„In Österreich weltbekannt“ lautet der Titel eines 1992 erschienenen Romans von Stephan Eibel Erzberg. Das seitdem immer wieder zitierte Paradoxon trifft auf vieles zu, aber sicher nicht auf die Situation des österreichischen Grafikdesigns – denn hier verhält sich die Sache eher umgekehrt. Aus Österreich stammende Designerinnen und Designer haben zweifellos wesentliche Impulse zur Entwicklung einer modernen, internationalen visuellen Massenkommunikation geleistet, doch die entsprechende Anerkennung für diese Leistungen lässt gerade hierzulande oft mehr als zu wünschen übrig. „Bekannte Unbekannte“ habe ich deshalb einmal die österreichischen Grafikdesigner des 20. Jahrhunderts genannt, und Nora Stögerer hat unter diesem Zitat-Titel ein sehr lesenswertes Buch verfasst. In diesem Sinne könnte man das Eibelsche Paradoxon umdrehen und bezüglich des heimischen Grafikdesigns sagen: „Nicht in Österreich, doch in der Welt weltbekannt“. Denn viele dieser Grafikerinnen und Grafiker haben erst im Rahmen ihrer Tätigkeit im Ausland die ihnen gebührende Anerkennung erhalten.
Anhand einiger ausgesuchter Biografien soll hier der Stellenwert dieser herausragenden Leistungen exemplarisch dargelegt werden. Gleichzeitig wird dabei erschreckend deutlich, wie viel kreatives Potential durch Ermordung und Vertreibung durch die nationalsozialistischen Machthaber für Österreich verlorenging. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist Julius Klinger: Er wurde im Jahr 1876 in Wien geboren und absolvierte eine technische Ausbildung am sogenannten „Technologischen Gewerbemuseum“ in Wien. 1894 begann er für die Zeitschrift „Wiener Mode“ als Illustrator zu arbeiten. Über Vermittlung von Kolo Moser ging Klinger 1896 nach München und arbeitete dort als Zeichner für verschiedene Zeitschriften. 1897 übersiedelte er nach Berlin, wo er zu einer Gruppe junger Grafiker stieß, die gemeinsam mit der Berliner Druckerei „Hollerbaum & Schmidt“ das neue, wirkungsvolle „Sachplakat“ entwickelten.
Klinger musste im Ersten Weltkrieg nach Wien zurück, wo er dann in der Zwischenkriegszeit sehr erfolgreich ein Reklame-Atelier sowie eine Schule für Grafikdesign führte. Mit einigen Schülern und Mitstreitern, wie etwa Hermann Kosel, Rolf Frey und Wilhelm Willrab, gab Klinger im Jahr 1923 den elegant gestalteten Band „Poster Art in Vienna“ heraus. Die in englischer Sprache veröffentlichte Publikation präsentierte den von Klingers Reduktionismus geprägten „Wiener Stil“ einem internationalen Publikum. Der Band wurde dabei selbst zu einer Art „Musterbuch“ für avantgardistische Buchgestaltung. Julius Klinger war jedoch nicht nur ein kompetenter Buch-, sondern auch ein bemerkenswerter Schriftgestalter: In den Jahren 1912/1913 hatte er eine eigene Schrift unter dem Namen „Klinger-Antiqua“ entworfen, die allerdings erst im Jahr 1920 herauskam. 1927 veröffentlichte Klinger die gemeinsam mit Wilhelm Willrab und Otto Frey erarbeitete „Klinger Type“.
Klingers letztes in Wien entstandenes Plakat zeigt ebenfalls eine rein typografische Lösung: In aus heutiger Sicht tragischer Weise wurde da mit einem Ankerbrot-Plakat das Jahr 1938 begrüßt. Ab März 1938 war Julius Klinger aufgrund des „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wie alle Juden den Grausamkeiten des Regimes ausgesetzt. Im Juni 1942 wurde er gemeinsam mit seiner Frau Emilie inhaftiert und bald danach im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet.
