Auktion Schreiber. Blockbuch der Apokalypse, um 1440 entstanden, 86 000 Kronen. Bietet niemand mehr? Also 86 000 Kronen zum dritten- und letzenmal. Mit 10 Proz. Zuschlag 94 000 Kronen. Allgemeine Aufregung, so daß der Auktionsleiter eine Pause eintreten läßt. Wer ist der Käufer? Ein allen unbekannter Mann. Er schreitet von seinem Platz am untersten Teil der Tafel zu Danlos, dem Pariser Antiquar, dem bekannten Vertreter des Pariser Rothschild, und legitimiert sich. Rothschild hat, um den Schatz sicher zu erhalten, nicht einen, sondern gleich zwei Vertreter nach Wien gesandt, die einander gar nicht gekannt haben. Danlos hatte ein Limito, der andere nicht.
Wer nun in der Zeitung liest, dass bei der Versteigerung einer kostbaren Sammlung derart fabelhafte Preise erzielt worden sind, während der Vorbesitzer das Objekt vor Dezennien nur um einige Taler erworben hat, wird von Neid beschlichen. Er denkt sich, auch das Sammlerhandwerk habe einen goldenen Boden. Sieht man aber die Sache näher an, so schaut sie ganz anders aus. Vor allem ist es nicht immer der Sammler, der bei einer solchen Auktion das große Geschäft macht. Der Zwischenhändler, Antiquar, Buch- oder Kunsthändler hat sich ja für alle Fälle den Ersatz der Spesen gesichert, sich vor jedem Risiko geschützt, oft aber in voller Kenntnis des Werts, das Objekt fest, aber sehr billig erworben. Indessen kommt es doch auch vor, daß der Sammler selbst von so mancher großen Wertsteigerung ausgiebig profitiert, und das ist nur recht und billig. Denn der ernste Sammler verfügt fast immer über große fachwissenschaftliche Kenntnisse, hat unglaublich viel Zeit verwendet, um die einschlägige Literatur vorerst überhaupt zu erfahren – da diese Literatur zumeist im Buchhandel vergriffen und nur sehr schwer an den verschiedensten Orten aufzutreiben ist – zu suchen, zu finden, zu studieren. Er muß auch fortlaufend Auktions- und Antiquariatskataloge sich zu verschaffen wissen, Notizen über Preise zu erfahren suchen, in Evidenz halten, Verbindungen mit anderen Sammlern, besonders aber mit Händlern dauernd aufrecht halten. Letzteres geht auch nur dann, wenn er in nicht allzu langen Intervallen wirklich kauft. Welche Zeit, welche Geduld, welche jahre- und dezennienlange Arbeit, Ausdauer und Beharrlichkeit, dann wie viele materielle Opfer und Enttäuschungen dazu gehören, um eine wertvolle Sammlung auf was immer für einem Gebiet zusammenzubringen, das weiß nur derjenige zu beurteilen, der selbst Museumsleiter, Bibliotheksvorstand oder Privatsammler ist. Das Gebiet des Kunst- und Buchsammelns ist heute so unendlich groß, daß es wohl niemand voll beherrschen kann und daß auch hier schon eine Arbeitsteilung notwendig ist. Was ein Antiquar und Antiquitätenhändler aber immer besitzt, ist große Menschenkenntnis. Wie oft kommt es vor, daß der Händler von einem Verkaufsobjekt nicht mehr weiß als den Preis, den er selbst dafür gezahlt hat. Den wirklichen Wert und Preis muß ihm erst die Miene des Käufers verraten. Zeigt der Käufer, daß er die Sache durchaus haben will, dann kostet sie vielleicht eine ganz unmögliche Summe. Also der richtige Sammler ist immer auf dem Kriegspfade. Und wenn der Sammler irgend einmal wirklich etwas sehr Wertvolles billig erworben hat, wenn er es lange festhält und nicht hergibt, dann endlich von einer Wertsteigerung Nutzen zieht – wie oft und oft ist er vorher bei anderen Einkäufen übervorteilt worden! Wie oft hat er bei anderen Objekten den wahren Wert nicht erkannt und sie verschleudert! Und doch welche Freude bietet die Sammlerleidenschaft! Charles Nodier hat sie mit Recht eine der schönsten Freuden des menschlichen Lebens genannt. Alfred Lichtwark hat aber gesagt, daß, wer auf irgendeinem Gebiete ernstlich zu sammeln angefangen hat, eine Wandlung in seiner Seele anheben spürt, die ihn zu einem freudigeren, von lebendigerer Teilnahme, von offenem Verständnis für die Erscheinungen des Lebens bewegten Menschen macht. Über sich selbst hinauswirkend hat sich der Sammler als den unentbehrlichen Untergrund alles künstlerischen Schaffens bewiesen und als