Seit einiger Zeit wird der „Weltspiegel“, eine Beilage des „Berliner Tageblatts“, in Kupfertiefdruck hergestellt. „Die Schönheit“, sagt der Verlag, „und die künstlerische Wiedergabe dieser Bilder erfüllen den Beschauer mit Entzücken.“
Es ist hier nicht meine Aufgabe, festzustellen, welche Bilder den Kunstfreund mit Entzücken erfüllen, wie dieses Blatt systematisch dem Beschauer die Wahl zwischen Kitsch und Klitsch läßt … es handelt sich hier um das gepriesene Verfahren.
Als vor etwa einem Jahr Organe der Tagespresse (das „Hamburger Fremdenblatt“ z.B.) begannen, mit Mertens-Tiefdruck zu arbeiten, war man überrascht. Abgesehen von üblen Zeichnungen hatten Tagesblätter in Deutschland bis jetzt nur schüchtern versucht, Fotografien zu bringen, und diese Schüchternheit hatte ihren guten Grund. Der weiße Untergrund kam durch, immer war die Struktur durch das Bild erkennbar – es war nichts.
Anders bei dem neuen Verfahren. Klar und fein nuanciert kamen die Illustrationen, manche muteten an wie die besten Ausführungen eines Fotografen. Auf Zeitungspapier. Auf diesem faserigen dünnen Papier, das kaum auf Strichätzungen, auf Reproduktionen von Zeichnungen angewiesen war, sondern auf aktuelle Fotografien. Nochmals: auf Zeitungspapier. Es lag kein Grund vor, dieses Verfahren bei dem Druck eines Blattes anzuwenden, das nicht nur Fotografien brachte, sondern auch Strichätzungen, Zeichnungen, dergleichen … Ein Blatt, das auf seinem kunstdruckartigen Papier bis jetzt sehr gut mit der Reproduktion von Fotografien ausgekommen war.
Aber das neue Verfahren hatte ja nicht nur einen minimalen Fortschritt in der Schärfe, sondern vor allem: den braunen Ton! Diesen verfluchten braunen Ton, der so schön in die Augen sticht, und bei dem der „kunstfreundliche Beschauer“ gar nicht mehr anders kann als an das denken, was er so unter „Kunst“ versteht … Der braune Ton, der die Dinge so schön unnatürlich, ach Gott so künstlerisch erscheinen läßt, der einzige braune Ton! –
Die Fotografien kommen also nunmehr ein wenig schärfer als früher, aber sie haben alle etwas Unangenehmes, sie prätendieren alle, „Kunstaufnahmen“ zu sein, sie sehen – aufgenommen von gleichgültigen Angestellten großer Illustrationsbüros – liebevoll aus, von einer gewissen falschen Intimität, wie ein individuelles Hotelzimmer, das doch jedem zu dienen hat …
Strichätzungen kommen gar nicht heraus. Die Striche verlieren an Feinheit, dass es ein Graus ist, es sind lange Flächen geworden, keiner fügt sich mehr zum andern, und klotzig scheinen sie hingeschmiert … Ein Vergleich lehrte das: der „Weltspiegel“ druckte eine Zeichnung des wundervoll grotesken Robinson nach, die in dem „Sketsch“ gestanden hatte: dort fein, lustig, gestrichelt, fleißig – hier dick, unförmlich, wirkungslos. (Übrigens zeigt auch die Tiefdruckbeilage des „Sketsch“, dass auf diesem Papier das Verfahren unnötig und kitschig ist.)
Aber eins kommt doch, für eines ist das Verfahren wie geschaffen:
Das ist das Odolmädchen mit dem tiefschwarzen Hintergrund und den blendendweißen Zähnen. Das ist die Biomalzjungfrau mit dem dunklen Gewande und den weißen Händchen, das sind alle holden Frauengestalten, die die minderwertige Reklame von sich gibt – sie leben erst wahrhaft auf im Tiefdruck auf dem glatten Papier, sie, die man schon gestorben wähnte, steigen aus den Gräbern, lächeln hold und verführerisch und zeigen uns die Prächte des Tiefdrucks und seines Verlages. Das ist so etwas für den Tiefdruck. Der Kitsch. Der flächige, nuancenlose, nur in den Kontrasten schwarz-weiß schwelgende Kitsch. Hier ist sein ureigenstes Gebiet.
So eine süße Sonne, die durch ein Wolkenmeer leuchtet, was sage ich: strahlt! – das ist es. Die Sonne ist übrigens auf der Rückseite einer neuen Zeitschrift, die sich mit viel Tamtam in Szene setzt: „Seidels Reklame“. Auch sie gibt einen Beweis, dass das Tiefdruckverfahren maßlos überschätzt wird. Auch hier kommt wieder in technischem Sinne am besten der Kitsch. Dunkle, bräunliche Flächen, Fleckwirkungen, irgendwelche belanglosen Einzelheiten scharf, der Rest verschwommen – es ist nichts. (Außerdem ist hier das Verfahren nicht so gut durchgearbeitet wie beim „Weltspiegel“. Eine Nummer erschien infolgedessen zu spät, und der Rand des Umschlags wurde ein Fiasko.) Die Zeitschrift ist mehr als mäßig: oft gebrachtes und längst bekanntes Material, schlechter Text, darunter eine Polemik gegen ein noch nicht erschienenes Buch von Ruben „Die Reklame“. Wenn ein Kaufmann wie Seidel die Feder eintaucht, macht er sich die Finger schmutzig; wer aus irgendwelchen konkurrenzlichen Gründen neidisch ist, darf keine unsachlichen Kritiken über eine Sache schreiben, die noch nicht einmal vollständig vorliegt. Was den Tiefdruck angeht: hier hat er versagt, bei Mosse hat er versagt. Und wenn sich der Verlag noch so viel Gutachten zusammenholt, und es sind Leute darunter wie Behrens und Klinger … es geht nicht. Gott weiß, warum jene das von sich gegeben haben, vielleicht glauben sie es sich … es geht nicht.
Der Tiefdruck ist eine schöne Sache, um auf Zeitungspapier Fotografien zu reproduzieren, was man bisher nicht konnte – mehr nicht.
Das Plakat, 31.5.1913, Nr. 3, S. 141.