Die Erinnerung an Klingers Werk wurde und wird außerhalb Österreichs intensiver gepflegt als hierzulande: 1997 gab es in der Berliner Kunstbibliothek eine umfangreiche Personale, 2016 brachte Karen Etingin, die Inhaberin einer Montrealer Plakatgalerie, eine umfangreiche Klinger-Monografie heraus. Und von Oktober 2017 bis April 2018 ist im Wolfsonian in Miami Beach eine vom britische Designhistoriker Jeremy Aynsley kuratierte Ausstellung über Julius Klinger unter dem Titel „Posters for a Modern Age“ zu sehen.
Ein ebenfalls sehr erfolgreicher Vertreter der Wiener Kunstszene war der 1878 in Wien geborene Carl Otto Czeschka. Er arbeitete nach seiner Ausbildung an der Akademie zunächst als Lehrer an der Kunstgewerbeschule und wurde 1905 Mitarbeiter der Wiener Werkstätte. Daneben war Czeschka auch ein sehr produktiver Grafiker, der unter anderem die berühmten Illustrationen zu dem 1908 erschienenen „Nibelungen“-Buch schuf.
1907 wurde Czeschka als Professor an die Kunstgewerbeschule in Hamburg berufen. Dort lehrte er bis 1943 und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1960 in der Hansestadt. Neben seiner Lehrtätigkeit entfaltete Czeschka ein reiches Schaffen als Gestalter. Sein diesbezügliches Spektrum reichte von Glasfenstern über Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen bis zu einer Vielzahl von grafischen Arbeiten. So zeichnete Czeschka unter anderem rund vierzig Jahre lang für die Produkt- und Ladengestaltung der Hamburger Zigarrenfirma L. Wolff verantwortlich. Er entwarf auch Schriften, und dieses Interesse für Typografie führte zu seiner wohl prominentesten Arbeit: Es ist die Titel-Gestaltung für die 1946 gegründete Wochenzeitung „Die Zeit“. Als Vorbild für das Signet sollte die Londoner Times dienen, die in der Mitte das Wappen des Vereinigten Königreiches enthält. Deshalb hatte Czeschka in die erste Ausgabe der „Zeit“ das leicht veränderte Wappen Hamburgs eingefügt. Da jedoch die Stadt Hamburg die Verwendung ihres Hoheitszeichens verbot, wurde ab der Nummer 19 das Bremer Stadtsymbol mit dem Schlüssel eingefügt und bis heute unverändert beibehalten.
So wie Julius Klinger gehörte der 1887 in Wien geborene Ernst Deutsch, der sich später Dryden nannte, zu den Protagonisten des modernen Berliner Sachplakates.
Sein bewegtes Berufsleben und die politischen Wirren seiner Zeit führten Deutsch von Wien nach Berlin, im Ersten Weltkrieg wieder zurück nach Österreich, später dann nach Paris und anschließend in die USA. Wahrscheinlich aufgrund von in Berlin erhobenen Plagiatsvorwürfen nannte sich Deutsch ab 1919 Dryden und startete unter diesem Namen in Wien eine neue, erfolgreiche Laufbahn. 1926 übernahm Dryden die künstlerische Leitung der im deutschen Ullstein Verlag erscheinenden Modezeitschrift „Die Dame“. Aus diesem Grund lebte er von da an bis 1933 hauptsächlich in Paris, um von hier aus über die aktuellsten Trends berichten zu können. Neben Modezeichnungen entwarf Dryden Inserate, Plakate, Buchumschläge und Verpackungen. Auch viele Titelblätter der populären Schlager der 1920er und 1930er Jahre tragen seine Signatur.
1933 ging er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland in die USA, wo er nach einem Zwischenstopp in New York in Hollywood erfolgreich den Schritt vom Modezeichner zum Modeschöpfer vollziehen konnte. So zeichnete er für die Kostüme zahlreicher Filme verantwortlich, unter anderem für „The Garden of Allah“ (1936) mit Marlene Dietrich, „Lost Horizon“ (1937) oder „The Prisoner of Zenda“ (1937).
Am 16. März 1938 starb Dryden mit 51 Jahren in seiner Villa in Hollywood. Todesursache war Herzversagen, das, so wird berichtet, durch die Aufregung über die Nachricht vom „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland ausgelöst wurde.