Anregungszentrum seines Lebenskreises hilft er die Kraft des Künstlers, die sich in tausend Kultur- und Wirtschaftswerte umsetzt, auf das ganze Volk überleiten. Man denke an die reine, ungetrübte Freude des Sammlers, der irgend einmal eine Erstausgabe der Klassiker, z.B. der Räuber, oder eine alte deutsche Bibel oder gar einen Meister E. S. geerbt oder vielleicht um ein Butterbrot erworben hatte, so oft er sieht, unter welchen Bedingungen diese Raritäten jetzt den Besitzer wechseln. Und welches Hochgefühl beschleicht den Sammler, der sich durch viele Jahre um den Erwerb irgendeiner Rarität bemüht hat, wenn ihm endlich der große Wurf gelingt und er sie endlich erwirbt! Wie aber auch heute noch unter unseren Augen fortdauernd Gemeingut zur Rarität wird, das möge ein kleines persönliches Erlebnis illustrieren:
Gibt es etwas Minderwertigeres als ein Plakat? Zahlt man doch heute gewöhnlich viel Geld dafür, um es überhaupt an der Straßenmauer anbringen zu dürfen! Und doch gibt es auch in Österreich Künstlerplakate, Blätter, die von wirklichen Künstlern erfunden und ausgeführt, graphische Kunstblätter sind. Und das Sammeln von Künstlerplakaten ist für die Geschichte der graphischen Künste, oft für die allgemeine Sitten- und Kulturgeschichte von großer Bedeutung. Über diese letzte, allerjüngste graphische Kunstform ist die Literatur noch gering. Unter deutschen Werken steht Sponsels „Das moderne Plakat“ und Zur Westens „Reklamekunst“ obenan. Beide Autoren bezeichnen als das erste österreichische Künstlerplakat das von Hans Makart entworfene Blatt für die Wiener Kunstausstellung 1873. Also dieses Plakat wird gesucht. 1873! Wiener Weltausstellung! Davon mußten damals hunderttausend Exemplare gedruckt worden sein! Die ersten noch ganz optimistischen Schritte blieben ganz erfolglos, denn unsere öffentlichen Sammlungen, das Kupferstichkabinet der k.k. Hofbibliothek, die Universitätsbibliothek, die Bibliothek der Akademie der bildenden Künste, die Albertina, die Bibliothek des österreichischen Museums haben keine Plakate gesammelt. Also führt der Weg ins Künstlerhaus. Gab es doch damals nur die Künstlergenossenschaft. Der verdienstvolle und liebenswürdige Sekretär der Künstlergenossenschaft bringt die entgegenkommendste, ja aufopfernde Unterstützung. Das Plakat ist schon von vielen Seiten, besonders vom Auslande her gesucht worden, wurde aber nicht gefunden, denn kein einziges Exemplar sei aufgehoben worden! Alle Akten der Wiener Weltausstellung 1873 werden auf das sorgfältigste durchstudiert, ob sich nicht irgendwo wenigstens eine Rechnung findet, z.B. von jenem Drucker, der damals die Druckkosten geliefert hatte, damit doch wenigstens der Name des Druckers eruiert werde, der wahrscheinlich auch das Plakat gedruckt hat. Nichts! Nach dem Preßgesetz mußten schon damals vier Pflichtexemplare abgeliefert werden, an die Hofbibliothek, an die Universitätsbibliothek, an die Staatsanwaltschaft und an das Preßdepartement der Polizeidirektion. Also nachdem in der Hofbibliothek und Universitätsbibliothek schon vergeblich gesucht worden war, werden nun die Staatsanwaltschaft und die Polizeidirektion behelligt. Nichts! Alles schon lange eingestampft! Plötzlich kommt ein wohlwollender Rat seitens des befreundeten Kunstreferenten einer großen Wiener Tageszeitung. Alles was irgendwie mit der Wiener Weltausstellung in Zusammenhang gewesen war, hat der seinerzeitige Generaldirektor der Wiener Weltausstellung, Freiherr von Schwarz-Senborn gesammelt. Seine Witwe lebt noch irgendwo. Die muß das Plakat haben, oder doch wenigstens davon wissen. Sie wird gefunden. Höfliche Anfrage, höfliche Antwort, daß sie nichts davon weiß. Makart hat es gezeichnet? Nun sein Sohn lebt ja, ist ein vielbeschäftigter Photograph in der Wollzeile. Also hinauf in sein Atelier. Er hat nie davon gehört. Er frägt bei dem seinerzeitigen intimen Freunde Makarts, dem Oberbaurat Streit an. Auch dieser weiß nichts davon. Nun kommen die ausländischen Sammlungen an die Reihe. Das Kupferstichkabinet in Dresden, das Kunstgewerbemuseum in Dresden, das Kupferstichkabinet in Berlin, das