 begann Julius Klinger für die Zeitschrift „Wiener Mode“ zu arbeiten. Über Vermittlung von Kolo Moser ging er 1896 nach München als Zeichner zu den „Meggendorfer Blättern“. 1897 übersiedelte er nach Berlin, wo er für die „Lustigen Blätter“ tätig war. Im selben Jahr entwarf er für „Das kleine Witzblatt“ sein erstes Plakat.
In seinen frühen Arbeiten war Klinger noch vom ornamentalen Jugendstil geprägt und hatte damit großen Erfolg. Mit zwei Musterbüchern zum Thema „modernes Ornament“ und einem Band über die „Grotesklinie“ bot er Vorlagen für Architekten, Illustratoren und für das Kunstgewerbe an. Doch bald wandte er sich vom Art nouveau ab und einer reduzierten Formensprache zu. Mit einer Gruppe junger Entwerfer, zur der auch Ernst Deutsch(-Dryden) gehörte, arbeitete Klinger im Auftrag der Berliner Druckerei „Hollerbaum & Schmidt“ an einer neuen und professionellen Plakatgestaltung. In den fast zwei Jahrzehnten seines Berlin-Aufenthaltes schuf er – wie er sich später erinnerte – „einige Tausend reproduzierte Arbeiten für Handel, Industrie und Gewerbe“.[2]
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs musste Julius Klinger zurück nach Wien, um seinen Militärdienst abzuleisten. Nach dem Krieg blieb Klinger in Wien und eröffnete dort ein Atelier. Trotz der wirtschaftlich angespannten Situation erhielt er eine Fülle interessanter Aufträge: Die Österreichische Nationalbank etwa betraute ihn mit der „Propagandaleitung und Anfertigung sämtlicher Drucksachen“, und im Jahr 1919 entwickelte er für Tabu-Zigarettenpapier eine so großflächige Kampagne, wie sie Wien noch nie gesehen hatte. Nicht nur Inserate und Plakate wurden dafür eingesetzt, sondern ganze Hausmauern bemalt. Daneben beschäftigte er sich auch immer wieder mit Buchgestaltung und Illustration.
In den 1920er Jahren wurden die Arbeiten Klingers noch reduzierter, was Farben und Formen betrifft – oft wählte er nur noch typografische Lösungen. 1923 gab Julius Klinger unter dem Titel „Poster Art in Vienna“ ein Musterbuch für diese neue Art funktionalistischer Werbegestaltung heraus. Das Buch, das neben Klingers Arbeiten unter anderem Entwürfe von Hermann Kosel und Wilhelm Willrab enthält, war für den englischsprachigen Markt gedacht.
Im Dezember 1924 hielt Julius Klinger im Wiener Konzerthaus einen großen Vortrag zum Thema „Das Chaos der Künste“, den er auch in einem eigenen Büchlein veröffentlichte. In seiner deutlich von Adolf Loos beeinflussten Rede bewies Klinger wieder seine Amerika-Begeisterung: „Wir, eine kleine Gruppe in Wien Geborener, die, trotzdem sie diese Stadt bewohnen, dem kosmopolitischen Leben nicht entsagen wollen, erhoffen: Das alte, müde Europa werde am frischen AMERIKANISCHEN Wesen genesen. Wir sind von dem Glauben an unsere Zeit voll und ganz erfüllt. Wir können den reinen Stil, den diese Zeit der fortschreitenden Mechanisierung der Welt dankt, klar erkennen, wir fühlen den inneren, vollwertigen Gehalt dieser Epoche, ohne deshalb einem rosaroten Scheinidealismus zu erliegen.“[3]
Nach einer längeren USA-Reise in den Jahren 1928/29 kehrte Klinger allerdings enttäuscht wieder nach Österreich zurück. Einen beachtlichen internationalen Erfolg hingegen konnte Julius Klinger im Jahr 1929 mit einem Plakatauftrag der Londoner Underground verzeichnen.[4]
Nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938 unterlag Julius Klinger als Jude einem Berufsverbot. Am 2. Juni 1942 wurde er gemeinsam mit seiner Frau Emilie festgenommen, nach Maly Trostinec bei Minsk deportiert und kurz darauf ermordet. Als Tag des Todes gilt der 9. Juni 1942.[5] Auch Klinger gehört somit zu jenen vielen Persönlichkeiten, die vom nationalsozialistischen Terrorregime nicht nur physisch vernichtet wurden, sondern auch der entsprechenden Anerkennung und Würdigung ihrer Leistungen für lange Zeit beraubt wurden.
Aktualisierte Fassung vom 7. Juli 2022.
[1] Klinger, Julius: Reklame und Kunst – Kaufmann und Künstler, in: Das Plakat, 1912/4, S. 144.
[2] Kühnel, Anita: Julius Klinger. Plakatkünstler und Zeichner, Berlin 1997, S. 23.
[3] Klinger, Julius: Das Chaos der Künste. Ein Vortrag gehalten am 21. Dezember 1924 im Wiener Konzerthaus, Wien 1925, S. 4f.
[4] Österreichische Reklame, 1929/8, S. 10.
[5] Maryška, Christian: Julius Klinger und der Weg in die Vernichtung, in: Denscher, Bernhard (Hrsg.): Werbung, Kunst und Medien in Wien (1888–1938), Wolkersdorf 2021, S. 187.