Auch Robert Haas war einer jener Künstler, die vor den Nazis fliehen mussten, und auch er fand ein Exil in den Vereinigten Staaten. Haas wurde 1898 in Wien geboren und studierte von 1920 bis 1923 an der Kunstgewerbeschule bei Rudolf Larisch Schrift, Typenkunde und Heraldik. 1925 gründete er gemeinsam mit Carry Hauser und Fritz Siegel das grafische Atelier und die Handpresse „Officina Vindobonensis“, die sich auf bibliophile Buchausgaben spezialisierte. Daneben gestaltete Robert Haas als Kalligraf prunkvolle Urkunden und war auch als Gebrauchsgrafiker in vielfältiger Weise produktiv. Von 1929 bis 1931studierte er bei Trude Fleischmann Fotografie und hatte auch in diesem Bereich bald beachtlichen Erfolg. So war er unter anderem von 1936 bis 1937 als offizieller Fotograf bei den Salzburger Festspielen tätig.
Im September 1938 emigrierte er über eine Zwischenstation in London in die USA. Neben seiner fotografischen Arbeit blieb Robert Haas auch in Amerika der Typografie und der Kalligrafie weiterhin verbunden und gründete nach dem Vorbild der „Officina Vindobonensis“ in New York die auf künstlerische Druckwerke spezialisierte „Ram Press“. Zu seinen Kunden gehörten vor allem renommierte Kulturinstitutionen, wie etwa das Guggenheim Museum. Im Jahr 1997 verstarb Robert Haas 99-jährig in Valhalla bei New York.
Der 1898 in Wien geborene Joseph Binder hatte ebenfalls großen Erfolg in den USA. Nach einer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule war er zunächst in einer Ateliergemeinschaft tätig, bis er sich 1924 mit einem eigenen Studio selbständig machte. Schnell hatte er große Erfolge mit Plakaten für Firmen wie Meinl und Arabia, aber auch im Kulturbereich war er ein gesuchter Designer. Bald wurden seine Arbeiten international wahrgenommen und in angesehenen Fachmagazinen publiziert. So vermerkte das deutsche Magazin „Gebrauchsgraphik“ im Jahr 1928 über Joseph Binder: „Er ist der geborene Plakat-Künstler. Für jede Aufgabe gelang ihm die Reduktion einer beherrschten Form, das erste Gesetz jeder Plakat-Kunst, optische Vereinfachung und rasche Erfassungsmöglichkeit.“
1936 gingen Joseph Binder und seine Frau Carla nach New York, wo sie sehr erfolgreich ein Grafikstudio führten. Binder bewies auch da sein breites Gestaltungpotential, das von Firmenlogos über Inserate und Plakate bis zu Zeitschriftencovers reichte. 1948 wurde er Art Director der U.S. Navy und behielt diese Funktion bis zu seiner Pensionierung bei. 1963 beendete Binder seine Karriere als Grafikdesigner und widmete sich von nun an der sogenannten Freien Kunst, wobei er es auch in diesem Bereich zu hoher Anerkennung brachte. Im Jahr 1972 verstarb Joseph Binder in Wien, wo er gerade mit dem Ausstellungsaufbau seiner Bilder im „Museum für angewandte Kunst“ beschäftigt war.
Joseph Binders Arbeit hatte einen deutlichen Einfluss auf den „American Modernism“, der generell sehr wesentlich von Emigranten aus Deutschland und Österreich mitentwickelt worden war und dann wiederum nach 1945 als „Internationale Moderne“ in Europa rezipiert wurde. Zu den Protagonisten dieses „American Modernism“ gehört auch eine Gruppe von österreichischen Designerinnen und Designern zu, die gar nicht dazu kamen, ihren Beruf in ihrem Geburtsland auszuüben, weil sie dazu noch zu jung waren, als sie mit ihren Eltern ins Exil fliehen mussten.
