Einem wichtigen Thema der Werbegeschichte ist das Buch „Zwischen Verklärung und Verführung“ von Barbara Martin gewidmet. Es geht bei der Publikation um „Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts“ – so der Untertitel der Neuerscheinung. Die Autorin bietet in ihrer erst kürzlich im Druck vorgelegten Dissertation eine bemerkenswerte und tiefgehende Analyse des Bildes der Frau in der Werbung. Auch wenn die Arbeit einem zeitlich und geografisch genau umgrenzten Bereich gewidmet ist, so gibt die Untersuchung doch auch Aufschlüsse über generelle geschlechtsspezifische Rollenbilder, die bis heute Aktualität besitzen.
Die Autorin demonstriert mit ihrer Arbeit in überzeugender Weise, welch hervorragende historische Quellen Plakate sein können, wenn man deren Dokumentarcharakter auch entsprechend zu analysieren weiß. So vermerkt Barbara Martin in der Einleitung zu der Publikation treffend: „Nicht nur die Mentalität ihrer Epoche, die jeweiligen Wünsche und Idealvorstellungen bilden Plakate ab, im Hinblick auf ihre Werbefunktion suchen sie zudem neue Wunschbilder zu generieren – in ihrer Frühzeit wie auch heute noch primär transportiert über weibliche Figuren.“
Es ist schon erstaunlich, dass zu dem Themenkreis der „werbenden Weiblichkeit“ bis dato relativ wenig publiziert wurde – und wenn doch, dann vorwiegend aus einer männlich-affirmativen Sicht. Ausnahmen bilden kritische Auseinandersetzungen mit frauenbezogener Werbung, wie etwa das von Heide Hering 1979 herausgegebene „häßliche Bilderbuch“ „Weibs-Bilder. Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau“ oder – aus österreichischer Sicht – der Ausstellungskatalog „Die Frau im Korsett. Wiener Frauenalltag zwischen Klischee und Wirklichkeit“ aus dem Jahr 1985. Eine kulturhistorisch etwas ambitioniertere Sicht bietet auch der 1994 publizierte Katalog zur Plakatausstellung des Suntory Museums in Osaka unter dem Titel „Women of the Century“.
Doch in der enzyklopädischen Tiefe, wie sie nun Barbara Martin mit ihrer Untersuchung zum Frauenbild in der französischen Plakatkunst ausgelotet hat, gab es bis dato nichts Vergleichbares. Das Thema wird bei Martin nicht bloß beleuchtet, sondern gründlich ausgeleuchtet: Die einzelnen Kapitel des Buches sind dabei der „Frau im häuslichen Umfeld“, dem Typ der „Parisienne“, den Tänzerinnen und Performerinnen, der „Femme fragile“ – als das „entrückte Ideal“ –, der weiblichen „Gestalt im Kontext der Allegorie“, der „Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat“, dem „Plakat im Kontext der ‚sozialen Frage‘“, dem Thema „Weibliche Erotik als Werbestrategie“ und den „Frauenfiguren als künstlerischer ‚Markenzeichen‘“ gewidmet, um dann zur Konklusion zu kommen: „Die vorliegende Untersuchung zeigt, wie vielfältig die Erscheinungsformen von Frauen in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts sind: von der fürsorglichen Mutter und Hausfrau, die ganz dem gesellschaftlichen Rollenideal der damaligen Zeit entspricht, über die modische Parisienne, die zu einer Symbolfigur französischen Geschmacks stilisiert wurde, bis hin zu gänzlich realitätsfernen Idealfiguren wie der ätherisch-vergeistigten femme fragile oder der exotischen Verführerin.“
Die Arbeit von Barbara Martin bietet nicht nur wertvolle Analysen zu genderspezifischen Aspekten, sondern geht ebenso auf das sozial- und wirtschaftshistorische sowie das mediengeschichtliche Umfeld der besprochenen Plakate ein. Da es sich bei den Urhebern der thematisierten Arbeiten um prominente Vertreter der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts, wie etwa Jules Chéret, Henri de Toulouse-Lautrec, Alphonse Mucha, Théophile-Alexandre Steinlen oder Jules-Alexandre Grün, handelt, bietet die Autorin immer wieder aufschlussreiche Ausführungen zum kunsthistorischen Kontext der präsentierten Plakate.
Barbara Martins Buch „Zwischen Verklärung und Verführung“ ist eine erfreuliche und qualitätsvolle Bereicherung der Literatur zu den Themenfeldern Plakatgeschichte und Gender Studies.
Martin, Barbara: Zwischen Verklärung und Verführung. Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts, Bielefeld 2016.