unter der verdienstvollen Leitung unseres Landsmanns Prof. Dr. Gustav Pazaurek stehende Landesgewerbemuseum in Stuttgart, das Kunstgewerbemuseum in Hamburg, das Suermondtmuseum in Aachen, sie alle besitzen alte und große Sammlungen von Künstlerplakaten. Alle werden darnach befragt, alle antworten, daß sie es nicht besitzen und nie gesehen haben. Seit mehreren Jahren besteht in Berlin ein Verein für Plakatfreunde. Unter seinen Mitgliedern befinden sich viele eifrige und gebildete Plakatsammler. Die größten derselben werden befragt. Sie wissen davon nur aus Büchern, aus Sponsel und Zur Westen. Gesehen haben sie das Blatt niemals. Jetzt wird guter Rat schon wirklich sehr teuer! Zufällig wird ein zweiter ehemaliger Freund Makarts gefunden, der persönlich in Makarts Atelier zugesehen hat, wie die Jagd der Diana allmählich entstanden ist. Aber auch er weiß nichts von einem Plakat. Woher haben nun Sponsel und Zur Westen ihre so kategorische Angabe, wenn selbst der Sohn Makarts und noch lebende ehemalige persönliche Freunde des Künstlers nichts davon wissen? Also direkte Anfrage bei diesen Kunstschriftstellern. Für Zur Westen war 1903 das Werk von Sponsel aus dem Jahr 1897 die Quelle gewesen. Sponsel aber hat auf die briefliche Antwort freundlich geantwortet, daß er heute nach so vielen Jahren leider sich nicht mehr erinnern könne, woher er seine damalige Angabe geschöpft habe, aber er habe damals alle Kataloge von den bis dahin stattgefundenen Plakatausstellungen benützt. Zufällig hat nun der zuletzt befragte ehemalige Freund Makarts, der frühere langjährige Redakteur der Wiener Exlibriszeitung, Herr Gerhard Ramberg-Mayer den prächtigen Einfall, es möge doch der damalige Sekretär der Wiener Künstlergenossenschaft, Herr Regierungsrat Walz nach dem Blatt befragt werden. Wenn irgendein Sterblicher von dem Blatt noch etwas weiß, so ist er es! Er wird in Maria-Lanzendorf gefunden und hat die große Liebenswürdigkeit, in alten Notizen nachzuforschen, um seine Erinnerungen aufzufrischen. Und dies hat zwar nicht das Blatt selbst, aber doch wenigstens den richtigen Weg gezeigt, wo weiter zu suchen ist. Regierungsrat Walz konstatiert mit absoluter Sicherheit, daß Makart ein Plakat für die Ausstellung 1873 nicht gezeichnet hat. Walz war ja bei der Weltausstellung in Wien und bei der Pariser Weltausstellung 1878 vom Beginn bis zum Schluß aller Arbeiten in der österreichischen Abteilung tätig gewesen und würde sich sicherlich an eine derartige Erscheinung erinnern. Aber der Katalog der Ersten Internationalen Kunstausstellung im Künstlerhause in Wien 1882 hat auf dem Umschlag die Reproduktion des Plakats zu eben dieser Ausstellung mit der Bezeichnung „H. Makart inv.“ „R. von Waldheim sc.“ Und das Vorwort des Katalogs enthält die ausdrückliche Angabe: „Den Umschlag des illustrierten Katalogs schmückt die Reproduktion desjenigen Entwurfs von Hans Makart, wonach die Plakate für die Ausstellung hergestellt wurden.“ So kam endlich die Wahrheit über das Makartplakat an Tageslicht. Dieses richtige Makartplakat, nicht von 1873, sondern von 1882 wird nun weiter gesucht. Die Kunstanstalt, die heute die Stelle der damaligen Firma „R. von Waldheim“ einnimmt, hat natürlich kein einziges Exemplar des kostbaren Plakats aufgehoben und weiß nichts davon. Also wieder nichts! Nach so vielen Irrfahrten wieder eine längere Pause. Und endlich bringt der Zufall doch den Lohn der vielen Mühe, als in einem versteckten Kellerwinkel wirklich ein verstaubtes Exemplar gefunden wird.
So war in der relativ kurzen Zeit von 40 Jahren aus einem damals wertlos gewesenen Straßenanschlag eine Rarität unter den Graphischen Künsten geworden, die für alle, die sich dafür interessieren, in der Studie des Verfassers über „Österreichische Plakatkunst“ (Kunstverlag J. Löwy, Wien) reproduziert und damit doch wenigstens auf einige Dezennien wieder vor Vergessenheit gerettet worden ist.
Feigl, Hans (Hrsg.): Deutscher Bibliophilen-Kalender für das Jahr 1915. Jahrbuch für Bücherfreunde und Büchersammler, Wien 1915, S. 70 – 74.
Wiedergabe in originaler Rechtschreibung.