Eine beeindruckende Frau aus dieser Gruppe war Dorrit Dekk: Als Dorothea Fuhrmann 1917 in Brünn geboren, übersiedelte sie mit vier Jahren mit ihrer Familie nach Wien. Von 1936 bis 1938 besuchte sie die Klasse für Bühnenbild bei Otto Niedermoser an der Kunstgewerbeschule. 1938 emigrierte sie nach London und studierte dort an der Reimann School. Nach dem Ende des Krieges arbeitete Dorrit Dekk zunächst als Plakatgrafikerin für das Central Office of Information. Nach einem Jahr in Kapstadt als Bühnenbildnerin und Illustratorin war sie ab 1949 wieder in England als selbständige Grafikerin tätig. Bald hatte sie sich einen illustren Kundenkreis aufgebaut, zu dem unter anderem Air France, London Transport und Penguin Books gehörten. Als Dorrit Dekk im Jahr 2014 97-jährig verstarb, widmete ihr unter anderem der „Guardian“ einen Nachruf, in dem es hieß: „Her youthful passion, indomitable spirit and sharp wit stayed with her until the end. She was indeed a rarity.“
Susi Hochstimm wurde 1920 in Wien geboren und erhielt ihre Ausbildung an der „Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt“ in der Sektion Fotografie. Schon ihre frühen Wiener Arbeiten bewiesen ihre künstlerische Begabung. Noch vor Abschluss ihrer Ausbildung musste sie mit ihrer Familie vor den Nazi-Machthabern fliehen. Nach Aufenthalten in Brasilien und Bolivien kam Susi Hochstimm schließlich 1941 nach Argentinien, wo sie bis heute lebt. Über vierzig Jahre lang war Hochstimm in Buenos Aires im Bereich des Zeitschriften-Designs tätig. Eine besondere Bedeutung erlangte sie darüber hinaus mit den von ihr verfassten und illustrierten Kinderbüchern, mit denen sie neue künstlerische Akzente für Lateinamerika setzen konnte. Als freie Künstlerin gestaltete sie überdies interessante groteske Collagen, die von der mittlerweile 97-jährigen nach wie vor auf Facebook, Instagram und Flickr publiziert werden.
Henry Steiner wurde 1934 in Wien geboren und musste im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus Österreich flüchten und in die USA emigrieren. Seine Ausbildung als Grafikdesigner erhielt Steiner an der Yale University bei Paul Rand und später in Paris an der Sorbonne. Nach seinen beruflichen Anfängen bei einer New Yorker Werbeagentur erhielt er das Angebot, dem in Hongkong erscheinenden „Asia Magazine“ ein attraktiveres Erscheinungsbild zu geben. Henry Steiner blieb in der Folge in Hongkong und gründete dort 1964 ein bis heute bestehendes Grafikstudio, mit dem er einer der Pioniere modernen Grafikdesigns im ostasiatischen Raum wurde. Seine hauptsächlichen Tätigkeitsfelder waren und sind dabei „branding and corporate identity“ sowie Banknotendesign. In einem Interview mit Jianping He, das auch auf AUSTRIAN POSTERS nachzulesen ist, nannte Steiner als eines seiner Vorbilder Henry Wolf, wegen seiner – wie er meinte – „very ‘weanerisch‘ sensibility“. Auch Wolf war geborener Wiener, musste als Jugendlicher Österreich verlassen und wurde in New York ein sehr erfolgreicher Zeitschriftendesigner und Fotograf. Doch welches österreichisches Museum hat sich – so wie um die meisten anderen hier Genannten – je für ihn und sein Werk interessiert? Biografien wie diese wesentlich stärker wahrzunehmen, als dies in Österreich bislang geschehen ist, sollte im Sinne der geschichtlichen Wahrheit, aber auch eines historisch geschärften gestalterischen Bewusstseins forciert werden. Die von designaustria herausgegebene Monografienserie „|design|er|leben|“, in der Brigitte Willinger gerade einen Band über Henry Steiner herausgebracht hat, liefert dazu einen wertvollen Beitrag.
Denscher, Bernhard, Österreichisches Grafikdesign: Nicht in Österreich, doch in der Welt weltbekannt, in: designaustria-Mitteilungen 2017/3, S. 8–11.